. |
In den letzten 10 Jahren ist es dem DTB
erfolgreich gelungen, seine Kernsportart Turnen in der Bedeutungslosigkeit
versinken zu lassen. Warum das so ist .....?
Ich bin mir jedenfalls zu 110% sicher, dass es nicht an den Kindern liegt, die angeblich
nicht mehr für das Turnen zu begeistern sind. In meinem Verein trainiere ich den
männlichen Nachwuchs. Die sind bis zu 4mal in der Woche zum Training in der Halle - es
zwingt sie doch keiner, zu kommen. Bei uns kleinem Vereinchen ist eh schon reichlich
Betrieb in der Halle; in den letzten Herbstferien sind auch noch 2 Neue - ein
Neunjaehriger und ein Zehnjaehriger - gekommen und seit Mittwoch ist bei uns ein
14-jaehriger, dem der Schulsport zu albern ist und der richtig anfangen will, zu turnen.
Ich will damit sagen:
Hochmotivierter, belastbarer Nachwuchs ist da. Aber das reicht eben nicht..."Leistunssportler - Freizeitturner -Kunstturnen..."?
Ich bin ein Gegner dieser strikten Trennung in die guten Freizeit
Turner und die bösen Kunstturner. (Prinzipiell finde ich schon das
Wortkonstrukt Kunstturnen albern ...). Dieser Konflikt kommt mir aber
hausgemacht vor und scheint auch aus einer Überheblichkeit von beiden Seiten zu kommen.
Die einen wollen mit diesen Vereins - Dorftrotteln nichts zu tun haben und die andern
meinen, mit dieser menschenverachtenden Leistungsmühle... na ja, diese
Diskussionsbeiträge brauche ich hier wohl nicht weiter auszuführen, die dürften
weidlich bekannt sein. Aber anstatt endlich für eine klare Linie zu sorgen, heizt unsere
DTBFührung dieses Gezänk noch so richtig an. Kein Wunder, daß die Presse ein
gefundenes Fressen hat! Grundsätzlich glaube ich, daß wir in unserer Sportart nicht ohne
eine Zuordnung der Aktiven in verschiedene Wettkampfprogrammebenen auskommen. Im Fußball
können im Prinzip alle nach den gleichen Regeln spielen. Wenn der Ball über die Linie
geht, ist Tor und wenn einer zu weit vorrennt, ist er halt im Abseits. Leichtathleten
knien sich ins Startloch und rennen los, wenns peng macht. Und wenn sie über die
Ziellinie laufen, wird die Stoppuhr angehalten. Egal, welche Leistungsebene das gerade
ist. Im Turnen ist das wesentlich komplizierter. Hier ist es eigentlich unmöglich, alle
nach der gleichen Bibel beten zu lassen. Will heißen: von allen die Anforderungen des CdP
zu verlangen. Ich kann unmöglich von einem, der vielleicht einmal die Woche trainiert,
dasselbe
Wettkampfprogramm verlangen, wie von einem Vollprofi, der 5 oder 6 mal in der Woche
jeweils bis zu zwei Trainingseinheiten absolviert. Hier haben wir es also nicht mit
verschiedenen Leistungsstufen zu tun, sondern mit zwei grundsätzlich verschiedenen
Qualitäten einundderselben Sache. An diesem Punkt sehe ich die Crux unserer Sportart:
eine Schere, die sich schon in recht frühem Alter entwickelt und die später (nach oben)
kaum zu überwinden ist. Wie will ich das in ein Programmsystem stopfen, in dem man je
nach aktuellem Leistungsvermögen hin- und herwechseln kann, ohne daß die einen
überfordert werden und die Lust verlieren (oder viel zu hohe Risiken eingehen) oder sich
auf den Schwanz getreten fühlen, weil Leistungssportler bei
Breitensportlern mitmachen wollen und ohne daß die anderen sagen: Ja, mit
eurem Sch...programm, das kann ja nix werden in Deutschland und so weiter?
Werner Frerichs (Anm: Nachwuchstrainer männlich; Schleswig H.) hat recht, wenn er
sagt, daß die bisherigen Programmsysteme alle nicht so recht der Weisheit letzter Schluß
sind. Aber seine Feststellung, daß viele Vereine aus rein strategischen Überlegungen die
Finger von den AK Stufen lassen, stimmt glaube ich so nicht.
Der DTB lebt z. B. im Gegensatz zu Frankreich nicht von seinen
Spitzenleuten und der France Telecom als dickem Sponsor in Hinterhand, sondern
von seinen vielen Vereinen. Bei uns hier im Osten sind die Vereine zudem viel, viel
kleiner als im Westen. Gerade diese Vereine existieren überhaupt nur durch den
Enthusiasmus von ein oder zwei Turnverrückten. Diese für mich unschätzbaren
Leute haben oftmals gerade ausreichende Übungsleiterkenntnisse. Nach ihrer Arbeit lassen
sie ein- oder zweimal in der Woche alles stehen und liegen und stellen sich in die
Turnhalle. Dort sind sie dann Trainer und Organisator und Buchhalter und was nicht alles
noch in Personalunion. Und das alles vielleicht für `nen Appel und ein Ei. Meist auch nur
für einen Tritt in den Hintern: Was bist du auch so blöde und ziehst dir das über... In
diesen Vereinen ist es weder technisch noch von der Trainingsintensität her möglich, die
gleichen oder ähnliche Elemente zu trainieren wie in einem der Riesenvereine oder
Stützpunkte, die eigene Hallen ( = permanente Turn Turnhallen) und eigene
Teilzeit- oder sogar voll angestellte Leute haben. Hier wird ein Fünftkläßler langsam
an seine ersten C Teile herangeführt; der Gleichaltrige aus dem Miniverein hat zu
tun, überhaupt erstmal richtige A Teile zu turnen. Eine einfache
Rückwärtsrolle taucht im Code nicht auf; und bis die Rückwärtsrolle im Handstand ist,
dauert halt bei einem möglichen Training in der Woche doch etwas länger. Oft ist nicht
einmal ein zweites Training in der Woche möglich weil einfach keine Hallenzeiten
zu bekommen sind. Fußballer haben in dieser Beziehung eine ganz andere Lobby. Ganz
abgesehen von der schlechteren Qualität der Geräte, die ja ständig auf- und abgebaut
werden müssen (vgl. z. B. ausgerollter Läufer < -- > 12x12 Boden).
Aber auch unter diesen Bedingungen glaube ich, daß für unsere Sportart weit mehr
herauszuholen ist.
Vielleicht sollte man nicht alle EVENTUELL geeigneten Kinder sofort in Leistungszentren
abziehen wollen. Ein für meine Begriffe viel, viel wichtigerer Schritt ist die Anhebung
des allgemeinen Niveaus der Übungsleiter in den Vereinen. Es müssen unbedingt
niveauvolle und praktisch nutzbare Aus- und Weiterbildungsangebote her. Das muß nicht
immer der große Lektor aus dem Olymp der Nationaltrainer sein schon der Anstoß zu
einem regelmäßigen und moderierten Austausch zwischen den Vereinen würde Welten
bewegen. Außerdem bin ich der Überzeugung, daß auch in den niedrigeren Niveauebenen
nationale Richtlinien für die Aus- und Weiterbildung der Übungsleiter mit Zielrichtung
TURNEN dringend notwendig sind. Anwendung und Inhalte dürfen nicht dem Selbstlauf auf
Landes- und Kreisebene überlassen werden!!! Das wird dann langsam, aber sicher auch der
Bekanntheit der Sportart TURNEN in der Bevölkerung guttun.
Hier sollte man vielleicht auch einmal die Bergiffsbestimmung Turnen
überdenken.
Eierlaufen, Sackhüpfen und Theaterspielen können nicht Existenzgrundlage von
Turnvereinen sein. Ich habe auch ein Problem damit, daß ein Turnverein z. B. als
Rückgrat eigene Schwimmer unterhält. Schwimmer haben ihren eigenen Fachverband, da
sollten wir als Turner uns eigentlich heraushalten. Das läßt sich mit Volleyballern,
Leichtathleten usw. fortsetzen. Auf der anderen Seite wird in einem großen Teil der
Turnvereine gar nicht GETURNT (im Sinne der Sportart Turnen) das verstehe, wer
will.
Zu kompliziertes Turnregelwerk
Außer einigen wenigen eingeweihten kann kein Schwein die Regeln unserer Sportart
begreifen. Der Weg, den die FIG zur Zeit geht, ist falsch. Ich kann nicht die Bekanntheit
einer Sportart erhöhen wollen, in dem ich die Bevölkerung mit einer Menge von sicherlich
hochkarätigen Wettkämpfen eindecken will aber kein Elternteil, das von
begeisterten Kindern mitgeschleppt worden ist, begreift, wer, warum, welche Wertung
bekommt. Weil um Gerechtigkeit zu schaffen die WV immer
komplizierter werden, sogar 2 Wertungen für eine Übung gefunden werden sollen. Mit einem
derart komplizierten Regelwerk, wie wir es derzeit im natioalen/internationalen Bereich
haben, kann ich kein vielleicht latent vorhandenes Interesse für das Turnen wecken
ich verschrecke die Leute nur. Damit kriege ich die Kinder nicht mehr in die Halle.
Und hier beißt sich die Katze in den Schwanz..
Eine Forum-Beitrag von Thomas Albrecht
-aktiver Übungsleiter Turnen-
(Hervorhebungen: Gymmedia-Red.
-26-12-99)
Lesen Sie dazu auch:
- " Deutsche Meisterschaften auch im Allgemeinen
Bereich Gerätturnen" (- von Ilona Gerling /Bundesfachwartin des DTB)
Auch im Turnmagazin LEON*
4/2000 erscheint Mitte August eine Turn-Bilanz der letzten 10 Jahre:
"One and One is One...?" |