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01-Okt-2001

Anstoss:

Verprellt
"Sie haben mir auf die Seele gespuckt"
(Sergej Charkow nach den Deutschen Turnmeisterschaften in Dessau)

   * von Barbara Klimke

berl.ztg.Spät hat Sergej Charkow erkannt, worauf es ankommt im Turnen.
              Nicht auf Salti, sondern auf das Geburtsdatum!
Er überstand zwei WM-Qualifikationen, rackerte sich mit 30 Jahren, wie vorgeschrieben, an allen sechs Geräten ab, sicherte sich den Meistertitel am Barren sowie Platz zwei im Mehrkampf. Die Nominierung für die Weltmeisterschaft aber lasen die Mitglieder des Lenkungsstabs im Deutschen Turner-Bund (DTB) nicht von den Bewertungsbögen ab. Sondern aus dem Pass. Für Sergej Charkow aus Dillingen, schon 1988 Olympiasieger, hieß es: Abtreten, zu alt.

Der DTB hat am Wochenende seine Ankündigung wahr gemacht und das Leistungsprinzip außer Kraft gesetzt. Ersetzt wird es von einem Kriterienkatalog, bei dem Jahrgangszugehörigkeit höchste Priorität besitzt. Nicht nur Charkow, auch den 33-jährigen Marius Toba machte die Entwicklung erst "sprachlos" und dann "sehr wütend". Toba erturnte sich mit 9,6 Punkten an den Ringen am Wochenende die höchste Tagesnote aller Kandidaten. Genützt hat es wenig, er ist ebenfalls aus Altersgründen ausgemustert.

Meisterschafts-Bilanz 2001:

Toba:
Gold: Ringe
Silber: Sprung
7. Mehrkampf
4.Boden / 7.P.pferd/8.Reck
(1.WM-Qualifikation: 7. MK
2.WM-Qualifikation: 5.Mehrkampf

Charkow      >>>
Gold: Barren
Silber: Mehrkampf
Silber: Reck
Bronze: Ringe
(1.WM-Qualifikation: 4. MK
2.WM-Qualifikation: 7.Mehrkampf


Charkow in Dessau: 
Fünf Flugelemente, 
vier davon direkt in Folge!

Es gibt gute Argumente für die radikale Verjüngungskur des DTB. Zusammengestellt wird derzeit der Perspektivkader für Olympia 2004. Nachwuchskräfte sollen Erfahrung sammeln, sich bei der WM 2001 den Preisrichtern vorstellen und in drei Jahren in Athen über genug Routine verfügen, um nicht vor Nervosität vom Gerät zu purzeln. Niemand aber, glaubt Toba, kann in einer so riskanten Sportart wie dem Turnen dafür garantieren, dass der Plan aufgeht. Er selbst ist das beste Beispiel. Für Sydney anfangs nicht nominiert, wurde er per Handy aus dem Urlaub zurückgerufen, weil sich bei den letzten Trainingseinheiten zwei Kollegen verletzt hatten. Ersatzmann Toba erreichte als einziger im Team ein Olympiafinale.

Gelernt hat der Verband nichts aus diesen Vorfällen.
Er hat Athleten, die nicht schlechter, nur älter waren als die anderen, nicht einmal in den erweiterten WM-Kader berufen. Er hat sie verprellt. Und keiner besaß den Mut, ihnen wenigstens vorab zu sagen, dass sie sich sinnlos quälen würden - weil es für sie keine Aussicht auf Nominierung mehr gab. 
"Sie haben mir auf die Seele gespuckt", sagte Sergej Charkow. Es war nicht der Verweis auf sein Alter, der ihn demütigte.

* Lesen Sie auch: Statement vom Deutschen Ringemeister Marius Toba unmittelbar nach Wettkampfende in Dessau und nach einem Gespräch mit Bundestrainer Hanschke.

Foto: Minkusimages
(Hervorhebungen: GYMmedia


 
Charkow in der TV-Sendung des Saarländischen Rundfunks "Treffpunkt Sport":

Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan

Sergej Charkow wird nicht gegen den Deutschen Turner-Bund (DTB) klagen und beendet gleichzeitig seine internationalen Karriere.

Der 30 Jahre alte Ex-Olympiasieger und -Weltmeister aus Dillingen war trotz seines zweiten Platzes im Mehrkampf bei den Deutschen Meisterschaften am vergangenen Wochenende in Dessau vom DTB nicht für die Weltmeisterschaften Ende Oktober in Gent nominiert worden.
Toba und Charkow "Opfer" der Verjüngungspolitik
Der Olympiasieger von 1988 wurde damit wie der drei Jahre ältere Hannoveraner Marius Toba ein "Opfer" der Verjüngungspolitik des Verbandes.
Charkow hatte anschließend über rechtliche Schritte gegen den DTB nachgedacht. "Es ist nicht meine Absicht, die Nichtberücksichtigung auf juristischem Weg anzufechten", betonte er nun.
Belenki trotz höherem Alter nominiert
Dennoch erneuerte er in der Sendung "Treffpunkt Sport" des Saarländischen Rundfunks seine scharfe Kritik am DTB: "Die Nominierungspraxis ist sportlich nicht nachzuvollziehen und inkonsequent", betonte Charkow. Er habe als Zweiter im Mehrkampf den erforderlichen Formnachweis gebracht. Außerdem sei der nominierte Valeri Belenki aus Stuttgart deutlich älter.

* Lesen Sie auch die Meisterschafts-Vorschau der Berliner Zeitung:
   > "Ohne die Alten gehts wohl doch nicht")

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