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Dagmar Fehrenschild:
Happy nach Superstart!
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Dann aber musste die führende
Dagmar Fehrenschild bei ihrer neuen Balkenübung (-statt Abgang Rondat
-Doppelschraube, jetzt Rondat-Doppelsalto) einmal unfreiwillig nach ihrer Dreierserie vom
Balken (8,50) und fiel auf Rang drei zurück, nachdem Birgit Schweigert ihre
Stufenbarrenübung mit Ausgangswert 9,9 und erneut ohne Fehler präsentierte und vor Katja
Abel in Führung ging, die aber über ihren Stufenbarren-Auftritt förmlich strahlte:
Jäger-Salto-gebückt, schöne Stalder-Varianten und ein Unterschwung-Doppelsalto zum
Stand: 9,8 Ausgangswert wurden am Ende mit 9,30 belohnt. Katja Dreyer dagegen blieb erst
mit den Füssen an der Matte hängen und musste sich dann noch bei ihrem Abgang
Salto vorwärts, gehockt-ganze Drehung 3 Zehntel abziehen lassen.
Eben erst von einer Mexico-Reise zurück und einem stolzen 3.Platz
am Balken - hinter den Weltstars Produnowa und Karpenko - zeigte die Berlinerin Katja Abel
weitere Fortschritte in ihrem Leistungsbild: Turnte die gleiche Mexico-Übung, wenn auch
die Kampfrichterinnen wohl einige Zehntel bei nicht ganz ausgedrehten gymnastischen
Hock-Spreiz- bzw. Grätschristsprüngen bemängelt haben dürften. Der verantwortliche
Trainer Dieter Koch bescheinigte ihr eine "erstaunliche Präsentation", hatte
doch Katja tags zuvor noch mit 39o Fieber und bösem Infekt im Bett gelegen und
kam nach zwei internationalen Wettkämpfen in dichter Folge (Trnava und Mexico) ziemlich
gestresst zurück. |
Erneut war Birgit Schweigert die Ruhe in Person.
"Souverän sowohl in der Akrobatik, als auch bei den gymnastischen Elementen,
Birgit lässt sich einfach durch nichts aus der Ruhe bringen," - so urteilte
TK-Vorsitzende Ulla Koch anerkennend nach Birgits Balkenübung, bei deren
Chorkina-Schrauben-Abgang man im abschließenden Finale sicher noch mit der Doppeldrehung
rechnen kann. Ihre Mehrkampfführung baute sie weiter aus: 9,65 - das war die
Balkenhöchstwertung! Katja Dreyer fiel leider nach Balkensturz auf Rang 5 zurück, hinter
die vierfache Meisterin von 1996 Gritt Hofmann, die sich nach einer 9,300 am Boden auf
Platz vier vorturnte... |
1-2-3: Schweigert, Fehrenschild, Abel...
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Deutschlands
Doppelspitze:
Birgit Schweigert (TT Köln, re.) und
Dagmar Fehrenschild (TV Hoffnungsthal). |
Am Boden war natürlich
Katja Dreyer wieder in ihrem Element und schloss mit einer gelungenen Dreifach-Schraube
ab.
Katja Abel fehlte dann am Boden aus o.g. Gründen dann leider doch die körperliche
Substanz und landete in der direkten Verbindung von zweieinhalb Schraube - Salto vorwärts
im Sitz, konnte aber doch Mehrkampfbronze erringen, da die Berlinerein Gritt Hofmann
einige unnötige Fehler machte (z.B. Sturz Stufenbarren) und nach Trainingsrückständen
aber wieder auf ihr grosses Potential aufmerksam machen konnte.
Unmittelbar danach fiel dann die Mehrkampfentscheidung dieser Titelkämpfe:
Birgit Schweigert begann am Boden mit Doppeltwist (E-Teil), dann folgte
die Verbindung eineinhalb Schraube - direkt gefolgt Salto vorwärts- gestreckt mit ganzer
Drehung.
Auch die 2 1/2- Schraube - Salto vorwärts gelangen und Birgit Schweigert wurde
erstmals und ziemlich souverän Deutsche Mehrkampfmeisterin, nachdem sie die letzten
Titelkämpfe 1999 in Tübingen auslassen musste.
Birgit: "Ich bin ziemlich zufrieden. Wenn ich
so ohne Fehler in Paris zur Europameisterschaft geturnt hätte, dann wäre ich
sicher Neunte im Mehrkampf geworden, hätte damit ein entscheidendes nationales Olympia-
Nominierungskriterium erfüllt ...und wäre im Balkenfinale gewesen. Nun hoffe ich stark
auf eine richtige Entscheidung des NOK, nicht nur für mich, sondern auch für die Zukunft
eines deutschen Kunstturnens, denn eine Teilnahme in Sydney ist auch ungeheuer wichtig
für die Motivation des Turnnachwuchses im Lande...!"
.... auch verbal eine würdige erste
deutsche Turnkönigin des neuen Jahrtausends! |
Bilanz im
Besonderen....
Deutschlands derzeit beste Mehrkämpferin (12.Platz.) bei den Europameisterschaften
im Mai holte nach ihren beiden Gerätetiteln von München 1989 ihren dritten und bislang
wertvollsten Meistertitel vor einer gut aufgelegten und locker erscheinenden Dagmar
Fehrenschild, die ohne ihren Balkenpatzer eine noch härtere Kokurrentin gewesen wäre.
Beiden hätte auch eine Katja Abel im Vollbesitz ihrer Kräfte sicher schon wieder
stärker Paroli bieten können. Nach Gritt Hofmann und Katja Dreyer und unter Einschluss
der ausgeschiedenen Lisa Brüggemann - also nach 6 Turnerinnen (!), bricht
allerdings das international akzeptable Niveau der höchsten deutschen Leistungsklasse
rapide ab. Bleibt zu wünschen, dass sich die für Zukunft bis 2004 zuständigen
Gremien, Personen und Strukturen nicht nur noch auf diese Turnerinnen, sondern auch auf
nachwachsende Jahrgänge, also ab Altersklasse 12 und älter, konzentrieren.
Blickt man allerdings auf den Nachwuchs,
registriert man allerdings hinter der Siegerin in der Alterklasse 15 Darija Bijak
(TVE Greven) eine Punktedifferenz von sage und schreibe 4,3 (!!) zu Rang zwei (Maxi
Brückner/SV Halle), werden somit die nahezu erschreckenden Defizite mehr als
sichtbar.....!!Bilanz
im Allgemeinen...
Und wenn dann noch Sportdirektor Wolfgang Willam mit Blick auf
Zukunft darauf hinweist, dass ".... Formen der Zentralisierung
bei der Organisation von Spitzenleistung in unserere Gesellschaft in der Vergangenheit
mehrfach gescheitert sind, also werden wir vor allem die Qualität des Heimtrainings und
Verantwortung vor Ort erhöhen müssen...", sieht das allerdings eher nach
Rückzug aus DTB-Verantwortung aus und zweitens nach einer ziemlich einseitigen
Betrachtungsweise alt-bundesdeutscher Tradition!
Willam: "Momentan erfüllt nur noch das
Leistungszentrum Berlin die nötigen Strukturanforderungen und mit Abstrichen noch
Bergisch-Gladbach/Köln, mit der zu lösenden Frage, wo soll in diesem Raum dort das
künftige Zentrum sein. Man wird auch darüber diskutieren müssen, was mit der Region
Leipzig/Dresden/Halle geschieht, was aber nicht etwa heissen soll, dass durch eine
Aberkennung des Status eines Bundesleistungsstützpunktes dort alles zusammenbrechen
muss.....".
... und überhaupt:
Auch dieser letzte Satz des DTB-Sportdirektors vermittelt vor der Kulisse einer der
traditionsreichsten und erfolgreichsten Turnstädte Deutschlands weder Trost und schon gar
keinen euphorischen Optimismus. Werden doch eben auch im Männerbereich nach 10 Jahren
einer eher traurigen Rückentwicklung nun auch die letzten Strukturen eines jeglichen
Leistungsansatzes verschwinden - die letzten Turner verlassen ohne neuen Nachwuchs das
Sportgymnasium - und das in einer Stadt, deren Turnzentren "Wissenschaft" und
"Lok Ost" Leipzig, später SC DHfK bzw. SC Leipzig nicht nur 20 Deutsche (DDR-)
Männer-Mehrkampfmeister und 14 Frauentitel, sondern auch Athleten internationaler
Spitzenklasse hervorbrachten. Leipziger Namen wie Köste, Brehme, Fülle, Koppe, Tippelt
oder bei den Frauen Zuchold, Gerschau, Kräker, Starke, Senff, Schieferdecker erlangten
Weltruhm. Würden die DTB-Verantwortlichen in ihre gesellschaftliche Analyse die turn-
leistungssportlichen Erfahrungen "vor Ort" a l l e r Deutschen
einbeziehen - was angesichts der Zeitenläufe ihre Pflicht wäre - dann würden sie
begreifen: Organisiert wurde einst Turn-Weltniveau in Leipzig mit einer straffen
Leitungsstruktur eines leistungsorientierten Turnverbandes!
Den Nachwende-Deutschen sollte es aber nun nach 10 Jahren Bedenkzeit besser
gelingen, politisches und gesellschaftliches Primborium von Substanziellem zu trennen,
denn:
V o r späteren DDR- und Leipziger Olympiasiegen
und DDR-Medaillenerfolgen herrschte nämlich zuallererst Turn-Spitzenniveau in Leipziger
Turnhallen auf den Gebieten von Trainingsmethodik und -pädagogik, von Sichtung und
Auswahl und zielgerichter Turngeduld für ein notwendiges Entwicklungsjahrzehnt der
Sportler...!
Also mehr Selbstbewusstsein sollten sie schon zeigen, die Leipziger
Turnbrüder und -schwestern in der Sporthalle Brüderstrasse angesichts einer von
der TuG liebevoll organisierten Meisterschaft 2000. Im bunten Programmheft ist davon
leider nichts zu finden: Ausser 4 (!) Vorworten und dem Zeitplan, nicht die Spur
historischen Selbstbewusstseins und Turnen scheint auch erst mit der Gründung der TuG
Leipzig e.V. 1994 angefangen zu haben....?! Sieht man von höflichen
Erwähnungen in den protokollarischen Vorworten ab, kommt das Wort "31. Deutsches
Turnfest" doch tatsächlich einmal (!!) in diesem Programmheft vor und die löbliche
Anwesenheit des OK-Chefs Werner Luchtmeier allein löst auch noch keinen Hauch
Turnfestatmosphäre aus.....!
Durch Deutschland ging also nicht nur über Jahrzehnte der schmerzhafte Riss einer
Demarkationssmauer, die relativ schnell abzureissen war.....Gräben zwischen
verantwortungsvollen Denken und Handeln sind schwerer zuzuschütten oder zu überwinden.
Deutschland muss es im Allgemeinen dringend lernen, in der "Spass- und
Fungesellschaft" Bedingungen für Eliteförderung und Leistugsanspruch zu schaffen!
Das trifft im Besonderen auch auf die Kreativen, die Athletischen, die Mutigen, die
Beseelten eines deutschen Kunstturnens zu!
Leipzig kommt! - steht auch im Programmheft. Lassen wir nicht zu,
dass im Kunstturnen "Leipzig geht" - es wäre peinlich, nicht
nur im Zusammenhang mit kommenden Ereignissen in dieser Sportstadt, wie "Turntag
2000", NOK- Mitgliederversammlung, Turnfest 2002.... Man sollte gerade deswegen im
Gespräch bleiben!
Eckhard Herholz/GYMmedia
(Vgl. dazu auch: Vorschau: "60.Deutsche Meisterschaft: "TRADITIONEN,
STATISTIKEN, WERTE"
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