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Kommentar
von Eckhard Herholz:
Dieser Mann Andreas Wecker ist schon ein Glücksfall für den
Deutschen Turner-Bund. Zöge man einmal alle seine individuellen Erfolge und seine
Einzelleistungen von der DTB-Team-Bilanz des ganzen letzten Jahrzehnts ab - ohne dabei die
Leistungen der Weltmeister Ralf Büchner (Reck '91) etwa oder Waleri Belenki
(Pauschenpferd '97) und anderer in Abrede stellen zu wollen:
Es ergäbe ein erschreckendes Bild von Mittelmäßigkeit. |
Und gerade eingangs
des Olympiajahres wird die Misere besonders deutlich: Die -pardon -
"Auslaufmodelle" bestimmen das deutsche Männerturnniveau! Hut ab natürlich vor
den Leistungen von Peter Nikiferow (28 Jahre), Sergei Charkow (29) oder Andreas Wecker
(30), deren persönliche Auftritte keineswegs in der Kritik stehen, im Gegenteil! Was
diese Männer in der Weltspitze leisten, ist aller Ehren Wert. Sich in den Finals des
Weltcups von Cottbus zu platzieren, die von ihrer Besetzung auch einer Weltmeisterschaft
zur Ehre gereicht hätten, das ist schon bemerkenswert! Und beeindruckend ist auch das
strategische Kalkül eines "ehemaligen" Herrn der Ringe, der da schon seinen
Abstand zu den heutigen, jüngeren Superstars an diesem Gerät und deren souveränen
Kraftkombinationen sieht: Andreas Wecker erkannte klar, dass seine
Chancen vielleicht nun eher am Barren liegen, investierte dort seine Kraft und, siehe
da, der erste Weltcup-Wecker-Barrensieg in Cottbus bestätigt die coole Überlegung des
vielseitigen Strategen Wecker. Nicht umsonst ist er der neben dem heutigen Cottbuser
Turnierdirektor und früheren Barren-Weltmeister Sylvio Kroll einzige
Mehrkampfmedaillengewinner bei Weltmeisterschaften (1993).. (Sprungkünstler Kroll, bei
dem auch alle eine Medaille an seinem Spezialgerät erhofften, der machte WM-Gold in
Montreal 1985 auch zur Überraschung aller - am Barren.)
Aber die Siegertypen des Olympiajahres 2000 und Leistungsträger ihrer Länder sind
- siehe Dragulescu, Sapronenko, Beresch sind fast zehn Jahre jünger!
Stellt sich die erste Frage:
Warum sind Deutschlands Newcomer noch immer in der zweiten Reihe?
Da steht nur "Oldy" Nikiferow beim vorolympischen Auftakt Ende Februar im
Superdome von Sydney zweimal im Finale, wird gar Zweiter am Sprung und Dritter am Barren.
Der um Jahre jüngere Chemnitzer Sven Kwiatkowski schlägt sich als
Mehrkampf-Neunter zwar achtbar, ins Rampenlicht turnt er sich aber (noch) nicht.
Eine Bronze-Medaille am Barren bei den "World Stars"-Wettbewerben in
Moskau holt nicht der 23 jährige Hannoveraner Sergei Pfeifer, sondern dessen 32 (!!)
jähriger TKH-Clubkamerad Marius Toba.
Zum Weltcup-Jahresauftakt vor einer Woche in Montreux finden die eigentlich längst
nicht mehr namenlosen Dmitri Nonin (EM-Dritter 1998, Reck; 21 J.) oder Renè
Tschernitschek (WM-Finalist '99, Sprung; 23 J.) nur in der Qualifikationsrunde
statt: Ins Finale aber turnt sich der Dillinger Sergei Charkow als Fünfter an den Ringen,
der einmal mit 17 Jahren jüngster Turn-Olympiasieger der Geschichte war (Seoul 1988,
Boden).
Und die zweite Frage:
Was wird n a c h Sydney - wenn sie abtreten, die Stars
der Neunziger Jahre, wie Belenki, Charkow, Nikiferow, Toba ...und Wecker, der zwar
aussieht und turnt, als könne er die ganze Turnwelt noch einreißen, der aber unter
Garantie 2004 nicht mehr zu olympischem Ruhme streben wird?
"Menschenskinder, was wäre, wenn wir diesen Wecker schon in diesem Jahr nicht
mehr hätten...?", sagte ein TV-Journalisten-Kollege beim Super-Weltcup von Cottbus.
Solch flächige Übertragungen der ARD (ORB, WDR, SFB) und die ZDF-Präsenz durch die
"Sportreportage" wären zweifelsfrei nicht zustande gekommen wegen fünfter oder
siebenter Finalplätze deutscher Turnerinnen und Turner, die gnadenlos als Arbeitserfolge
und schon längst aus den Headlines aussortiert werden.
Was Vorbildwirkung auf den jüngeren Kaderstamm angeht lobte Bundestrainer
Rainer Hanschke vor allem Nikiferow und Wecker, und schränkt allerdings
ein: " Was Charkow angeht, trifft das nicht zu. Beispielgebend aber ist
schon die Wettkampfhärte, die Frage zum Beispiel, wie gehe ich denn ans Gerät. Ihre
Leistung im entscheidenden Augenblick umsetzen, da müssen die Jüngeren erst noch lernen.
Man muss bei ihnen noch mehrere Abstriche machen, nämlich dann, wenn es darauf ankommt,
alle Möglichkeiten auszuschöpfen."
Unter strategischer Olympia-Sicht wird da wohl noch kein neuer konzeptioneller
Ansatz bei den bevorstehenden Europameisterschaften im Lande (Bremen, 24.-26.Mai) dieses
Jahres zu sehen sein, für die DTB-Sportdirektor Wolfgang
Willam die Ziele wie folgt umreißt: "Wir wollen in Bremen unseren dritten
Platz mit der Mannschaft verteidigen. Eine Medaille ist Pflicht, egal wo. Eine zweite
Medaille ist Ziel".
Da werden sie also in Deutschland dringend gesucht, die Stars und Profile des neuen
Turnjahrtausends.
Außer Ansätzen und eben den Leistungen der Etablierten ist da noch wenig zu
sehen......
Eckhard Herholz/GYMmedia
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