Optimistisch! |
Der Olympia-Count down läuft...:
Gut 36 Wochen oder 218 Tage vor Eröffnung der Olympischen Sommerspiele in Athen (14.-29. August) beendeten Deutschlands Turnmänner in Kienbaum ihr erstes Trainingscamp des Olympiajahres
'Grundsätzlich bin ich Optimist, sonst könnte ich schließlich keine Athleten motivieren', so der deutsche Auswahl-Chef Andreas Hirsch im GYMmedia-Gespräch....:
Halbzeitbilanz in Lernzeitphase
Nach der Zitterpartie zur WM 2003 in Anaheim (USA), wo sich Deutschlands Turner überraschend doch noch als 12. Mannschaft für die Olympischen Spiele qualifiziert hatten (Weltmeister Weißrussland versagte ebenso überraschend und landete auf Rang 13...), hatte Bundestrainer Hirsch mit seinem Trainerstab die Devise ausgegeben, in einer möglichst viermonatigen Phase des Lerntrainings von Oktober bis Februar inhaltliche Defizite im Vergleich zur Weltspitze auszugleichen.
Das eben beendete Trainingslager in Kienbaum lag in der Mitte dieser Periode. So ist durchaus eine erste Leistungseinschätzung möglich.
Piephardt in TKH-Diensten |
'Gestört' wurde die erste Phase dieser Periode nur durch die nun mal nötigen Wettkampfauftritte, wie das Arthur Gander-Memorial, den Swiss-Cup oder DTB-Pokal und durch die Herbstsaison der Deutschen Turnliga, die nach wie vor aus DTB-Sicht mehr als notwendiges Übel' gesehen wird, da die Wettkampfhäufigkeit im Widerspruch zum koordinativen und technischen Lernen steht. 'Noch immer ist es uns seit Jahren des Bemühens nicht gelungen, mal eine im Jahresverlauf störungsfreie Lernperiode zu installieren!' - so der Bundestrainer.
So war es eben nach Ansicht des Bundestrainers z.B. auch der internationalen Karriere eines Ren? Piephardt absolut nicht zuträglich, als er sich in Diensten des TK Hannover beim Europacup-Halbfinale in Charlerois - einem vergleichsweise unbedeutendem Wettkampf auf Vereinsbasis - verletzt: Mittelfußbruch und 10 Wochen Trainingsausfall.
Dreizehn deutsche Olympiakader hatte Hirsch in Kienbaum versammelt. Mit dabei waren die in Berlin konzentrierten Turner, wie
Dimitri Nonin , René Piephardt (beide SC Berlin), Sven Kwiatkowski, Tom Neupert, und Jens Uebel (alle KTV Chemnitz) sowie René Tschernitschek und Christian Berczes (beide SV Halle.
und die 'Stuttgart-Fraktion', bestehend aus
Thomas Andergassen und Stephan Zapf, aus den Cottbusern Ronny Ziesmer und Robert Juckel sowie dem Saarbrücker Eugen Spiridonow.
Mit dabei waren auch die Junioren-Auswahlturner von Coach Jens Milbradt, u.a. mit den Jung-Stars Waldemar Eichorn (Dillingen) und WM-Teilnehmer Fabian Hambüchen (Niedergirmes).
Schon im letzten November hatte Andreas Hirsch allen seinen Männern in einem Trainingslager in Stuttgart gemeinsamen mit der rumänischen Nationalmannschaft 'hautnahen' Kontakt zum Leistungsprofil dieser internationalen Spitzenmannschaft verschafft. 'Alle meine Männer haben dadurch auch ihre Postion im direkten Vergleich überprüfen können', so Hirsch, 'denn nicht alle sind ja allzuhäufig bei internatinalen Events eingesetzt.
Jetzt, sieben Monate vor Olympia, konstatierte Hirsch erste Fortschritte:
'Kienbaum zeigte, dass unser Leistungsprofil wesentlich besser ist, als zum vergleichbaren Zeitpunkt des vorigen WM-Jahres.
Einen besonderen Ruck gab es am Barren. Man entsann sich, dass einst der Cottbuser Maik Belle der Erfinder einer bestimmten Verbindung war, die sich sehr gut für stabile Barrenübungen und technisch anspruchsvolle Kombinationen eignet: Der 'Belle' - das ist der Doppelsalto rückwärts aus der Riesenfelge - bringt 0,5-Punkte (D+E) mehr für den Ausgangswert und ist für eine Verbindung dieser Schwierigkeit relativ sicher zu turnen. So trennte man sich z.B. von unsicheren Kippel-Elementen, wie der Bondarenko-Verbindung, bestehend aus 3/4-Diomidow auf 1 Holm - und Healy zurück, die nur unsicherheiten erzeugten. Hirsch aber will Athleten, die ihre Programme im Sinne des Mannschaftsresultats selbstbewußt und in allen Lagen beherrschen:
Robert Juckel, Ronny Ziesmer (SC Cottbus) |
Der deutsche Mehrkampfmeister Ronny Ziesmer war da in diesem Sinne bereits mit gutem Beispiel vorangegangen. Schon bei den Herbst-Events zeigte er seine neue Verbindung Felge-halbe Drehung, Felge, Riesenfelge-Doppelsalto (E-D-E) = 0,9) und stockte so seine Barrenübung auf 9,9 Punkte auf! 'Die Mannschaft soll nach vorn! Der achte Platz in der Qualifikation und damit das Erreichen des Olympischen Mannschaftsfinals ist realistisch!' - gibt sich Hirsch optimistisch. Dabei verweist er auf die Tatsache, dass seine Riege bereits in Anaheim zur WM achtbeste Mannschaft war - was zumindest den Vergleich der Ausgangswerte - also der inhaltlichen Substanz - betraf!
Eugen Spiridonow (TG Saar): neu im Olympiakalkül...? |
Was aber ist mit den 'deutschen Schwachstellen' Boden und Sprung?
Auch hier verweist Hirsch auf Fortschritte:
Da hatte doch z.B. Sven Kwiatkowski beim DTB-Pokal in Stuttgart bereits einen 10er-Ausgangswert angeboten - wenn auch noch nicht fehlerfrei!
Auch Ronny Ziesmer erreichte bereits 9,9 (AW) und am Abschlusstag des Trainingslagers in Kienbaum schaffte auch der Saarbrücker Eugen Spiridonow eine 9,9-Übung unter Wettkampfbedingungen und bot dabei eine Fünfer-, eine Dreierreihe, einen Doppeltwist, einen Russenwendeschwung ('Fedortschenko') und am Ende einen Tsukahara an!
Natürlich sind an Boden und Sprung keine solchen Ausnahmeathleten wie der Kanadier Kyle Shewfeldt oder Sprungkünstler und All-rounder Marian Dragulescu in Sicht, aber das Mannschaftspotential sei im Anstieg begriffen
'Ringe - Retter von Anaheim'
Für ein optimales Mannschaftsresultat sind aus Sicht des Bundestrainers unbedingt vier sichere Ringeübungen mit einem 10er-Ausgangswert nötig. 'Das hat uns letztlich zur letzten WM in den USA gerettet!', - so Hirsch.
Wenn Sven Kwiatkowski hier mehr anzubieten hätte, wäre er schon in Anaheim in seinem sonst guten Mehrkampffinale unter den 'Top Ten' der Welt gewesen, oder anders:
Gelänge dem Chemnitzer jetzt an den Ringen ein entscheidender (Kraft-)Zuwachs, wäre das nicht nur für sein persönliches Resultat gut, sondern Hirsch könnte einen weiteren Mann mit ins Olympiateam nehmen, den er statt Kwiatkowski an einem anderen Gerät einsetzen könnte - vorausgesetzt, Kwiatkowski powert stärker an den Ringen fürs Team...
Kwiatkowski: ... auch Ringe-Power möglich? |
Ein hartes Programm...!
Vor all diesen taktischen Spielerchen steht aber erst mal eine hartes halbes Jahr, mit diesen wesentlichen Etappen:
- die Weltcups in Cottbus und Lyon;
- der Olympische Testwettkampf in Athen (2 Turner);
- der Länderkampf in Leipzig (Sui, GBR, FRA (?)) und der U18-Länderkampf am gleichen Ort, die beide als Qualifikation für die Europameisterschaften in Ljubljana gelten;
- dann der Länderkampf in Dessau gegen die Tschechische Republik als letzter EM-Test;
- die Europameisterschaften in Ljubljana selbst, wo sich die Deutschen garantiert auf die energischste WM-Revanche der in Anaheim knapp gescheiterten Weißrussen und der Schweizer gefasst machen können, für die ja Olympia ausfällt;
- dann folgen die erste und zweite nationale Olympia-Qualifikation und die Deutschen Meisterschaften;
- ....und nach den Deutschen Jugendmeisterschaften in Berlin verbringen die Olympiakader 6 Wochen im Trainingscamp Kienbaum, nur noch unterbrochen durch einen Länderkampf als Olympia-Test gegen Rumänien und Italien....
... ein knallhartes Programm!
René Tschernitschek (SV Halle): ... noch einmal Olympia? |
Dabei sind die Etablierten höchst motiviert, denn sicherlich wird es für Turner wie Sven Kwiatkowski oder René Tschernitschek die letzte Möglichkeit sein, noch einmal bei Olympia zu starten;einige andere stehen noch mitten im möglichen Leistungszenit und wollen sich nahmhaft machen und planen auch darüber hinaus.
Was die Youngster anbetrifft, werden sie keineswegs unter Druck gesetzt. Obwohl der 16-jährige Fabian Hambüchen momentan mit allgemeinen Wachstumsproblemen kämpft, lässt er sich trotzdem und persönlich nicht von seinem Athenziel abbringen;
ebenso nicht der 17-jährige Waldemar Eichorn, doch deren Ziele sind in Etappen gegliedert:
Wichtig sind für sie erst einmal erfolgreiche Auftritte vor allem bei der Junioren-Europameisterschaft (Ljubljana). Man wird sehen, ob und wie sie sich dort erneut darzustellen verstehen, dann kann man Schritt für Schritt weiter planen...
Nun geht es in die letzte Etappe der besagten Lernphase und der olympische Count-Down läuft längst, nicht nur für Athen, sondern man möchte meinen auch für die nächste Zukunft des Männerturnens im Ursprungsland dieser Sportart.
Man wird sehen, wie sich das deutsche Männerturnen in den ersten Wettkämpfen des Olympiajahres und beim Auftakt zum Weltcup, dem '28. Turnier der Meister' in Cottbus im eigenen Lande, darzustellen vermag.
Was die fernere Zukunft über Athen hinaus betrifft - hier stehen entscheidende Weichenstellungen wohl noch immer aus.
Eckhard Herholz, (c) gymmedia
23-Jan-2004:
Eine Reaktion auf diesen Beitrag im Zusammenhang mit den Bemerkungen zu Bundesliga und Europapokal vom Kunstturn-Chef des TK Hannover Wulf Greite finden Sie auch auf der Website des Niedersächsischen Turnteams unter www.ntt-turnen.de