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report nr. 7/2000
1. Juli 2000


SAMARANCHS GEBURTSTAG
IN WIDERSTREIT VON LOB UND TADEL
Von Willi Ph. Knecht

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J.A.Samaranch

. Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte. Schillers kontroverse Porträtierung Wallensteins, ausgangs des 18. Jahrhunderts Kennzeichnung extremer Gegensätze bei der Beurteilung ein und derselben Person und deshalb zur dramaturgischen Ausformung trefflich geeignet, entspricht heutzutage längst den Alltäglichkeiten der Mediengesellschaft. Ob Politik, Wirtschaft, Kunst oder Sport – jede herausragende Figur auf gesellschaftlichen Bühnen, die in die Schnittpunkte publizistischer Scheinwerfer rückt, gerät hilflos in den Sog subjektiver und somit oftmals willkürlicher Bewertungsnormen, wird zum Spielball für Sympathie und Antipathie, ist taktischen Finessen und zielbestimmenden Eigeninteressen seiner Kritiker ausgeliefert und vor allem deren Selbstverständnis, wenn schon nicht göttlich, so doch zumindest unfehlbar zu sein. Einer derjenigen, die solche Ausflüsse zweifelhafter Medienkultur seit nunmehr zwei Jahrzehnten zu erdulden haben, vollendet am 17. Juli sein 80. Lebensjahr:

Juan Antonio Samaranch, Marqués de Samaranch, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, schon zu Lebzeiten wie Schillers Wallenstein-Figur schwankend zwischen Gunst und Hass der Parteien. Die Parteien, das sind auf Seiten der ihm Gunst Bezeugenden die überwiegende Mehrheit der Mandatsträger des internationalen Sports und viele Repräsentanten der internationalen Führungsschichten von Politik und Wirtschaft, auf der Gegenseite der ihn mit Unversöhnlichkeit verfolgenden Jäger viele Meinungsbildner von Presse, Funk und Fernsehen, vornehmlich in Deutschland, England und den USA, darunter mancher, der seinen Jagdtrieb vom Hörensagen und von der ungeprüften Übernahme von Fremdurteilen ableitet, ohne Eigenerfahrung und Eigenerkenntnisse.
Angriffsflächen bietet Samaranch hauptsächlich aus Teilstücken seiner Biografie vor Amtsantritt als Präsident des Internationalen Olympischen Komitees. Seine politische Karriere während des diktatorischen Regimes von Generalissimus Franco, für alle Zeiten bildlich dokumentiert durch die Szene des Kniefalls vor dem Caudillo, verfestigte sich im Urteil seiner Kritiker zum unentschuldbaren Makel, nach Francos Tod (1975) auch durch Vertrauensbeweise Königs Juan Carlos I. nicht retuschierbar. Bei der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Sowjetunion 1977 sandte der König das vormalige Falange-Mitglied als ersten spanischen Botschafter nach Moskau, eine angesichts der politischen Hypotheken Spaniens heikle Mission, die neben Geschick auch unabdingbare Loyalität gegenüber der neuen Staatsführung voraussetzte.
So genoss der gebürtige Barcelonese in der sowjetischen Hauptstadt quasi Heimvorteil, als am 16. Juli 1980 die Wahl des höchsten Amtsträgers der Olympischen Bewegung anstand. Zwei Tage vor Vollendung seines 60. Lebensjahres und drei Tage vor Eröffnung der von den USA und deren Verbündeten boykottierten Spielen der XXII. Olympiade wählte die 83. Session des Internationalen Olympischen Komitees Juan Antonio Samaranch zum IOC-Präsidenten, Krönung des national seit 1956 mit der Mitgliedschaft im Olympischen Komitee Spaniens und international seit 1966 mit der Berufung als IOC-Mitglied planvoll und umsichtig betriebenen Strebens nach einer der vordersten Positionen in der gesellschaftlichen Hierarchie der Weltöffentlichkeit.
Wer per Absolution früherer Verstrickungen allein Verhalten, Leistungen und Versäumnisse Samaranchs als IOC-Präsident bilanziert, muss im Schlamm herumstochern, um Schmutz aufzuwirbeln. Er hat nicht ihn belastende Akten oder Computerdaten vernichtet und nicht Schwarzgeld zur Festigung seiner Gefolgschaft verschoben, er hat nicht von Auftragnehmern oder –gebern Provisionen kassiert und nicht zwecks filmischer Dokumentation zweckdienlicher Szenarien gegen Honorar Provokateure engagiert – Delikte, wie sie in der Politik, in der Wirtschaft und von den Medien nicht gerade selten praktiziert werden. Soweit er sachlich begründete Vorwürfe provozierte, betreffen sie Zögerlichkeiten bei der Festlegung und Anwendung kompromissloser Strafmaßnahmen gegen Doping und Korruptionspraktiken und die Bereitschaft zu Zweckbündnissen auch mit zwielichtigen Machthabern inner- und außerhalb des Sports. Erklärlich ist dies hauptsächlich mit der permanenten Existenzgefährdung des Internationalen Olympischen Komitees als Folge der rigorosen Kommerzialisierung des gesamten Sports: Wo er vermarktbar ist, also insbesondere beim Kernstück Olympische Spiele, operiert er unter dem äußeren Risiko der Einmischung und sogar des Eingriffs kapitalstarker Interventionisten und im Innern unter der Bedrängnis durch Begehrlichkeiten eigener Amtswalter.
Das anscheinend mächtige Internationale Olympische Komitee als der im Kraftfeld gigantischer ökonomischer Potentiale letztlich machtlose Treuhänder eines höchst verletzlichen Guts, ständig in der latenten Gefahr einer feindlichen Übernahme, hinsichtlich seiner materiellen und faktischen Wehrfähigkeit eine Parallele zur Antwort auf Stalins Frage “Wieviel Divisionen hat der Papst?” Unter den Zwängen dieser Realität hat Juan Antonio Samaranch in seinen 20 Präsidentschaftsjahren das IOC alles in allem nicht nur geschickt durch die vorgegebenen Fährnisse laviert, sondern auch eine Fülle sowohl praktischer als auch inhaltlich-ideeller Reformen eingeleitet und verwirklicht. In seine Amtszeit fallen alle die gegenwärtige Olympische Bewegung prägenden strukturellen, inhaltlichen und sportpolitischen Veränderungen, weit überwiegend zwangsläufige Folgerungen aus Entwicklungen innerhalb des Sports selbst oder aus Wandlungen seines globalen Umfelds – im Guten wie im Schlechten.
Der “kleine Spanier”, wie ihn bei seiner Wahl noch manch einer spöttisch karikierte,erwuchs ohne lange Vorlaufzeit zum zielbestimmenden Gestalter einer neuen olympischen Epoche.

Mit dem XI. Olympischen Kongress 1981 in Baden-Baden endete, unter richtungsweisender Mithilfe des deutschen IOC-Mitglieds Willi Daume, die Gültigkeit des längst anachronistischen Amateurparagraphen. Gleichzeitig begann mit der Berufung der ersten Athletenkommission das Mitspracherecht der Sportlerinnen und Sportler; nach der 111. Session im September in Sydney werden 15 Athletenvertreter
dem IOC angehören. Bei der 84. IOC-Session unmittelbar nach dem Kongress, der ersten unter der Präsidentschaft Samaranchs, wurden mit Pirjo Häggman (Finnland) und Flor Isava-Fonseca (Venezuela) die ersten beiden weiblichen IOC-Mitglieder gewählt.
Inzwischen sitzen einschließlich der Athletinnenvertreter 14 Frauen im IOC, von ihnen die US-Amerikanerin Anita DeFrantz als Vizepräsidentin. Gleichberechtigung dokumentiert auch, dass nunmehr fast die Hälfte des olympischen Wettkampfprogramms von Frauen bestritten wird. Die 1986 institutionalisierte Olympic Solidarity, das vielschichtige Unterstützungsprogramm insbesondere für Nationale Olympische Komitees der Dritten Welt, wurde Jahr für Jahr systematisch ausgeweitet; im Olympiadezeitraum 1997 bis 2000 erreichte es ein Volumen von 121,9 Millionen US-$. Im Februar 1993 ertrotzte Samaranch von den Vereinten Nationen die Deklaration des “olympischen Friedens”, von ihm selbst interpretiert als politische Bestätigung der humanistisch-pazifistischen Substanz der olympischen Idee. Am 23. Juni 1993 erfolgte als Symbol der historisch gewachsenen Wechselbeziehungen zwischen Olympismus und Kultur die Eröffnung des Olympischen Museums in Lausanne – eines der eindrucksvollsten Ausstellungsgebäude Europas. Nach äußerst kontroversen und teils wegen ihres Kompromissgehalts umstrittenen Beschlussfassungen wurde im Februar
1999 durch die Weltkonferenz über Doping im Sport der “Anti-Doping-Code” verabschiedet und im Frühjahr 2000 zur Verschärfung des Kampfes gegen Doping die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) gegründet. In Verfolgung der Korruptionsvorgänge bei der Vergabe der Olympischen Winterspiele 2002 an Salt Lake City wurden zehn IOC-Mitglieder ausgeschlossen oder zum mehr oder minder freiwilligen Rücktritt gedrängt. In der Art eines Befreiungsschlags reagierte Samaranch auf den immensen Ansehensverlust mit der Gründung einer Ethik-Kommission und fand dafür eine hochkarätige Besetzung auch durch außerhalb des Sports stehende Persönlichkeiten.
Trotz der Belastung durch Doping und Korruption behielten die Olympischen Spiele ihr enormes Gewicht als begehrtes Medienereignis: Nach 101 Millionen US-$ 1980 erreichten die Fernseh-Lizenz-gebühren weltweit für die Spiele Sydney 2000 die astronomische Höhe von 1,246 Milliarden US-$; 2008 werden sie auf 1,608 Milliarden US-$ anwachsen. Das Volumen des Marketing-Programms “The Olympic Partners” (TOP) steigerte sich von 95 Millionen US-$ 1988 Calgary/Seoul auf 500 Millionen US-$ 1998/2000 Nagano/Sydney. Während für die Ausrichtung der Olympischen Spiele 1984 mit Los Angeles nur ein einziger Kandidat auftrat, konkurrieren für die Spiele 2008 nicht weniger als zehn Bewerber. In zwei Jahrzehnten stieg die Zahl der Nationalen Olympischen Komitees von 140 auf 199 und spiegelt damit eindrucksvoll die Universalität der Bewegung. Angesichts all dieser gleichermaßen durch Veränderungen der sportlichen wie der nichtsportlichen Welt bedingten Entwicklungen klingt die Frage, was von den Traditionen der Olympischen Idee noch geblieben sei, wie ein Kalauer ohne
Pointe.
Vom olympischen Wirtschaftswunder profitierten vor allem auch die internationalen Fachverbände, lange Zeit in Rivalität zu den Nationalen Olympischen Komitees eigenwillige Quengler der olympischen Familie und in Streitfragen wie die Vereinheitlichung der Dopingrichtlinien weiterhin oftmals im Widerspruch zur Mehrheitsmeinung. Zumindest partiell aber harmonisierte Samaranch die Beziehungen zwischen IOC-Führung und IFs mit Hilfe generösen Finanzgebarens: Der Anteil der 28 olympischen Sommersportverbände an den olympischen Marketing- und Fernseheinnahmen beispielsweise erhöhte sich innerhalb nur einer Olympiade von 88 Millionen US-$ 1996 auf 161 Millionen US-$ 2000.
Juan Antonio Samaranch hat in den 20 Jahren seiner IOC-Präsidentschaft unerhört viel bewegt, das meiste davon zum Nutzen und Wohle der Olympischen Bewegung. Auch wer seine Versäumnisse und Fehler dagegen aufrechnet, muss bei vorurteilslosem Abwägen einen enormen Habensaldo bilanzieren. Das gegenwärtige Internationale Olympische Komitee ist in allen markanten Charakteristiken sein Werk – gemessen an den Unzulänglichkeiten anderer Geschehensbereiche der Öffentlichkeit ein Gebilde der besseren Qualität. Dafür gebühren Samaranch Achtung und Beifall, und dies nicht nur
aus Anlass der Vollendung seines 80. Lebensjahres.  Willi Ph. Knecht

(Hervorhebungen:GYMmedia Berlin)

Am 15.07.2000 erschien in der "Berliner Zeitung" eine Hommage aus Anlass des 80.Geburtstages J.A.Samaranchs unter dem Titel "FROMMER ASKET"  von Jens Weinreich.
Lesen Sie auch:
- Ethik oder Pragmatik - Protest gegen IOC-Präsident Samaranch, Bericht von einem Berliner Streitgespräch am Wannsee (12.07.2000) von GYMmedia-Mitarbeiter Hansjürgen Zeume.

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