Gelesen in: (17-07-2000) |
Juan Antonio
Samaranch: "Frommer
Asket" |
. | Als der Präsident des Internationalen
Olympischen Komitees 1994 zu den Winterspielen nach Lillehammer reiste,
bereiteten ihm die norwegischen Medien einen frostigen Empfang. Damals druckte die Zeitung
"Dagbladet" auf ihrer Titelseite ein Foto des Spaniers und stellte die Frage,
wen das Bild wohl darstellen solle: "A. einen guten Kumpel von Franco. - B. einen
viel zu alten Mann. - C. jemanden, der ganz dringend Friedensnobelpreisträger werden
möchte, jedoch ohne den geringsten Grund?" Die Antwort lautete A, B und C. Sechs Jahre nach Lillehammer ist es um den Ruf von Juan Antonio Samaranch noch schlechter bestellt. Daran konnte auch die PR-Agentur Hill & Knowlton nur wenig ändern, ein Unternehmen, das vom IOC für eine Millionensumme verpflichtet wurde, um Imagewäsche zu betreiben. Hill & Knowlton gilt in der Branche als eine Firma fürs Grobe. Oft genug war den PR-Profis mangelnde Moral bei der Auswahl der Kundschaft vorgeworfen worden, sie vertraten mal die Church of Scientology, mal Haitis Mörderpräsidenten Baby Doc Duvalier, mal einen radikalen amerikanischen Abtreibungsverband - diesmal eben Juan Antonio Samaranch, einen Mann, der seit zweiJahrzehnten uneingeschränkte Kontrolle über das IOC und die Olympischen Spiele ausübt. Inzwischen weiß alle Welt, unter welch korruptiven Umständen im IOC die Vergabe von Olympischen Spielen ablief. In Folge der Enthüllungen verlor das IOC zehn Mitglieder und verabreichte sich einige Regeländerungen. Im Dezember 1999 erklärte Samaranch, derHauptverantwortliche für die fundamentalen Fehlentwicklungen, die Krise des IOC für beendet. Es gibt offenbar Menschen, die ihm das glauben: Seine Hofberichterstatter rufen ihn zu seinem 80. Geburtstag, den er am 17. Juli begeht, zu einer der größten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts aus. "Gemessen an den Unzulänglichkeiten anderer Geschehensbereiche der Öffentlichkeit" sei das IOC "ein Gebilde der besseren Qualität", dichtete der "NOK-Report", das Mitteilungsblättchen der deutschen Olympier. Samaranch blickt auf zwei stark divergierende Lebenshälften zurück. Seine erste Reifezeit erlebte er unter dem Generalissimus Francisco Franco. Mit der Falange kam er in den Fünfzigerjahren ins Geschäft, zu einer Zeit, da viele Katalanen die Autonomie ersehnten, mit eigener Regierung und eigener Sprache. Doch Samaranch, der Bonvivant, hörte auf, Katalanisch zu sprechen. Er pflegte fortan das klassische Spanisch, Castellano, und wurde Anhänger von Real Madrid, der Mannschaft des Regimes und Erzrivale des FC Barcelona. 1956 rückte Samaranch als Vertreter Kataloniens in den Nationalen Sportrat ein. Von nun an ging es bergauf. Gattin Maria Teresa konnte ihn dabei unterstützen, denn sie war eine gute Freundin von Francos Tochter Carmen. Diese private Nähe zu Franco schadete Samaranchs Laufbahn nie. Er wurde Stadtrat in seiner Heimatstadt Barcelona, dann Abgeordneter in Madrid, stieg dort auf zum Chef der Behörde für Sport und Körpererziehung. Wobei er neuerdings Wert darauf legt, nur Staatssekretär und keinesfalls Minister im Kabinettsrang gewesen zu sein. Francos Vorzeigesportler, dessen Kniefall vor dem Caudillo bildlich dokumentiert ist,durfte 1966 ins IOC einziehen, wo er alsbald zum Protokollchef aufstieg. 1975 starb der große Gönner Franco, als dessen "hundertprozentiger Anhänger" sich Samaranch immer bezeichnet hatte. Zwei Jahre nach Francos Tod aber hatte die Bevölkerung genug von Samaranch. An einem sonnigen Apriltag demonstrierten auf der Placa St. Jaume in Barcelona hunderttausend Katalanen. Sie wollten das Land auf die lang ersehnten freien Wahlen vorbereiten. "Samaranch, fot e camp!" skandierte die Masse, "Samaranch, hau ab!" Der Chef der Provinzregierung entwich im Schutz seiner Sicherheitsgarde durch eine Tür. Damals, als die Demokratie aufstand und seine Welt versunken war, zog Samaranch von einem diktatorischen Herrschaftssystem um in ein anderes. In Madrid, wo der Kronprinz König wurde, gab es noch einflussreiche Freunde, plötzlich war Samaranch Diplomat - er wurde 1977 nach Moskau expediert, als Botschafter für die Sowjetunion und die Mongolei. In Moskau bereitete Samaranch den Umstieg in eine persönliche kleine Diktatur vor: In den Olymp. Mit Hilfe einflussreicher Geschäftsleute wie des damaligen Adidas-Chefs Horst Dassler und des Franzosen André Guelfi, eines Schmiergeldboten, der es später in Deutschland im Zusammenhang mit der Leuna-Affäre zu trauriger Berühmtheit brachte, initiierte Samaranch seine gesellschaftspolitische Wiedergeburt. Am 16. Juli 1980, kurz vor seinem 60. Geburtstag und unmittelbar vor den boykottgeschädigten Olympischen Spielen, ließ er sich zum siebten IOC-Präsidenten küren. Schon damals waren all die flankierenden Maßnahmen zu beobachten, die später in der Sportpolitik perfektioniert werden sollten: Druck, Deals, diskrete Absprachen und Intrigen. Als "größtes Chamäleon" wurde Samaranch einst von Spaniens Gesundheitsminister Ernest Llunch bezeichnet: "Er passt sich an alles an." In der Tat gelang Samaranch eine bemerkenswerte Transformation: Vom Blauhemdträger der Falange zum Moralapostel, dem obersten Ordensherrn des Weltsports. Vom faschistischen Staatssekretär zum IOC-Präsidenten, für den in aller Welt rote Teppiche ausgerollt wurden und der bald in den Chefetagen der Großkonzerne ein- und ausgehen konnte. Horst Dassler schuf ihm mit einem bahnbrechenden Vermarktungsprogramm für die Olympischen Spiele die finanziellen Grundlagen. Von Sponsoren und TV-Anstalten wurden bald Milliardensummen eingelöst, so hatte Samaranch einiges zu verteilen: Gunst und Ämter an Funktionäre, Geld an Sportverbände, Orden an Politiker - und die Olympischen Spiele an Barcelona, um sich 1992 endlich mit seinen katalanischen Landsleuten zu versöhnen. IOC-Mitglieder heben stets beeindruckt die Arbeitswut ihres Führers hervor. Samaranch malocht mit mönchischem Eifer, er lebt asketisch und büßt für die Gruppe. "Samaranch geht früh zu Bett, geht in die Kirche, ist bescheiden", sagte IOC-Vorständler Jacques Rogge, ein Chirurg aus Gent: "Er ist ehrgeizig mit einem Hauch von Brutalität. Ihn umgibt ein Hauch von Bestimmung. Obwohl er scheu ist, glaubt er, ein Missionar zu sein." Samaranch ein Missionar? Papst Johannes Paul II. bezeichnete er einmal als seinen Helden der Wirklichkeit. Religiosität und und Familie führen die private Prioritätenliste an. Man kleidet sich klassisch, auch die Gattin ist da sehr korrekt. Scheidung ist Sünde, Sex ein Tabuthema, Abtreibung ein Verbrechen. Politisch verhält man sich konservativ, ohne selbst Politik zu machen. Man hat keine radikalen Ideen, man ist Katalane, aber immer auch Spanier, also nicht für Autonomie. Die Erziehung der Kinder findet an Privatschulen statt, so bleibt man unter sich und über dem Normalbürger. Man hat großes Vermögen und bevorzugt Bekannte mit gleicher Gesinnung und gleichem diskret-luxuriösem Lebensstil. Man fasst Kritiken stets als Attacken oder Verleumdungen auf und sagt: "Diese Fragen gefallen mir nicht." Oder man antwortet stereotyp: "Ich habe keine Fehler gemacht." Das Wörtchen "man" lässt sich immer durch Samaranch ersetzen. Das Vertrauen in Gott und sich selbst zu verlieren, sei für ihn das größte Unglück, hat Samaranch einmal gesagt. Doch unmittelbar vor den Sommerspielen 1996 in Atlanta verkündete der IOC-Boss gegenüber dem US-Kabelsender HBO kühn, seine Olympische Bewegung sei "wichtiger als die katholische Religion". Religion, Macht und Geld. Exerzitien, Glaube, Gehorsam. Geschäfte auf Gegenseitigkeit statt Kontrolle, Gedankenfreiheit und Nonkonformismus - das ist die Wertetabelle am Hofe Samaranch. Seine Bewegung lässt sich durchaus mit der katholischen Kirche vergleichen. Tatsächlich bildet auch das IOC ein Kardinalskolleg (das Exekutivkomitee), es hat Bischofskonferenzen (die Nationalen Olympischen Komitees), die sie in vielen Ländern vertreten, ein Evangelium (die Olympische Charta), einen Stifter (Pierre de Coubertin), einen Glauben (Sport), ein Symbol (Ringe), eine Liturgie (Spiele) sowie ein immenses Handelsvolumen von Dollarmilliarden. Und natürlich einen Vatikan - die prunkvolle olympische Gebäudelandschaft am Genfer Seeufer zu Lausanne. In seine olympische Hauptstadt hat Samaranch schon zehn Welt-Sportverbände beordert. Das Olympische Museum, das ewige Feuer und der Internationale Sportgerichtshof befinden sich dort. Das eigentliche Olympia, der antike griechische Ort der Spiele, ist von hier so weit entfernt wie Bethlehem vom Vatikan in Rom. Erschöpfend wird im IOC das Metaphernfeld des Begriffs Familie abgegrast. Familie, Einheit, Stärke, Einheit, Familie - das geht so pausenlos rauf und runter wie ein Mantra. Das IOC ist tatsächlich eine Familie: ohne Verwandtschaftsgrade und emotionale Bindung, in der Gewalt, die aus Abhängigkeit entsteht, zelebriert und ausgelebt wird. An der Spitze der Patron: kein brillanter Kopf, aber beseelt von ungeheurem Machtwillen. Ein abergläubischer Mensch, der ungern an Dienstagen oder Dreizehnten reist und einen spirituellen Bezug zur Zahl 17 pflegt. Mit zunehmendem Alter hat Samaranchs Außenwirkung extrem gelitten. Er wirkt oft geistesabwesend. Seine hölzernen Reden, in einem monotonen Singsang abgehalten, werden immer schwächer. Nach innen aber präsentiert er sich, unterstützt von seinen Prätorianern, immer noch als durchsetzungsfähiger, charismatischer und gewaltbereiter Führer und Beschützer. Einer, der die Interessen seiner Herde durchboxt. Als Gegenleistung entbieten die Schäfchen blinde Gefolgschaft. Gehorsam ist oberstes Prinzip in der olympischen Spezialdemokratie. Es ist ein Ritual, ein Arrangement mit der Klientel: Gehorsam gegen Protektion. Seine Exzellenz Samaranch nennt dies die "Einheit der Bewegung". Sogar in jenen Tagen im Frühjahr 1999, als es schlecht stand um die Zukunft des IOC, wurde ihm auf der Krisensession in Lausanne noch mit 86:2 Stimmen das Vertrauen ausgesprochen. Raffiniert hatte Samaranch zuvor das Gerücht gestreut, es sei eine Palastrevolution im Schwange. 86:2 - Samaranch hatte schon bessere Zeiten erlebt. Drei Mal war er im Amt bestätigt worden, und zwar durch die so genannte Akklamation. 1989, 1993 und 1997 hatte der Dienstälteste des IOC, damals der Großherzog Jean von Luxemburg, seine Kollegen statt um eine Wahl nur um Beifall gebeten. Die Freunde klatschten sich die Hände wund, kein Wunder, hatte doch Samaranch seit seinem Amtsantritt bis zum schicksalhaften Jahr 1999 alle Mitglieder selbst ausgewählt. Er hatte sogar ein persönliches Erhebungsrecht für Mitglieder durchgesetzt. Der Marqués de Samaranch bricht die Regeln nach Bedarf. Schön zu besichtigen war das auch 1995 in Budapest, als er das Alterslimit für IOC-Mitglieder auf 80 Lenze anheben ließ - für sich selbst natürlich, sonst hätte er 1997 nicht wieder antreten können. Samaranch hat nichts dem Zufall überlassen. Das wird bis zum Ende so bleiben, denn wann und wo er abtritt, das hat der olympische Zeremonienmeister längst festgelegt: in einem Jahr, am 17. Juli 2001, an seinem 81. Geburtstag. In Moskau. Dort, wo auf dem IOC-Kongress 1980 im "Haus der Gewerkschaften" seine Ära begann. J.WeinreichArtikel Berliner Zeitung vom vom 15. Juli 2000 (Von Jens Weinreich und Thomas Kistner erscheint im August im Piper Verlag das Buch "Der olympische Sumpf - die Machenschaften des IOC".) Lesen Sie dazu
auch: NOKreport 7/2000: "SAMARANCH IM WIDERSTREIT ZWISCHEN LOB UND TADEL"
von Willi Ph.Knecht |
... und Ihre Meinung....??
YOUR mail, to: / Abschicken an... :
|