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Eduard Friedrich
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Nach
den Olympischen Spielen in Sydney waren in diesem „Gymforum“
die Klagen über die Zukunft des deutschen Kunstturnens
nachzulesen und die Rufe nach Veränderungen zu vernehmen.
Im Verlaufe der 90er Jahren hatte sich die längere Zeit schöngeredete
- durch Erfolge hauptsächlich
von Andreas Wecker und Valeri Belenki
übertünchte - sportliche Situation so negativ verändert,
dass die Einstufung des männlichen Kunstturnens im
finanzwirksamen Fördersystem des DSB für die Periode 2001 bis
2004 in der 4-stufigen Skala zwischen der untersten und der
vorletzten Stufe erfolgte.
Unter
Berücksichtigung vorheriger
Erfolge drückte sich dies zunächst in Finanzen- und
Ressourcenzuwendungen noch geringfügig aus, doch Gespräche mit
dem DSB auf verschiedensten Ebenen machten sehr deutlich, |
dass diese
„Schonzeit“ bis Athen befristet ist und danach mit Reduzierungen:
- der
Kadergrößen,
- der
Zahl der anerkannten Bundesstützpunkte,
- der
Mittel für Trainer
- der
Stellen bei der Bundeswehr
und in anderen
Bereichen zu rechnen ist.
Schon jetzt wirksam sind die Rückstufung
in der Priorität bei der Förderung durch das IAT, an den Olympiastützpunkten
und z.B. bei der Beantragung von Bundeszuschüssen für Baumassnahmen.
Dies ist die Beschreibung der Situation, die bei den Turnern drohte und
bei den Turnerinnen bereits Gegenwart war, als ich im November 2000 das
Amt des Vizepräsidenten für diesen Bereich übernahm.
Das Trampolinturnen macht derzeit im
sportlichen Bereich weniger Probleme, die RSG
ganz andere und bei den Turnerinnen
werden aufgrund der schulischen Vorgaben individuelle Lösungen gesucht,
weshalb ich diese Bereich im Augenblick aus den Betrachtungen ausklammere
und mich auf die Kunstturner konzentriere, die die eigentlichen „Abstürzer“
der letzten Jahre sind.
Ganz bewusst habe ich nach meinem Amtsantritt auf
eine personenbezogene Vergangenheitsbewältigung verzichtet,
einerseits, weil wirklich nicht alles falsch gemacht wurde und
andererseits dies nicht weiter hilft. Aber wenn, dann hätten auch
einige derer genannt werden müssen, die jetzt wieder mahnend,
kritisierend und Rücktritte fordernd aus der zweiten oder dritten Reihe
sich zu profilieren suchen, ansonsten aber eher bremsend und destruktiv
wirksam sind und waren.
Mein Anliegen ist einzig dieses, alles zu
unternehmen, um den endgültigen Absturz auch noch des männliche
Kunstturnens zu verhindern.
Die Berechnungen, die zur Einstufung nach dem DSB-Förderkonzept
herangezogen werden, sind zu kompliziert, um hier im Einzelnen
beschrieben werden zu können, nur so viel:
Für die Einstufung beim DSB werden ausschließlich die bei der WM vor
den Olympischen Spielen und die nachfolgend bei den Spielen selbst
erzielten Ergebnisse berücksichtigt.
Der
8. Platz der deutschen Mannschaft 1999 in China und 3 weitere
Finalplätze an den Einzelgeräten, sowie der 10. Mannschaftsplatz und
der 6. Platz von Marius Toba in Sydney reichten nicht einmal für die
Stufe 3 aus.
Man kann also leicht schätzen, welche Ergebnisse bei
der WM 2003 und in Athen nötig sind, um wenigstens sicher die
Gruppe 3 oder möglichst die Gruppe 2 zu erreichen, die seinerzeit
(1997) Basis für die Festlegung unseres jetzigen Versorgungsstandes war
und 2001 trotz nicht erbrachter Leistungen halbwegs erhalten werden
konnte.
Nach dem Absturz bei der WM 2001 auf
den 13.Platz konnten wir uns in diesem Jahr über die bei der EM zu
verzeichnende Trendwende mit einer jungen Mannschaft freuen. Eine nüchterne,
von diesem Ergebnis und seinem Zustandekommen abgeleitete, Analyse ergibt allerdings derzeit hochgerechnet einen bestenfalls 8.
Mannschaftsplatz im Weltvergleich und keine ernsthafte Finalchance an
einem Gerät.
Die Entwicklung unserer in Patras sehr erfolgreichen Junioren verläuft
positiv, sollte aber aufgrund ihrer Jugend, mit aller Zurückhaltung
prognostiziert werden. Auch die Entwicklung der derzeitigen
„Stammtruppe“ ist positiv, es fehlt ihr aber – wie die Monate nach
Patras zeigten - die Dynamik, die notwendig wäre, um die in St. Anaheim
und Athen gebrauchten spitzennahen Ergebnisse erhoffen zu lassen.
Da wir (noch) in der Lage sind, optimale
Trainingsbedingungen zu organisieren, unsere Kandidaten einen
sehr günstigen Altersschnitt aufweisen, die 10 Sportsoldaten über ein
professionelles Zeitbudget verfügen und nach meiner Beurteilung wir
einige darunter haben, die noch nicht Weltklasse sind, aber durchaus das
Zeug dazu haben zu dieser aufzuschließen, sehe ich unverändert die Möglichkeit,
uns in das Feld der Finalkandidaten hinter China einzuordnen.
Voraussetzung dafür ist, dass wir dieses nicht nur wollen, sondern
bereit sind, das dafür Nötige auch tun und zwar sofort.
Als das „Nötige“ befanden der Lenkungsstab, der Vorstand
Olympischer Spitzensport und zustimmend zur Kenntnis nehmend auch das Präsidium:
- Ein
regelmäßiges gemeinsames Training der Sportsoldaten an zwei
Standorten in Deutschland. Verbunden mit der versuchten Einbeziehung
des Turners auf der Sportlerkostenstelle des VW-Werkes sowie des
einzigen echten Studenten.
- Ein
Sonderprogramm für die zwei noch schulpflichtigen Athenkandidaten
an ihren Heimatorten und dem OSP Frankfurt/ Main.
- Die
Konzentration des Einsatzes des Cheftrainers auf diese drei Orte.
- Eine
Optimierung des Mannschaftsbildungsprozesses durch ergänzende
gemeinsame zentrale Maßnahmen.
- Die
Optimierung der Lernprozesse durch verstärkten Einsatz moderner
Technologien über die spezialisierten OSP und das IAT.
Seit
Anfang dieses Jahres wird dieses Konzept vorbereitet, es ist
regelmäßig im Lenkungsstab (zu dessen Sitzungen der Aktivensprecher
regelmäßig eingeladen wird) besprochen worden und allen Interessierten
beim jeweiligen Sachstand erörtert worden.
Seit dieser Zeit laufen aber auch die Gegenmaßnahmen einiger, die persönliche
oder örtliche Nachteile befürchteten ohne zu bedenken, dass ein nur geringer Leistungsanstieg nicht
ausreicht, um den derzeitigen Förderstatus
zu halten, sondern zu einem Absturz des „Gesamtsystems männliches
Kunstturnen“ führen würde, der alle mit wegspülen wird, die
irgendwie an diesem System hängen.
Die
höhnischen Bemerkungen einiger Kommentatoren zu meiner
Anmerkung - bei optimaler Vorbereitung sind alle, außer den Chinesen,
direkte Konkurrenten unserer Mannschaft und zu schlagen - beweisen nur
die weit verbreitete Trägheit des Denkens und Handelns, sowie das
fehlende Vertrauen zur Leistungsfähigkeit unserer eigenen Turner, die
man pikanter Weise ausgerechnet dem zurückgetretenen Cheftrainer zum
Vorwurf gemacht hatte.
Die Gründe für die oben genannten Maßnahmen, die Ergebnisse der
Vorbereitungen und die konkrete Aufforderung zur Beteiligung an diesem
Programm sind vom Cheftrainer, dem Sportdirektor und mir als zuständigem
Präsidiumsmitglied den Turnern und Trainern Ende August in Kienbaum zunächst
gemeinsam vorgetragen und dann in Einzelgesprächen mit den Turnern und
Trainern, bei denen ein vorrübergehender Aufenthaltswechsel notwendig
war, oder die zusätzliche Informationen wünschten, erörtert worden.
Vier Turner
verweigerten sich einer Zentralisierung total, bei allen waren dafür
persönliche Gründe ausschlaggebend, einleuchtend waren diese nur bei
dem Studenten Sebastian Faust.
Die Gespräche verliefen durchgehend in einer sachlichen, nicht
aufgeregten Stimmung, keiner hat jemanden beschimpft oder beleidigt.
Es ist zutreffend, dass beim
Abschlussgespräch - das ausschließlich mit den Trainern stattfand -
insbesondere der Sportdirektor und ich auf die möglichen indirekten und direkten Folgen für jeden
Einzelnen, den Stützpunkt und das gesamte Fachgebiete bei einer unbegründeten
Verweigerungshaltung und den daraus zu erwartenden Folgen
hingewiesen haben.
Dies zu unterlassen wäre eine Vernachlässigung der Fürsorgepflicht
gewesen, die wir gegenüber allen denen haben, die zeitweise oder auf
Dauer in und von diesem System leben.
Abschließend wurde den Trainern mitgeteilt, dass
die Zentralisierung in Stuttgart unverzüglich eingeleitet wird, den
noch unschlüssigen Turnern eine Bedenkzeit bis Ende September eingeräumt
wird, bis dahin alle Statusfragen ruhen, wir aber jederzeit zu Gruppen-
oder Einzelgesprächen bereit sind, jedoch das Gesamtkonzept nach
Beschluss im Vorstand Olympischer Spitzensport in jedem Falle
realisiert wird.
Als
Verweigerer mit regelbarem Hintergrund verbleiben aus meiner
Sicht nur drei Turner. Mir täte es
sehr leid, wenn der Konflikt sich ausgerechnet am Widerstand der von
mir persönlich sehr hoch geschätzten Gruppe aus Chemnitz festmachen würde
und habe Hans Müller meine jederzeitige Gesprächsbereitschaft erklärt.
Wichtig ist, dass über allen Animositäten das Ziel des
Wiedererstarkens unserer Sportart steht, und dieses emotional aber auch
rational angegangen wird.
Eduard
Friedrich
Vizepräsident Olympischer Spitzensport im DTB
![](../images/dtb_80.gif) |
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Hinweis:
Zur Klärung der momentanen Situation haben der Präsident des
Deutschen Turner-Bundes Rainer
Brechtken und der Sprecher der Landesturnverbände Rolf-Dieter
Beinhoff die Präsidenten der Landesturnverbände zu einem INFORMATIONSGESPRÄCH
nach Frankfurt/Main für den 24. September 2002 eingeladen.
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23-Sep-2002:
Direkte Antwort von
Ex-Ringe-Weltmeister Andreas Aguilar
auf die obige Darstellung von Eduard Friedrich: |
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Wir
alle sind besorgt über den dramatischen Leistungseinbruch unserer
Nationalturner.
Wir alle sind der Meinung, dass dringend etwas unternommen werden muss -
hier macht man es sich aber zu einfach!
Das Willam/Friedrich-Konzept sieht die Lösung einzig und allein in
einer kurz- bis mittelfristig angelegten Zentralisierung.
Die Hauptargumente sind
1.) Das "Aufeinanderhetzen" von Turnern fördert die
Leistung (wurde jetzt sprachlich aktualisiert: "Optimierung
des Mannschaftsbildungsprozesses")
2.) Optimierung der Lernprozesse durch verstärkten Einsatz
moderner Technologien
Mit anderen Worten:
1.) Deutschland fällt international immer mehr ab, weil die
Turner sich keinem dauerhaften Druck aussetzen wollen und zu bequem sind
für den jetzt (un)wahrscheinlichen Erfolg ihre gewohnte
Lebensumgebung gegen eine WG einzutauschen.
2.) die Trainingsmethoden in den Heim-Stützpunkten sind altmodisch und
inkompetent
Es ist überhaupt nicht so, dass sich die Turner gegen mehrmonatige
gemeinsame WM-Lehrgänge wehren. Das hat es schon immer gegeben und das
soll ja auch bleiben.
Welchen zusätzlichen Effekt soll ein Wohnungswechsel bringen?
Ein Zukunftskonzept, das sich nur darauf stützt, dass man die Turner
einfach noch NOCH härter rannehmen muss, ist beschämend, unmoralisch
und skandalös.
Dieses Motto: »wir bieten nichts, aber dafür verlangen wir alles« ist
ein bisschen zu wenig, um wirklichen Erfolg zu haben. Auch die drohenden
Mittelkürzungen sollten nicht als Rechtfertigung für diese Forderungen
herhalten.
Ich glaube nicht, dass andere Nationen über bessere Turner verfügen.
Ich bin aber überzeugt, dass sie bessere Konzepte haben!
Ein Sprichwort sagt: »Mitgefangen - mitgehangen«.
Schade, dass das so selten für Sport-Funktionäre gilt ...
Andreas Aguilar
... weitere aktuelle Reaktionen (22-Sep-2002):
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OB
verwundert über Trainer-Wechsel
Cottbus.
Mit großer Verwunderung reagiert die Cottbuser Oberbürgermeisterin
Karin Rätzel auf die
Nachricht, dass Turntrainer Gunter Schönherr die Stadt verlässt
und zum KTV Stuttgart geht (die RUNDSCHAU berichtete). |
"Wir
sehen die Gefahr, dass der Standort Cottbus geschwächt wird
" , erklärt Karin
Rätzel.
"Nicht in Ordnung ist auch, dass solche Entscheidungen
an der Vereinsführung des SC Cottbus vorbei getroffen
werden. Wenn der Deutsche Turnerbund beabsichtigt, seine
Spitzenturner in Berlin und Stuttgart zu konzentrieren, dann
würden wir als Cottbuser Stadtverwaltung auch gern
informiert werden, um reagieren zu können. "
Dessen ungeachtet werde die Stadt den Turner-Nachwuchs
weiter intensiv fördern. "Daran
ändert sich nichts. "
Mit Schönherr wechseln auch die Spitzenturner Ronny
Ziesmer
und Robert Juckel
nach Schwaben. pm/rw
Quelle LR-online 21.09.02 |
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