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Leider blieb es dabei, und ohne Tagesordnung beging dann der Gastgeber
und Hausherr noch den strategischen Fehler, dass er nach dem Prolog
sofort und als erstes dem Gast, dem DTB-Präsidenten Rainer
Brechtken das Wort zu einem ausführlichen Statement
erteilte. Und wer den Politiker Brechtken kennt weiß, dass er das zu nutzen versteht! Stehenden Fußes kam er direkt vom Landesturntag des Badischen Turnerbundes, wo er sich eben vehement und kämpferisch zum Spitzensport bekannt hatte: "Unsere Aufgaben in der nächsten Zeit muss es sein sich stärker für den Spitzensport zu engagieren, nur so werden wir als Verband wieder wahrgenommen, ja in Zukunft überhaupt noch ernst genommen", sagte er dort, und verstand es auch in Chemnitz, sich derart ins Zeug zu legen. Es ist schon ein klasse Mann, nicht vergleichbar mit seinem Vorgänger, der solcherart Auftritte - wenn überhaupt - nur widerwillig und eher über sich ergehen ließ. Damit war aber erst einmal der Wind im falschen Segel. Damit hatten die Initiatoren des Kongresses sich die Initiative selbst aus der Hand gegeben. Statt in grundsätzlichen Darlegungen ihre eigenen Positionen und Argumente auf den Punkt zu bringen, die Sorgen und Bedenken der Leistungs- und Wettkampfsportpraxis zu artikulieren, als Vorschläge oder Forderungen an den Dachverband zu postulieren, waren sie nun gezwungen, in Defensive auf den DTB-Präsidenten zu reagieren. Ein eigentliches Grundsatzreferat - das von Eckhard Herholz gehalten werden sollte - war mit seinen Inhalten dann nicht mehr halb so viel wert, waren doch die Themenfelder vorher schon längst von Brechtken beackert worden: > So hatte Brechtken erst einmal gleich zu Beginn geklärt, dass es "keine materiellen Ressourcen für entscheidende Veränderungen gäbe...", - ".. wir werden uns das nicht leisten können...", haben nur "beschränkte Möglichkeiten...".. die Blütenträume einiger sind in der Praxis nicht umsetzbar...". Das belegte er dann mit den Zahlen des DTB-Budgets, stellte Kosten, Ausgaben, Einnahmen gegenüber... Und man kann sicher sein, dass auch der für Finanzen zuständige Vize-Präsident Werner Luchtmeier in Braunschweig auf dem Turntag freudestrahlend erklären, wird dass es wieder einmal gelungen sei, Beitragserhöhungen vom Deutschen Turner-Bund abzuwenden.... Was sind danach noch Einwände wert, die trotzdem stärkeres finanzielles DTB-Engagement für den Spitzen- und Wettkampfsport fordern...? > Und zur DTB-Struktur sagte Brechtken, dass es nicht darum ginge, die (neuen) Strukturen in Frage zu stellen, denn ".. vielmehr haben wir bloß ein Kommunikationsproblem..." (Brechtken war schließlich einer der Baumeister der neuen Struktur des DTB, die vor 2 Jahren eingeführt wurde!) Na, fein - muss da der neutrale Beobachter denken - da brauchen die doch einfach nur besser miteinander umzugehen, und schon lassen sich alle Probleme lösen. Und tatsächlich auch, schwenkte das Auditorium dann (leider) um, und sprach wie so oft wieder über die Dinge die man ändern müsse, im Alltag, an sich selbst, an anderen, miteinander, gegeneinander..... wie schon tausendmal zuvor auch. Das Thema - Perspektiv-Kongress - schien damit aufgeweicht. Sollte nicht grundsätzlich diskutiert, in Frage gestellt werden, Lösungsvorschläge benannt und Änderungen vorgeschlagen werden...? Und leider erst nach mehreren Stunden kam dann etwas, was man sich als Eingangsprovokation v o r allen Debatten gewünscht hätte: Der für Nachwuchs im Lande zuständige Bundestrainer Andreas Hirsch berichtete: "Wisst Ihr, da waren doch die französischen Männer unlängst mehrere Wochen zum Training in China...! Die kamen alle mit jeweils 4 kg Körpergewicht weniger zurück! Was soll ich sagen, dort trainieren die Athleten 35 - 38 Stunden pro Woche, fast 8 Stunden am Tag. Das sind unsere sportlichen Gegner, gegen die müssen wir antreten." Ich weiß nicht, welcher Turner hierzulande zu solchen Konsequenzen bereit ist, ich weiß nicht, ob wir hier in Deutschland Bedingungen schaffen können, damit wir nur annähernd in höhere Leistungsbereiche kommen...! Genau das hätte Stunden zuvor, der Ausgangspunkt der Situation sein müssen! Nun will niemand "chinesische Verhältnisse" nach Deutschland holen, aber diesen Aufenthalt der Franzosen müsste man eigentlich einmal den ehrenamtlichen Gremien des Spitzensports empfehlen. Da gäbe es dann sicher nach deren Rückkehr zwei Konsequenzen. Die erste mögliche wäre: ... um Himmels Willen! ... das gehört aber abgeschafft! Die zweite aber, könnte sein: Ja, wenn das so ist, dann müssen wir aber nun tatsächlich etwas verändern. Und genau das ist auch zu diesem Kongress in Chemnitz nicht leidenschaftlich genug auf den Punkt gebracht worden. Natürlich wurden wichtige Details richtig angesprochen: - Der mangelnde Informationsfluss vom Trainerrat zum Lenkungsstab, die von dort aus oft fehlende Konsequenz der Umsetzung. Vom durchaus anwesenden Sportdirektor Wolfgang Willam, der ja zugleich Vorsitzender des Lenkungsstabes ist, war so gut wie gar nichts zu hören, wenn er auch im Verhältnis zum Thema in einer kläglichen Wortmeldung darauf verwies, dass doch die Anzahl der Zehner-Ausgangswerte der Turner gegenüber der EM Patras bis jetzt entscheidend erhöht seien....!? Einspruch Eurer Ehren: Alle geplanten WM-Inhalte konnten zum Dreiländerkampf in der Schweiz nicht im Wettkampf umgesetzt werden. Das Auftreten deutscher Turner zum zeitgleichen Kongresstermin beim Weltcup in Paris und der momentane Gesundheitszustand der deutschen Turnspitzen gleicht einem neuerlichen Desaster.... (Es muss wohl an dieser Stelle die selbst auferlegte Kongressdisziplin der Anwesenden gewesen sein, hier keine Personaldebatten zu führen, dass dieser Einwurf von niemandem vertieft wurde!) - ... oder die glücklicher Weise als Fehlentwicklung erkannte und vor der Korrektur stehenden Aktivitäten des TK Gerätturnen im Sinne einheitlicher Bewertungssysteme (- statt Lummer-Konzept nun Fetzer-Vorschlag). - Oder die Fragen von Kompetenz oder Nichtkompetenz von Entscheidungsgremien. Hier führte vor allem Lutz Wiedemann aus Halle auch dem Leistungssport den Spiegel vor, indem er die mangelhafte Aktivität bei der Besetzung solcher Kommissionen durch Leistungssportvertreter selbst anmahnte. Man muss sich dann nicht wundern, wenn fleißige Breitensportfunktionäre in löblicher Absicht dem Spitzensport Vorschriften machen wollen. All diese Dinge und noch mehr, waren wichtig, wurden mit Sachverstand diskutiert, angemahnt. Deshalb war der Kongress auch gut und richtig, dass es ihn überhaupt gab. Wenn da ein fehlender Vize-Präsident Sport Zacharias in Terminplanschwierigkeiten gerät, ist das sehr bedauerlich. Allerdings war nach Atlanta, waren nach Tianjin, nach Sydney und nach Gent der Gelegenheiten genug, einen derartigen Spitzesportkongress selbst in Szene zu setzen. Der Deutschen Turnliga jetzt Inkompetenz oder andere Vorwürfe zu machen, zeugt von wenig Achtung gegenüber der Sorge anderer um die gemeinsame Sache. So gesehen war dieser Kongress dann doch ein Erfolg, weil er zumindest ein Zeichen setzte, dass hier Zukunftsfragen dringend zu stellen sind. Ob man nun die mehr oder weniger vorhandenen oder einsetzbaren Turner in Berlin oder Chemnitz, in Cottbus, Halle, Stuttgart oder Kienbaum trainieren lässt, mag zwar momentan eine strategische Frage unter dem Motto "retten, was zu retten ist" sein. Aber auch der von solcherart Regelungen betroffene Athlet Sven Kwiatkowski konnte nicht überzeugend darstellen, dass er ab nun durch Training in Berlin statt in Chemnitz mit seinem Trainer mit Vehemenz und Erfolg das Athener Olympiapodest erstürmen wird... Die Überlebensfrage eines leistungsstarken deutschen Turnsports wird damit wohl nicht entscheidend positiv geklärt und sieht wie hilfloser Aktionismus in schwieriger Zeit aus. Die Notwendigkeit der Suche nach Auswegen deutlich zu unterstreichen, das war wohl das entscheidende Moment, dass es in Chemnitz wohl doch kein Hornberger Schiessen gab, wenn auch für die Zeit n a c h der WM in Anaheim 2003 die entscheidenden Weichenstellungen noch ausstehen. Die Jungen und Mädchen, die 2008 und 2012 wieder Medaillen holen sollen, die trainieren nämlich schon längst. Aber gelungen ist zumindest ein Zusammenrücken aller Beteiligten, es bis zur "WM der Wahrheit" im nächsten Jahr dann doch noch zu schaffen. Auch die ausstehenden Personalentscheidungen sollten Hoffnung machen, wenn es auch leider nicht geht, sich einen Wunsch-Clon aus Friedrich und Brechtken in der Retorte zu backen. Eckhard Herholz >> ... mehr dazu
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