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update: 27-08-2000

Deutsche Meisterschaften nur für Profis....?
Deutsche Meisterschaften auch für Altersklassen...!

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Florian Schmid-Sorg fragte:

Früher gab es ja nur im Kunstturnen Landesmeisterschaften, seit einigen Jahren (Jahrzehnten?) ja auch im Allgemeinen Gerätturnen, doch seit wann, und wie kam es dazu? Und weshalb gibt es dort keine Deutschen Meisterschaften? Diese Fragen beziehen sich in erster Linie auf das A-Programm (Pflichtübungen); dennoch würde ich gern etwas über das B-Programm erfahren?

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Dazu Ilona Gerling - Bundesfachwartin Gerätturnen im DTB:
Um Deine Frage zu beantworten muss ich vorab etwas erklären: In den letzen 10 Jahren - nach der Zusammenführung auch der alten und neuen Bundesländer war der Deutsche Turner-Bund u.a. in zwei "Arbeitsbereiche" = Verbandsbereiche unterteilt: Der Bereich Sport kümmerte sich um die Sportarten, die internationale Meisterschaften u.ä. hatten, dazu gehören  das Kunstturnen mit seinen Deutschen Meisterschaften und internationalen Wettkämpfen und auch die Bundesliga.
Im Verbandbereich "Allgemeines Turnen"  waren die Interessen des Freizeit-, Gesundheits- und Breitensport zu vertreten;  hierzu gehört auch der Bereich Gerätturnen für alle anderen, die nicht zu den  Talentfördergruppen gehören und/oder/bzw. Kaderzugehörigkeiten besitzen.

Ich gehöre als amtierende Bundesfachwartin Gerätturnen (für alle Männer/Frauen/ Jugendliche/Kinder des Gerätturnens) diesem zweiten Verbandsbereich an.
Seit Jahren ist es mein Wunsch, "Meisterschaften" anzubieten, auch für die (zeitlich) weniger Trainierenden, die sich aber ebenfalls mit persönlich sehr guten Leistungen über verschiedene Qualifikationsebenen als die Besten ihres Bereiches qualifiziert haben. 
1993 hatte ich in Duisburg erstmals zu einer Länderkonferenz zur Entwicklung des Wettkampfwesens und Einrichtung von attraktiven Wettkämpfen für die A- und B-Wettkampfformen eingeladen. Nach langen Diskussionen hatten sich ALLE   Länderverteter des Gerätturnens der Landesturnverbände in einer Abstimmung dafür  ausgesprochen, "Meisterschaften" auch für A-Wettkämpfe (im Schüler/innenbereich) und B-Wettkämpfe in den Ländern einzuführen. Es ist nun mal Fakt, dass jede regionale und jede Stadtzeitung vor allem dann über Wettkämpfe und  Sieger/innen berichtet, damit auch die Turn-Vereine in die Zeitungen bringt, wenn es um Meisterschaften geht. Es ist ebenso Fakt, dass nur bei Meisterschaften Gelder bereit-, oder ein Bus zur Verfügung gestellt werden....! Fakt ist auch, dass nur jene "Sportler des Jahres" in einer Stadt/Kommune ausgezeichet werden, die über eine ausgeschriebene "Meisterschaft" ihren Titel erhalten haben. Ich kenne viele Fälle, wo aus hunderten von Teilnehmer/innen sich über Vereins-, Kreis-/Gauebene, Bezirksebene schließlich eine - z.B. in der B7 - als  Siegerin auf dem Treppchen einer Landesmeisterschaft befand ... und es zählte dann in der Öffentlichkeit nicht, weil es eben keine "Meisterschaft" war.

In den neuen Bundesländern gab es meines Wissens aber eine parallele Meisterschaft sowohl im "Allgemeinen Gerätturnern", als auch im Spitzenbereich, meines Wissens  bspw. in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Leider scheiterte dieser Anlauf in den meisten Landesturnverbänden auch an dem  Widerstand der "Kunstturner", die in ihren Landesturnverbänden nur eine Deutsche Meisterschaft des Kunstturnens dulden, "um nicht die Presse zu verwirren", so das Hauptargument. Wie ich zu meiner Bestürzung beobachtete, ignorierte die Presse (z.B. Kölner Stadtanzeiger) selbst eine Europameisterschaft im eigenen Land fast völlig, so ist diesem Argument kaum zu folgen. Vielmehr geht es um das Gerätturnen ansich und als Ganzes, und das sollte so oft als nur irgend möglich in die Presse kommen; denn auch die regionale Berichterstattung, ist für das Gerätturnen von immenser Bedeutung! Das bringt uns auch den Nachwuchs in die Vereine, macht Turnvereine und deren breiteste Angebote bekannt, unter dem Motto   "... ach, von dem Verein habe ich viel gelesen, da passiert was, die leisten gute Arbeit, da muss ich meine Tochter mal anmelden...".
Aus welchem Grund also dulden die "Kunstturner" keine weitere Meisterschaft neben der ihrigen, die zur Qualifikation einer  Deutschen Meisterschaft Kunstturnen führt....?

Wir (- der Bundesfachausschuss Gerätturnen) wollten versuchen, wegbereitend auf nationaler Ebene für unsere Leistungsstärksten -die Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren und älter - eine deutsche Meisterschaft des "Allgemeinen Gerätturnens" mit der B10 einzurichten!
So gab es im Sommer 1997 ein intensives Gespräch mit dem Vorsitzenden des Technischen Kommitees Männer Eberhard Gienger, der Vorsitzende des Technischen Kommitees Frauen Ulla Koch und dem Bundeskampfricherwart männlich Sigfried Funk: Sie vertraten damals den Standpunkt, dass es keine "konkurierenden Meisterschaften" zu der ihren geben sollte. Viele wichtigen Dinge wurden uns für unser allgemeines Gerätturnen seitens des Kunstturnens zugesprochen - mit dem Preis und dem Zusichern, dass wir für das allgemeine Turnen keine "Deutschen Meisterschaften" ausrichten. Wir haben seit dem auf Bundesebene das "Bundesfinale Einzel B10" mit Qualifikationspflicht auf Landeseben und Gleiches für die Vereinsmannschaften mit großem Erfolg bis zu diesem Jahr durchgeführt. Fast alle Landesturnverbände (wir haben an die 20) hatten ihre qualifizierten Turner/innen geschickt - nur 7 Landesturnverbände braucht man normalerweise -laut Turnordnung- als Voraussetzung, um Deutsche Meisterschaften durchführen zu können! Der Bedarf ist also eindeutig da!

Jeder Landesturnverband besitzt das Recht "Herr seiner Reusen" zu sein, so haben trotz alledem einige Landesturnverbände - mit viel Erfolg und hohem Motivationszuspruch der Teilnehmer und einem enormen Anstieg an Mannschaften und Einzelturner/innen - ihre Vereins-, Gau-, Kreis-, Bezirks und auch Landesmeisterschaften, für den Schülerbereich im A-Wettkampf, für die Jugendlichen im B-Wettkampfbereich. Es dauert m.E. noch etwas, bis es in allen Köpfen drin ist, das es um die Existenz unseres Gerätturnens geht und nicht um Prestigehabe.

Ein großer Erfolg ist uns aber jetzt doch gelungen:
Dieses Jahr finden erstmals "Deutsche Meisterschaften der Senioren"  im Oktober in Leipzig statt!
Diese konkurieren nämlich - altersbedingt - gar nicht mit dem "Kunstturnen".
Um den Bedarf nachzuweisen, hatten wir als "Pilotprojekt" 1999 einen "DTB-Bundeswettkampf der Senioren" in Markkleeberg durchgeführt - und 250 ältere Turner kamen !!! Unterschriften wurden für eine deutsche Meisterschaft gesammelt, und nun gibt es sie also, die Premiere in diesem Jahr! Es war auch nicht zu verstanden, warum es für die Leichtathleten der Senioren selbst Weltmeisterschaften gibt, nicht aber für unsere Turn-Senioren. Auf jedem Landes- und Deutschen Turnfest kann man die Leistungsfähigkeit dieser älteren Turner bewundern! Die sehen ein Vielfaches besser aus, als so manche Marathonläufer auf den letzten Kilometern ... dort stürzt sich die Presse auch nicht auf die Älteren mit abfälligen Bemerkungen, sondern schreibt mit Bewunderung über deren Leistungsfähigkeit und Motivation, obwohl auch ihnen die körperliche Anstrengung anzusehen ist!

Mit dem Deutschen Turntag verändert sich die Struktur des Deutschen Turner-Bundes.
Dabei werden die Bereiche "Kunstturnen" und Gerätturnen zu einem Technischen Komitee (TK) im Verbandsbereich "Sportartenentwicklung" zusammengefasst, das sich als politisches Gremium mit einer Gesamtverantwortung für alle Belange des Gerätturnens versteht, d.h. Weichen stellt, die Zukunft des Gerätturnens plant und steuert. Die Sportart Gerätturnen soll die Gesamtentwicklung einer Sportart, in der gesamten Breite und Vielfalt vom Breiten- und Freizeitsport bis zum Hochleistungssport aus einem Guss gestalten. Ab jetzt gibt es laut Satzung und Turnordnung nur noch den Begriff "Gerätturnen" für die große Familie - wie in der damaligen DDR übrigens auch. (Anm.: - dort unterschied man damals die Begriffe Turnen- Gerätturnen- Leistungsgerätturnen und beschrieb damit den allgemeine Breitensport, den leistungsorientierten Wettkampfsport bis hin zum Hochleistungssport der Nationalkader. die Red. ) Der Bereich der Kaderbetreuung und damit auch die Talentförderung, die Betreuung der Nationalmannschaft geschieht in einem gesonderten Verbandsbereich (Olympische Sportarten) in Lenkungsstäben. Deutsche Meisterschaften, Bundesliga und Bundesfinale Einzel und Mannschaft... Männer, Frauen, Jugendliche und Kinder, alles ist in Zukunft von einem Technischen Komitee zu steuern und lenken.

Wünschen wir dem neuen Technischen Komitte ein gutes Händchen für unser Gerätturnen!
Die Zukunft bleibt spannend. Warum soll es nicht neben einer breiten Amateurklasse vieler Turnenden an den Geräten neben den Profis der Nationalmannschaft, in den Hochleistungzentren und der ersten Bundesliga geben! Das schärft den Blick fürs Ganze!
Alle sind aufgerufen, sich aktiv für die Zukunft unseres Gerätturnens einzusetzen, jede/r auf seine Weise mit seinen/ihren Möglichkeiten und Mittel, für seinen/ihren Bereich.

Mit turnerischen Grüßen und alles Gute!

Ilona Gerling / Bundesfachwartin Gerätturnen im DTB 

Lesen Sie dazu auch:

- "Strukturvorschlag Alters-/Leistungsklassen im Gerätturnen" ( - von Falk Naundorf)
 
- "Gedanken zu Problemen des Gerätturnens als Wettkampfsport"    (- von Thomas Albrecht).

Im Turnmagazin LEON* 4/2000 erscheint Mitte August eine Turn-Bilanz der letzten 10 Jahre: "One and One is One...?"

Wir veröffentlichen gern weitere Wortmeldungen und Meinungen zu diesen oder ähnlichen Problemen, unter dem Motto...:

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"Ist der deutsche Turnsport noch zu retten...?"

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