KTZ
Bergisch- Gladbach

Betr. Nicht-Nominierung deutscher Kunstturnerinnen zu den Olympischen Spielen 2000:

BRIEF (Auszüge) des Vorsitzenden des KUNSTTURNZENTRUMS Bergisch-Gladbach
Dr. Manfred Heller

  - adressiert an:

  • Präsidenten des Deutschen Turner-Bundes Herrn Prof. Dr. Jürgen Diekert

. Sehr geehrter Herr Dieckert,

in Anbetracht der Entscheidung des NOK ( vom 03.08.2000), die vom DTB vorgeschlagenen Turnerinnen Birgit Schweigert und Dagmar Fehrenschild als Einzelstarterinnen nicht für die Olympiamannschaft zu nominieren, wende ich mich persönlich als Vorsitzender des Kunstturnzentrums ´86 Bergisch Gladbach an Sie, weil mich nicht nur das einmütige Votum des NOK gegen die Turnerinnen (und damit letztlich auch gegen das olympische Frauenturnen in Deutschland) sehr enttäuscht hat, sondern weil ich wesentliche Ursachen dafür, dass eine solche Situation heute zu beklagen ist, auch im DTB selbst sehe.

Die Begründung des NOK – "mangelnde sportliche Erfolgsaussichten" – ist für mich angesichts anderer Nominierungsentscheidungen am gleichen Tag weder aus sportlicher Sicht noch aus anderer Sicht nachvollziehbar. Insofern teile ich die bisher in öffentlichen Meinungsäußerungen an die Adresse des NOK gerichtete Kritik voll und ganz, abgesehen von solch vereinfachenden Formeln wie: "Teilnahme ist wichtiger als der Sieg". Ich lehne jedoch auch eine Strategie für den Spitzensport generell ab, nach der nur Siege und Medaillenleistungen als Erfolg akzeptiert werden, wie sie erst vor wenigen Wochen durch Herrn Armin Baumert in einer öffentlichen Diskussion anlässlich der Ruhrolympiade mit ausdrücklichem Verweis auf das Kunstturnen der Frauen in Deutschland ausgesprochen und verteidigt wurde. Ich finde es sehr bemerkenswert, wenn ein derartiges "Bekenntnis" eines Spitzenfunktionärs des DSB bereits Wochen vor der Entscheidung des NOK geäußert wurde, zeigt es doch und bestärkt mich in meiner Einschätzung, dass spätestens zu diesem Zeitpunkt (offensichtlich jedoch schon wesentlich früher) "die Messen gesungen" und alle Hoffnungen auf eine sportpolitische Entscheidung des NOK für das Kunstturnen der Frauen auf Sand gebaut waren. Deshalb bin ich der Auffassung, dass die von Anfang an zögerliche Haltung des DTB hinsichtlich eines Vorschlages für das NOK und das eigene Schwäche, die Leistungsentwicklung sowie das Leistungspotential der möglichen Olympiakandidatinnen dem NOK überzeugend zu vermitteln, wesentlich zu der Abstimmungsniederlage beigetragen hat. Der Antrag des DTB an das NOK spricht für sich. Auch die Hoffnung auf eine Härtefall-Entscheidung musste deshalb wie eine Seifenblase zerplatzen.

Herr Tröger hat in seiner ersten öffentlichen Verlautbarung nach der NOK-Sitzung am 3. August hervorgehoben, dass sich das NOK "im Zweifelsfall für die Athleten" entschieden habe. Er hatte dabei offensichtlich einige Kandidaten u.a. aus der Leichtathletik im Blick. Dieser für mich völlig richtige Grundsatz fand jedoch bei den Turnerinnen keine Anwendung. Ganz im Gegenteil, bereits bei der Festlegung der Nominierungskriterien (10. Platz im Mehrkampf oder Gerätefinale bei den EM in Paris – bei einem einzigen Wettkampf!) wurden durch das NOK Hürden aufgebaut, die im Vergleich zu anderen Sportarten mehr als ungerecht waren und jeden Spürsinn von Toleranz für Sportarten vermissen lassen, die nicht objektiv messbar, sondern nur subjektiv bewertbar sind. Die Tatsache, dass der DTB bereits zum Zeitpunkt der Bestimmung der Nominierungskriterien nicht energisch um einen etwas größeren Spielraum gekämpft hat, lässt den Schluss zu, dass er in Unsicherheit einseitig auf die Härtefallregelung und eine sportpolische Entscheidung gesetzt hatte. Ich wiederhole mich, das war eine Fehleinschätzung. Nur vor diesem Hintergrund ist für mich erklärbar, dass dem DTB auch vorgehalten werden konnte, er habe die Härtefallregelung bereits für Atlanta 1996 beansprucht und schon damals die optimistischen Leistungsprognosen in keiner Weise erfüllt.

Abgesehen davon, dass eine solche Hilfsargumentation des NOK gegenüber den im Jahr 2000 zur Diskussion stehenden Turnerinnen höchst unredlich ist, denn sie haben weder die Leistungsprognose für 1996 noch das Ergebnis zu verantworten, müssen aber jetzt dafür büßen, bleibt die Frage offen, was hat der DTB, insbesondere seine Verantwortungsträger für das olympische Frauenturnen, unternommen, um die Leistungssituation zu verändern.

Ein außerordentlich neuralgischer Punkt waren für mich in mehrerer Hinsicht die WM 1999 in China. Die auf Bundesebene zuständigen Personen liefern mit dem 15. Platz in der Mannschaftswertung und der damit verbundenen erneuten Nicht-Qualifikation für Olympische Spiele das schlechteste Ergebnis seit der Vereinigung der beiden deutschen Turnfachverbände, und niemand denkt ernsthaft über persönliche Verantwortung und Konsequenzen nach. Ganz im Gegenteil, dem Teamchef wird nach seiner "Meisterleistung" nebst verbaler Entgleisung mit dem "Supergau" noch vor Ort in aller Öffentlichkeit, das heißt vor jeder Auswertung in den zuständigen Gremien des DTB, der Rücken gestärkt und signalisiert, dass man weiterhin auf ihn setze. Das war für mich ein sehr merkwürdiger Vorgang, der offensichtlich für den "Ernstfall" vorbereitet war.

Ich erinnere deshalb an folgende Fakten:

  • 1991 - nach dem 9. Platz in der Mannschaftswertung bei den WM in Indianapolis und erfolgreicher Olympiaqualifikation für Barcelona musste der verantwortliche Trainer gehen;
  • 1994 – nach dem 14. Platz bei den Mannschafts-WM in Dortmund wurde die verantwortliche Trainerin in Frage gestellt;
  • 1995 – nach dem 13. Platz bei den WM in Sabae und nur äußerst knapp verpasster Qualifikation für die Spiele in Atlanta musste die verantwortliche Trainerin gehen;
  • 1999 – 15. Platz – den verantwortlichen Trainern und Funktionären wird die
    Richtigkeit des eingeschlagenen Weges bestätigt.

Kritische Stimmen im Vorfeld der WM, unmittelbar vor Ort und ebenso in Auswertung der WM, die sich sowohl auf die pädagogisch-psychologische und sportliche Vorbereitung der Aktiven als auch auf Fragen der taktischen Einstellung u.a. bezogen, wurden negiert, oder den Absendern wurde unter Androhung von Konsequenzen der Mund verboten.

Es sei die Frage erlaubt, sehr geehrter Herr Präsident, welche internen Strukturen und Mechanismen wirken in den Führungsgremien des olympischen Frauenturnens des DTB, wenn man offensichtlich eine solche Atmosphäre in Kauf nimmt. Gerade darin liegt für mich eine der wesentlichen Ursachen für die drohende endgültige Verabschiedung des deutschen Frauenturnens aus dem internationalen Spitzensport. Der Beschluss des NOK vom 3. August hat dies, wenn auch sehr schmerzlich für die betroffenen Turnerinnen, nur in aller Deutlichkeit wie in einem Schlaglicht beleuchtet. Davor sollte niemand die Augen verschließen.

Gefragt sind deshalb m.E. nicht nur und vorrangig neue Konzepte, sondern durchaus auch neue Köpfe, die fähig und bereit sind, in streitbarer und zugleich kooperativer Weise, frei von persönlichen Interessenkonflikten, das vorhandene Potential im deutschen Frauenturnen kreativ zusammenzuführen. Deshalb richte ich an Sie den Appell, dafür in den letzten Monaten Ihrer Amtszeit mutige Schritte zu gehen, damit nicht nur den jetzt betroffenen Turnerinnen, sondern vor allem dem Nachwuchs wieder die Chance für eine olympische Perspektive eröffnet werden kann. Die Arbeit vieler Trainer und ehrenamtlicher Kräfte, das Engagement der Eltern und vor allem der persönliche Einsatz der leistungswilligen Turnerinnen in den Turnvereinen hätten sonst keinen Sinn mehr.

Ich persönlich engagiere mich als Vorsitzender des KTZ so energisch und kritisch für Veränderungen, weil Birgit Schweigert aus unserem Verein hervorgegangen ist, und meine Frau als Trainerin mit ihr wesentliche Jahre ihrer sportlichen Entwicklung gearbeitet hat. Birgit hat sich seit ihren ersten internationalen Auftritten bei JEM, WM und EM sowie zahlreichen Länderkämpfen und internationalen Turnieren, insbesondere in den letzten beiden Jahren, nachweislich als beste deutsche Turnerin erwiesen. Dies wurde von maßgeblichen Trainern und Funktionären im DTB nicht immer so objektiv gesehen. Ihr Leistungspotential wurde eher unterbewertet, ihre sportliche Perspektive mit den verschiedensten Begründungen immer wieder in Frage gestellt. Ich persönlich bin der festen Überzeugung, dass Birgit Schweigert und mit ihr auch Dagmar Fehrenschild eine Nominierung vor allem aus sportlichen Gründen verdient haben, da beide nur denkbar knapp an den ungerechtfertigt hohen Kriterien des NOK gescheitert sind und an Hürden, die der DTB selbst errichtet hat.

Dr. Manfred Heller - Vorsitzender des KTZ (Kunstturnzentrum) Bergisch-Gladbach

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- ehe -
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