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Als erste Reaktion auf die
beiden letzteren Interviews erhielten wir den folgenden FORUM-Beitrag von Hans-Jürgen
Zeume: |
Abschied mit
Abrechnungen
In der neuesten Ausgabe der Zeitschrift "Olympisches Turnen aktuell"
haben zwei Frauen in drastischen Sätzen eine Abrechnung mit dem Deutschen Turner-Bund
vorgenommen, die zehn Jahre nach dem Vereinigungs-Prozess ein neues Selbstbewußtsein der
früheren DDR-Bürger signalisieren. Sie haben gewissermaßen Klartext geredet.
Christa Herrmann, im vereinten deutschen Turnen als Kampfrichter-Chefin
wirksam, führte in einem Interview aus: "Ich hasse das Materielle, das in den
Leistungssport eingezogen ist. Es geht alles nur noch um Geld, das finde ich schrecklich.
Zu DDR-Zeiten waren die Turnerinnen ja noch motiviert. Wenn man in der Nationalmannschaft
war, konnte man irgendwo hinreisen. Kam man mal raus. Bei Italien weiß ich, dass die
Turnerinnen voll von ihrem Verband unterstützt werden. Da stehen alle dahinter! Unsere
Turnerinnen haben überhaupt keine Lobby im DTB. Ich habe zum Beispiel zu keinem
Länderkampf der Damenmannschaft unseren Präsidenten, den Generalsekretär oder den
Sportdirektor, Herrn Willam, gesehen. Sehr schade für uns."
Aus der Sicht der Turnerinnen, die im Quartett nach den WM ihren
Rücktritt erklärten, schilderte Katrin Kewitz (SC Berlin) das bornierte
Auftreten des Sportdirektors während der WM-Tage. "Dann hat der Herr Willam mich als
"Zicke" beschimpft und gedroht, "wenn das so weitergeht, dann kriegst Du
keine Kadergelder mehr!" Ich hatte mich zu schnell aufgegeben, aber son Typ bin
ich halt. Willam, der weiß doch gar nicht, wieviel Arbeit dahintersteckt, der war in der
ganzen Zeit nur einmal beim Training."
Christa Herrmann hatte seit den WM 1970 in Ljubljana als Betreuerin der
DDR-Riegen und internationale Kampfrichterin einen riesengroßen Fundus Erfahrungen
sammeln können. Auf den der früheren Cheftrainerin im SC Einheit Dresden legte man im
DTB nach dem Anschluß des DTV keinen Wert: "Es war deprimierend, wie alles
zusammenrutsche, was einmal wichtig war. Immerhin hatte ich schon 32 Trainerjahre auf dem
Buckel und war von heute auf morgen arbeitslos! Ich habe dann ein Jahr ein ABM-Projekt
aufgebaut - "Mutter und Kind Turnen" - ein völlig neues Gebiet für uns, aber
es hat mir sehr viel Spaß gemacht, und ich betreue heute noch zirka 60 Kinder im Alter
von 2 bis 5 Jahren.."
Katrin Kewitz will künftig mit einer Showgruppe für die modernen Formen
des Turnens werben und einmal Sportjournalistin werden. Ihr Entschluß, aufzuhören, war
gefallen, als Cheftrainer Dieter Koch bei der WM-Pressekonferenz die Turnerinnen
beschimpfte und sich selbst aus der Kritik heraus nahm. "Meine Eltern haben danach
einen Brief an Dieckert geschrieben, den Präsidenten, dass das so nicht geht, uns die
ganze Schuld zu geben. Aber der hat nur so Blaba zurückgeschrieben, der hat ja auch kaum
Ahnung von der Sportart, der weiß ja kaum, wer wir sind."
An ziemlich versteckter Stelle fanden wir im jüngsten "OTA"-Journal diese
Meldung: "Im Rahmen der Siegerehrung der Schweizer Meisterschaften 1999 im
Kunstturnen gab es für Dieter Hofmann eine besondere Würdigung. Der ehemalige
Cheftrainer der einst so erfolgreichen DDR-Riege und jetzige Cheftrainer des
Kunstturnzentrum Liestal/Schweiz, wurde für seine langjährigen Verdienste bei der
Entwicklung des internationalen Kunstturnens mit dem Ehrendiplom der FIG ausgezeichnet.
Die Ehrung (der Weltturnföderation) wurde stellvertretend durch den Präsidenten des
Schweizerischen Turnverbandes, Paul Engelmann, vorgenommen." - Von einer ähnlichen
Ehrung für Herrn Willam ist uns nichts bekannt.
(Berlin, den 22.02.2000
/ Hans-Jürgen Zeume) |