Ist der deutsche Turnsport noch zu retten...?
17-SEP-2002

Vom Teufelskreis, von aufgehaltenen Händen....
der Verwaltung des permanenten Notstandes...
(- Kommentar von Eckhard Herholz/GYMmedia -)

       .
... oder handeln Sie  J E T Z T, Herr Präsident!

(Offener Brief an den Präsidenten des Deutschen Turner-Bundes vor den Beratungen mit seinen Landes-Präsidenten, den Leistungssportvertretern und vor dem Deutschen Turntag im November in Braunschweig)

  So war es doch eben bei Eduard Friedrichs Darstellung zu lesen 
"...Im Verlaufe der 90er Jahren hatte sich die längere Zeit schöngeredete , durch Erfolge hauptsächlich von Andreas Wecker und Valeri Belenki  übertünchte, sportliche Situation so negativ verändert, dass die Einstufung des männlichen Kunstturnens im finanzwirksamen Fördersystem des DSB für die Periode 2001 bis 2004 in der 4-stufigen Skala zwischen der untersten und der vorletzten Stufe erfolgte." 


E. Herholz

Es ist schon ein Jammer!

Da stehen sie nun da, die verantwortlichen Funktionäre, und klagen u.a. über die ausbleibenden Mittel, die natürlich von außen kommen sollen!
Woher...? Vom Staat... dem Fördersystem des DSB.... von der Sporthilfe .... von der Bundeswehr.... von freigiebigen Sponsoren oder Wirtschaftspartnern 
... vom Fernsehen....????!

"Unsere Töpfe sind leer",  
das hört man die Verantwortlichen sagen und sie halten überall die Hände auf, bei Spitzensport-Events u.a. Veranstaltungen -  übrigens nicht erst seit heute!

Weniger Leistung,
das bedeutet aber im deutschen Leistungssportsystem auch gnadenlose Zurückstufung, weniger finanzielle Zuwendung und beim Ausbleiben derselben in zweiter Instanz Abwendung diverser potentieller Geldgeber von außen.
-   Mangelhafte Öffentlichkeitsarbeit  
den Leistungssport betreffend, potenziert sich im rapiden Abstieg potentieller Wahrnehmbarkeit.
(Schon 1993 betrug der Anteil der Turnmeldungen im Jahresverlauf in deutschen Printmedien und Agenturen des Sports weniger als 0,6% - und damals verfügte der DTB noch über solche Sympathieträger wie Ralf Büchner, Sylvio Kroll, Magdalena Brzeska, Andreas Wecker...!
Im nacholympischen Jahr 2001 betrug die überregionale TV-Minutenzahl kaum viel mehr die Dauer von 2 Fußball-Halbzeitspausen - pro Jahr!)

  • Wer heute nicht mehr in den Schlagzeilen steht, wird nicht mehr wahrgenommen im gnadenlosen medialen Verdrängungswettbewerb des Kommunikationszeitalters!
  • Wer nicht mehr wahrgenommen wird, hat kaum noch Fernsehminuten.
  • Wer nicht mehr im Fernsehen stattfindet  ... findet "überhaupt nicht mehr" statt!
  • Wer soll für jemanden, der nicht mehr stattfindet zusätzlich Geld ausgeben...?

>> Wessen Verbandsphilosophie aber noch immer im Ewig-Gestrigen verharrt und moderne Leistungssportstrukturen gemäß der komplexen gesellschaftlichen Situation vielleicht gerade noch verbalisiert, sonst aber nur halbherzig oder gar nicht umsetzt, den bestraft das Leben auf eine gnadenlose Art.
Leistung (und deren Vertreter) sind ohne 100%igen Leistungssport nicht möglich!

Natürlich muss man auch 100% Leistungssport von seinen Athleten fordern - nicht aber, wenn man selbst nur 80% zu geben imstande oder bereit dazu ist.
Unter den Bedingungen des (finanziellen) Notstandes aber muss man die betroffenen Sportler vor den Folgen der Verwaltung des Notstandes schützen. Dies führt - wie die Praxis eben beweist - zu Reibungsverlusten, die jedoch mit einem tatsächlich humanen Leistungssport unvereinbar sind.
Ein ohne Abstriche am internationalen Spitzenniveau organisierter Leistungssport im Gerätturnen und den anderen Disziplinen ist jedoch ein langwieriger (und teurer) Prozess von Talentesuche und -findung, der Ausbildung und Betreuung, der Leistungsprofilierung und ihrer gesellschaftlichen Präsentation in Person von (möglichst) medaillenbehängten Sympathieträgern.
Was verlangt denn da der Deutsche Turner-Bund eigentlich? Dies alles soll das Geld von außen ermöglichen...?
Das kann nicht sein, zumal man im letzten Jahrzehnt ziemlich verantwortungslos mit den "geschenkten" Spitzensportstrukturen der deutschen Wende und deren  "fertigen" Leistungsträgern umgegangen ist. 

Falsch aber ist:

  • dem notwendigen Ausbau der Basisstruktur bei Talentfindung und Ausbildung nur ungenügende Aufmerksamkeit zu schenken;
  • unter Bedingungen der finanziellen Misere Konzepten zu entwickeln, die auf Kosten einer objektiv nötigen leistungssportlichen Infrastruktur der aufwendigen Gymnastics-Disziplinen und zu Lasten der Handlungs- und Leistungsträger gehen;
  • die materiell-technischen und logistische Voraussetzungen, die soziale Absicherungen sowie leistungsorientierte Stimulation und Abrechnung von Trainern, Athleten nur ungenügend zu schaffen.

Die Schlüsselfragen sind:

  • Mit welcher Konsequenznotwendiger, höherer Eigenfinanzierung rückt der Riese DTB nicht nur seinen olympischen Spitzensport sondern überhaupt seinen leistungsorientierten Wettkampfsport aller Altersklassen wieder in den Mittelpunkt seiner Verbandsphilosophie?
  • Mit welcher Konsequenz macht er jedem seiner 4,9 Millionen Mitglied klar, dass Turnen und Gymnastik keine Low Budget-Sportarten sind, deren Betrieb mit höchstem Anspruch ihnen nicht nur lieb sondern eben auch teuer sind?

Die Vorschläge:

  • Es scheint dringend notwendig, seinen Mitgliedern klar zu machen, dass nur noch mit der 
    Erhöhung des Mitgliedsbeitrages von 1 € pro Mitglied und Jahr,
    also um ca. 8, 3 Cent pro Monat ein effizienter Wettkampf aller Disziplinen, alters - und Leistungsklassen zu finanzieren ist.
    Zahlen Kinder, Jugendliche... nur 50 %, dann wären dies pro Jahr ca. 3,5 Millionen EURO zur Neustrukturierung auch des olympischen Spitzensports, bevor je wieder Finanzierungsmechanismen nach entsprechenden internationalen Leistungsnachweisen - wie Fernseh- oder Sponsorengelder von außen fließen werden. (Die Angst der Spitzenfunktionäre vor den Konsequenzen einer solchen Forderung, wie Mitgliederschwund, braucht man nur mit der momentan schon desaströsen unbefriedigenden Finanzsituation vergleichen. Hier ist nun tatsächlich das "solidarische Flutopfer" aller Mitglieder erforderlich!)
  • Statt eines ehrenamtlichen Vize-Präsidenten olympischer Spitzensport ist ein Topmanager zu installieren, der unter professionellen Bedingungen unter klaren Prämissen und höchster Kompetenz den Spitzen- und Wettkampfsport und seine Strukturen als eigenständige Säule zu entwickeln und gegenüber der Gesellschaft, den Medien und der Wirtschaft zu präsentieren sowie dem DTB-Präsidium gegenüber zu verantworten hat
    (Entwicklung der dafür nötigen Strategien/Regeln/Struktur-, Personal- und Finanzierungsplänen sowie der Kooperationen und Regularien im Umgang mit Dachverband, Vermarktungsgesellschaft und anderen relevanten Institutionen und Bereichen der Gesellschaft und des Sports und der Medien).
  • Prominente Leistungssportler der deutschen Turngeschichte und Gegenwart sind in einem Athletenrat oder an geeigneter Stellen des Topsports wirksam zu integrieren, bzw. ihnen sind dafür geeignete Perspektiven und Stellen zu schaffen.

Schlussfolgerung:

  1. Der Spitzensportverband und seine Spitzenfunktionäre im DTB-Präsidium, in den Vorständen der Länder, Kreise und Vereine müssen nicht mehr nur dringend über die Konsequenzen im Umgang mit Spitzensport nachdenken oder sprechen, sondern sie müssen tatsächlich handeln!
  2. Es ist also keine bloße Personaldebatte oder das Problem "aufmüpfiger Athleten" zu behandeln, sondern es steht die gesamte Spitzensport- und Wettkampfstruktur auf dem Prüfstand!
  3. Es ist dies auch eine riesige Chance des zweitgrößten Sportverbandes Deutschlands und größten Turnverbandes der Welt, seiner Verantwortung nicht nur als Freizeit- und Erholungssportverband, als Spaß- und Volksbelustigungsinstitution gerecht zu werden, sondern es sind Zeichen der Leistungsorientierung in neuer Dimension und Qualität zu setzen.

Gemessen an den gesellschaftlichen Risiken, die mit Leistungssport in modernen Gesellschaften allerdings auch verbunden sind, ist das mehr als nur eine neue große Herausforderung, will man den Teufelskreis
(... den vielzitierten "Spagat") der Verwaltung des Notstandes nun endlich mal entscheidend durchbrechen.
Deshalb, handeln Sie J E T Z T , Herr Präsident!

Eckhard Herholz
GYMmedia

Aktuelle Diskussion nach dem deutschen Turn-Desaster 
bei Olympia
2000,
nach der Turn-WM 2001 
sowie nach den "Konzentrationsversuchen" des DTB in der aktuellen Athenvorbereitung 2004
:

Ist der deutsche Turnsport noch zu retten...?

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