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(05-08-2000)

Die "Gläserner Turnerin":
Leistungsanalyse der Turnerin Birgit Schweigert
(Argumente, die dem DTB zur Begründung für eine eventuelle Härtefallregelung durch Fam.Schweigert vorgelegt wurden.)

. Vorbemerkung:
Auch wenn in der Sportart Kunstturnen die Startplätze für die Olympischen Spiele anhand des Mannschaftsergebnisses der vorhergehenden Weltmeisterschaften vergeben werden, ist Kunstturnen eine Einzelsportart, d.h. das Mannschaftsergebnis ermittelt sich aus der Addition von Einzelergebnissen. Bei den letzten WM in China hat die deutsche Mannschaft zwei Startplätze erturnt, wobei Birgit Schweigert, als unbestritten beste deutsche Einzelturnerin hierzu entscheidend beigetragen hat.

Qualifikationskriterien für die Kunstturnerinnen

Nachdem die deutsche Mannschaft in China die Qualifikation als Mannschaft verfehlt hat, wurden folgende Kriterien für einen Einzelstart festgelegt:

  • ·Platz 10 im Mehrkampf bei der Europameisterschaft oder

  • ·Platz 6 in einem Gerätefinale.

Alle Fachleute waren sich einig, dass diese Kriterien

  • erheblich härter sind als die Normen in anderen Sportarten , und dass
  • ·Platz 10 im Mehrkampf aufgrund der Tatsache, dass die Weltelite im weiblichen Kunstturnen fast ausschließlich aus Europa stammt,

eigentlich unerreichbar ist.

Dennoch hat Birgit diese Kriterien in doppelter Hinsicht fast erfüllt:
Sie hat bei der EM zwei gleichwertige Mehrkämpfe abgeliefert und beendete das Mehrkampffinale auf Platz 12, nur ca. 0,3 Punkte hinter der Zehntplatzierten, dieses Ergebnis wurde erreicht obwohl ihr am Balken ein Fehler unterlief, der o,5 Punkte kostete. Ohne diesen Fehler wäre sie 10. geworden. Leider unterlief ihr im Mannschaftswettkampf an ihrem eigentlich stärksten Gerät Balken ebenfalls ein Fehler. Ohne diesen, hätte sie sich unstrittig für das Gerätefinale qualifiziert. Der letzte Finalplatz wurde mit 9,437 Punkten erreicht; Birgit turnte 9,05 Punkte, hätte also ohne Fehler mindestens 9,55 Punkte erhalten.
Die für Birgit eigentlich untypische Fehlerquote am Balken könnte u.a. darauf zurückzuführen sein, dass sie aufgrund einer Knieverletzung einen erheblichen Trainingsrückstand am Balken hinnehmen musste und erst ca. 10 Tage vor der WM das Balkentraining wieder aufnehmen konnte. Darüber hinaus ist der zusätzliche Druck unter dem die Turnerinnen aufgrund der Olympiakriterien standen nicht zu vernachlässigen.

Allgemeine Nominierungskriterien

Die offiziellen Nominierungskriterien beinhalten den Nachweis einer Finalchance. Die für die Kunstturnerinnen formulierten Kriterien gehen über diese Anforderung weit hinaus, da nicht die potentielle Chance nachzuweisen ist sondern das definitive Erreichen sogar einer bestimmten Platzierung im Finale.

Mehrkampfqualitätsnachweis

Im Kunstturnen wird das Mehrkampffinale unter den besten 36 Turnerinnen/ Weltmeisterschaft bzw. besten 24 Turnerinnen/ Europameisterschaft ausgeturnt. Dieses Kriterium hat Birgit doppelt erfüllt:
Sie war

  • 24. im Mehrkampffinale der Weltmeisterschaften 1999 in China und
  • 12. im Mehrkampffinale der Europameisterschaften 2000 in Paris

Der internationale Stellenwert dieses Ergebnisses zeigt sich im Vergleich zu der Platzierung der jeweils besten Turnerin der für die Olympischen Spiele qualifizierten Nationen ab Platz 8 der WM.

WM 1999

Birgit Platz 24

EM 2000

Birgit Platz 12

Land

Platz Mannschaft

Platz beste Turnerin

Platz Mannschaft

Platz beste Turnerin

Frankreich

8

29

6

-

Italien

9

15

5

11

Kanada

10

19

-

-

Großbritannien

11

26

7

10

Weißrußland

12

30

8

20

Diese Tabelle zeigt, dass Birgits Leistungsniveau auf dem Niveau der besten Turnerin der jeweiligen Nation ab Platz 8 bei den Weltmeisterschaften liegt. Die Punktdifferenzen bei der WM zwischen Platz 15 und Platz 24 ebenso wie bei der EM zwischen Platz 10 und 12 liegen im Bereich eines Fehlers (0,5 Punkte).

Birgit hat im Jahr 2000 und 1999 nachstehende Mehrkämpfe auf internationaler Ebene absolviert (lückenlose Aufstellung)

Ort

Datum

Anlass

Sprung

Barren

Balken

Boden

Mehrkampf

Platz

Paris

Mai 2000

EM Finale

9,162

9,437

* 9,137

9,175

36,911

12

Paris

Mai 2000

EM Mannschaft

9,043

9,475

* 9,050

9,437

37,005

Pottsville USA

März 2000

Internat. Turnier

9,300

9,675

9,750

9,475

38,150

1

Tianjin China

Okt. 1999

WM Finale

9,031

9,375

9,425

*8,787

36,618

24

Tianjin China

Okt. 1999

WM Mannschaft

9,049

9,312

9,337

8,850

36,536

  

Karlsruhe

Sept. 1999

LK GER/BLR

9,088

9,650

* 9,100

9,450

37,288

3

Thessaloniki Griechenland

Aug. 1999

LK GRE/GER

9,1875

9,600

9,725

9,025

37,5375

1

Bergisch Gladbach

Aug. 1999

LK GER/FRA

9,225

9,550

9,675

9,250

37,700

2

Eindhoven Niederlande

Mai 1999

LK NL/GBR/GER

9,100

9,275

9,1

9,325

36,800

1

* Übung mit 0,5 Punkte Fehler

Sie hat neben den guten Ergebnissen bei EM und WM bei internationalen Einsätzen ihr internationales Leistungsniveau u.a. durch Siege beim Einladungsturnier in Pottsville (März 2000) mit herausragenden 38,15 Punkten sowie bei den Länderkämpfen in den Niederlanden und in Griechenland bewiesen. Beim Länderkampf gegen das international wesentlich höher einzustufende Frankreich musste sie sich nur hauchdünn (0,025 Punkte) der besten Französin geschlagen geben, bei der WM platzierte Birgit sich vor der besten Französin.

Geräteergebnisse:

Birgit hat

  • - das Balkenfinale der EM nur aufgrund des Fehlers verfehlt,
  • - sich beim Weltcup in Montreux 2000 über die Qualifikation ins Barrenfinale geturnt (Finalplatz 7)
  • - sich bei Grandprix in Cottbus 1999 über die Qualifikation ins Balkenfinale geturnt und dort Platz 6 
      mit 9,65 Punkten belegt.

Ergänzend sei angemerkt, dass Birgit 1999 auf die Teilnahme am DTB Pokal aufgrund der erheblichen Fehlzeiten durch die WM 1999 aus schulischen Gründen verzichtet hat (sie befindet sich in der abiturrelevanten Stufe 12 und hat in der fraglichen Zeit Klausuren geschrieben).
Ferner hat sie am WC in Cottbus 2000 nicht teilgenommen, da in Cottbus 2000 nur 2 DTB-Turnerinnen startberechtigt waren und sie zur gleichen Zeit die aufgrund ihres WM-Ergebnisses eine an sie persönlich ergangene Einladung nach Pottsville/USA wahrgenommen hat.

Sie hat mit ihren wenigen Grandprix/Weltcup-Starts an zwei verschiedenen Geräten nicht nur die Finalqualifikation bewiesen sondern das Finale erturnt. Finalplätze bei internationalen Ereignissen erfordern in der Regel eine Endnote von 9,6 oder besser. Die obige Tabelle ihrer Wettkampfergebnisse im Mehrkampf zeigt, dass Birgits Leistungsniveau (Übungen ohne Fehler) am Balken regelmäßig über dieser Marke liegt und dass sie am Barren die Marke ebenfalls übertroffen hat..

Birgit Schweigert weist

  • mit Platz 12 bei der EM in Paris 2000 das beste Ergebnis einer deutschen Turnerin bei einer Europameisterschaft nach der Wiedervereinigung nach;
  • mit Platz 24 bei der WM 1999 in China das beste Mehrkampfergebnis einer deutschen Turnerin bei einer „großen" WM seit 1991 nach;
  • mit Platz 11 bei der Junioreneuropameisterschaft 1996 das beste Mehrkampfergebnis einer deutschen Juniorin seit der Wiedervereinigung nach.

Leistungspotential von Birgit Schweigert:
Birgit hat die o.g. Ergebnisse bei WM und EM erzielt, obwohl sie im Vorfeld beider Meisterschaften durch eine jeweils unfallbedingte Knieverletzung erheblich beeinträchtigt war und keine optimale Wettkampfvorbereitung absolvieren konnte. Sie musste insbesondere auf die Präsentation neuer übungswerterhöhender Elemente verzichten. Birgit ist mittlerweile 18 Jahre alt und hat die entwicklungsbedingt üblichen Probleme überwunden. Sie beherrscht im Training bereits neues Übungsgut, das sie noch näher an die Weltspitze heranführen wird. Im einzelnen bedeutet dies

  • Erhöhung des Ausgangswertes am Sprung: bereits bei der EM-Qualifikation hat Birgit einen neuen Sprung mit höherem Ausgangswert präsentiert. Aufgrund der später erlittenen Knieprobleme musste sie auf diesen Sprung bei der EM leider verzichten. Dennoch war sie beste Deutsche am Sprung.
  • Festigung der Ausgangswerte am Barren und Boden. Birgit verfügt an diesen Geräten über Übungen mit dem maximal möglichen Ausgangswert von 10 Punkten (bei der EM durch die Kampfgerichte anerkannt). Birgit realisiert im Training bereits neues Übungsgut, das die Attraktivität der Übungen nochmals erhöht und die Übung gegen Ausgangswertverluste bei Fehlern absichert.
  • Birgits Balkenübung genügt bereits höchsten internationalen Ansprüchen. Wie in Paris bewiesen, bleibt selbst bei einem groben Fehler der Ausgangswert erhalten. Birgit hat in Paris am Balken mit Fehler (o,5 Punkte Abzug) Wertungen von 9,05 bzw. 9,137 erhalten, d.h. die Übung wäre ohne Fehler mindestens 9,55 bzw. 9,637. Wert gewesen. Sie erhielt für die Balkenübung bereits häufiger (siehe obige Tabelle) über 9,7 Punkte. Dennoch wird auch hier an einer allerdings nur marginal möglichen Verbesserung der Übung gearbeitet.

Aufgrund der gezeigten Leistungen und des vorhandenen Potentials ist es Birgit zuzutrauen, dass sie bei den olympischen Spielen nochmals einen bedeutenden Sprung nach vorne macht. Positiv ist ferner anzumerken , dass sie bei allen internationalen Einsätzen nicht enttäuscht hat. (-schw -)

(Lesen Sie auch: "Argumentation des DTB zur NOK-Sitzung am 03.08.2000"

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