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11-Jan-2001

Spielzeug eines sportverrückten Narren

Was Honecker schon plante:
Leipzig will sich um Olympische Spiele bewerben

. von Jens Weinreich
Die Sachsen wollen es wissen. Für 160 000 Mark wird demnächst eine erste Studie erstellt, in der die Austragung Olympischer Spiele im Großraum Leipzig, Dresden, Riesa und Chemnitz geprüft werden soll. 
Allein die Diskussion über die noch etwas diffusen Olympiapläne (für 2012 oder 2016) löst anderswo Schmunzeln aus. Und dies, obwohl Leipzig bereits über olympiataugliche Stätten verfügt, etwa in der Neuen Messe, in deren riesigen Hallen etliche Sportarten ausgetragen werden könnten. Dies auch, da die verkehrsgerechte Anbindung der Messestadt sehr wohl mit der des Olympia-Interessenten Stuttgart konkurrieren kann. Dass gern gelächelt wird, wenn der Name Leipzig fällt, liegt auch daran, dass es in der Stadt schon einmal eine Olympiadiskussion gegeben hat. Sogar eine Machbarkeitsstudie wurde erstellt im Winter 1988/89, kurz bevor die DDR das Zeitliche gesegnet hatte.

Sportpolitischer Pikser
In Zeiten des Kalten Krieges wurde der Name Leipzig erstmals vom Klassenfeind ins Spiel gebracht. Kurz nach den Olympischen Spielen 1972 in München fluchte Friedel Schirmer, damals sportpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, über die Sportgenossen aus dem Arbeiter- und- Bauern-Staat: "Die können doch nicht immer nur Medaillen holen und selbst kein Sportfest ausrichten." Also dachte sich Schirmer eine Gemeinheit aus und brachte im SPD-Pressedienst Leipzig als Olympiastadt ins Spiel. "Es war einfach ein Pikser zur anderen Seite hin", sagte Schirmer Jahre später, "ich wollte denen da drüben ein bisschen wehtun."

Die da drüben, die sich in der Medaillenjagd mit den Großmächten Sowjetunion und USA maßen, ließen sich nicht unter Druck setzen. Nicht von Schirmer, und Jahre später auch nicht von zahlreichen IOC-Mitgliedern, die eine Olympiabewerbung der DDR und Leipzigs befürwortet hatten. Das Thema wurde erst Ende der achtziger Jahre akut, als US-Präsident Ronald Reagan in Berlin von Gorbatschow nicht nur die Öffnung des Brandenburger Tores forderte ("Mister President, open this gate"), sondern die Amerikaner auch Olympische Spiele in beiden Teilen Berlins vorschlugen. Im Westteil der Stadt wurde umgehend an einer Machbarkeitsstudie gewerkelt, für die verbarrikadierte DDR-Führung war dies natürlich eine schreckliche Vision. Als dann Westberlins Regierender Bürgermeister Walter Momper im Juni 1989 im Schloss Niederschönhausen Erich Honecker die Idee antrug, reagierte der SED-Greis laut Protokoll so: "Die Durchführung der Olympischen Spiele in Berlin sei ein Einfall Reagans gewesen. Auch die DDR habe Ideen. So sei beabsichtigt, dass sich Leipzig um die Ausrichtung dieser Spiele im Jahre 2004 bewerbe. Ein solcher Vorschlag sei angesichts der Erfolge der DDR auf dem Gebiet des Sports ohne Zweifel zeitgemäß."

Leipzig war ein untauglicher Rettungsversuch, das Spielzeug eines sportverrückten Narren. Dabei hatten die für Sport zuständigen Parteistellen doch schon ein halbes Jahr vorher in einer geheimen Studie die Möglichkeit einer Olympiaaustragung im Großraum Leipzig verworfen. Es existierten lediglich vier Exemplare dieses Papiers, das Honecker bis zum Gespräch mit Momper nicht gekannt haben soll: Eine Kopie lagerte bei Rudi Hellmann, Abteilungsleiter Sport im SED-Zentralkomitee; eine bei Egon Krenz, dem für Sport zuständigen Politbüromitglied; zwei Exemplare hatte Sport-Staatssekretär Günter Erbach in seinem Panzerschrank versteckt.

Einen Investitionsbedarf von 25 Milliarden Ostmark war vom Leipziger "Wissenschaftlich- technischen Zentrum Sportbauten" errechnet worden: 10 Milliarden für ein überdachtes Hauptstadion (80 000 Zuschauer) sowie ein Dutzend Großsporthallen; 1,7 Milliarden für das Olympische Dorf und ein Gästehaus des IOC; 8,3 Milliarden für die technische Infrastruktur (u. a. Straßenbau), 5 Milliarden für die soziale Infrastruktur (Hotels, Gastronomie etc.).

Für die DDR, die damals erstmals auch die Ausgaben im Leistungssporthaushalt kürzen musste, waren 25 Milliarden selbstverständlich zu viel. Krenz kannte die Zahlen seit März 1989. Honecker aber machte sich nichts daraus: Zwei Tage nach dem Momper-Gespräch überrumpelte er Krenz im SED-Zentralkomitee und gab den Befehl für eine Olympiabewerbung aus. Krenzens Jünger wie Klaus Eichler, Präsident des Deutschen Turn- und Sportbundes, funktionierten und wurden zu glühenden Verfechtern des Olympiaplans. Im Juli 1989 behauptete Krenz vor den Teilnehmern der DDR-Spartakiade in Berlin, Leipzig würde sich "zu gegebener Zeit" um die Spiele bewerben.

Wie aus SED-Akten hervorgeht, hatten Krenz & Co. vor, mittels Olympischer Spiele die "nationale Identität" zu befördern, vom "nation building" wurde gefaselt. Es gab sogar schon eine olympische "Kader-Entwicklungskonzeption". Indes marschierten in Leipzig bald hunderttausende Menschen um den Ring. Die Zeit war nicht mehr gegeben, und im November 1989, kurz bevor Krenz, Eichler und all die anderen abdanken mussten, legte man schnell auch die Olympiapläne auf Eis. 

(Source: Berl.Zeitung vom 12.01.2001; Hervorhebungen/Fotos gymmedia)

. Weiterer Lesestoff zum Thema "Olympia-Kandidatur:
7.11.2000
Heraus aus der Schmollecke
 7.111.2000, Quelle: Berlin ONLINE
 - von Ernst Podeswa
 
Die Sprachlosigkeit ist passé. Man denkt über eine deutsche Olympiabewerbung nach. Mehr noch. Schon in Sydney wuselten die Vertreter eines Stuttgarter Olympiabüros durch die Gegend. Beinahe so wie eine Abordnung aus Athen. Der Unterschied: Die griechische Metropole hat den Zuschlag für die Sommerspiele 2004 - die Schwaben wollen sich bewerben. Irgendwann, 2012 oder 2016. Für 2008 ist es zu spät. Obwohl erst am 3. November 2001 Meldeschluss ist. Doch die Kandidaten Peking, Paris, Istanbul, Toronto und Osaka haben solch einen Vorsprung, dass es keinen Sinn hätte, sich noch zu bewerben. Zumal nach dem Zuschlag für die Fußball-WM 2006 an Deutschland der Eindruck eines sportpolitischen Großmachtstrebens entstehen könnte.

Außer Stuttgart bekunden das Ruhrgebiet und Leipzig/Pirna sowie der Großraum München für Winterspiele Interesse. Und merkwürdigerweise werden kaum Stimmen hörbar, die sich dagegen wenden. Im Gegenteil: NOK-Präsident Walther Tröger spricht sich dafür aus, die Landeschefs von Sachsen und Nordrhein-Westfalen werfen sich in die Brust, und auch Brigitte Zypries, Staatssekretärin von Bundesinnenminister Schily, könnte sich eine Bewerbung "durchaus vorstellen". Der Sinneswandel nach der Bewerbungspleite Berlins 1993 für die Sommerspiele 2000 ist offenkundig. Manchen schien damals angesichts der Vereinigungslasten eine zweite Riesenaufgabe nicht verkraftbar. Heute ist vieles davon bewältigt. Es ist wieder Raum für Visionen: Könnte Olympia nicht auch dem Mangel an Identität und einem gewissen Nationalstolz abhelfen?

Spiele wie jetzt in Sydney - weltoffen, fröhlich, begeisternd - warum sollte das nicht in Deutschland möglich sein? Und sie könnten die erwähnte Identitätslücke im Bewusstsein ausfüllen. Auch in Australien mit seinem stärkeren Gemisch aus Kulturen, Mentalitäten und Nationalitäten hat es bis einen Tag vor Beginn dieser 27. Millenniumsspiele nicht gerade wenig Skepsis und Ablehnung gegeben. Es ist von Tag zu Tag mehr in Begeisterung und Stolz umgeschlagen, dass Australien mit seinen 18 Millionen Einwohnern der Welt so ein glanzvolles Fest zelebrieren kann.

Dessen positive Ausstrahlung hat auch hiesige Regionen erreicht. Bis auf Berlin, das sich noch immer beleidigt und zerknirscht ob der Abfuhr vor sieben Jahren gibt. Es scheint nun an der Zeit, aus der Schmollecke herauszukommen. Olympia in Deutschland in Düsseldorf oder Leipzig, aber nicht in Berlin - ist das denkbar?

.... mehr:

.
Spiele 2012 in Deutschland?
 07.11.2000, Quelle:  Berlin ONLINE
 Stuttgart, Leipzig und Ruhrgebiet bekräftigen ihr Interesse
 
Stuttgart, Leipzig und das Ruhrgebiet haben ihr Interesse an einer Ausrichtung der Olympischen Spiele bekräftigt. Sie reagierten damit auf die Befürwortung einer deutschen Olympia-Kandidatur ab 2010 durch das Nationale Olympische Komitee (NOK) vom Sonnabend. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Wolfang Clement hat für den Dienstag zu einem kommunalen Olympia-Gipfeltreffen in die Düsseldorfer Staatskanzlei geladen.

In Dresden begrüßte Sachsens Sportminister Mathias Rößler die Ankündigung von Leipzigs Bürgermeister Wolfgang Tiefensee vor der NOK-Mitgliederversammlung, die Stadt stehe "gegebenenfalls für eine Olympia-Bewerbung zur Verfügung". Das sächsische Kabinett will eine Bewerbung des Großraums Leipzig demnächst prüfen. In Stuttgart kündigte das seit Ende September bestehende Olympia-Büro an, die Stadt werde dem NOK Anfang nächsten Jahres eine "fundierte Bekundung" ihres Olympia-Interesses übergeben.

NOK-Präsident Walther Tröger hatte die Interessenten einer Olympia-Kandidatur zu einer Bewerbung ermuntert. Eine grundsätzliche Entscheidung über eine Kandidatur will der olympische Dachverband in einem Jahr treffen. Als erste mögliche Bewerbung kommen die Olympischen Spiele 2012 in Frage. Sollte die NOK-Entscheidung auf eine Kandidatur für die Winterspiele hinauslaufen, so bestünde die erste Möglichkeit für die Winter-Olympiade 2010. Olympische Spiele werden jeweils sieben Jahre vor ihrer Veranstaltung vergeben.

In Leipzig will das sächsische Kabinett die Pläne des Oberbürgermeisters zunächst prüfen: "Ich freue mich, dass die sächsischen Städte gemeinsam eine Bewerbung für die Olympischen Spiele 2012 anstreben", sagte Kultusminister Matthias Rößler. "Ich werde im Kabinett eine Bewerbung des Großraums Leipzig unterstützen. Olympische Spiele in dieser Region würden einen gewaltigen Entwicklungsschub auslösen." Auch die sächsische Staatskanzlei stellte sich hinter die Olympia-Ambitionen Leipzigs. "Wir wollen im Kabinett die finanziellen Anforderungen prüfen", ließ die Staatskanzlei verlautbaren.

Nachdem Leipzig bereits das marode Zentralstadion in eine WM-taugliche Fußball-Arena umbaut, rollen parallel die Bagger für den Bau der hochmodernen Mehrzweck- Arena an. "Was die Infrastruktur betrifft, so sind wir so optimistisch, dass wir in zwölf oder 16 Jahren auch so weit sind wie Stuttgart oder das Ruhrgebiet als mögliche deutsche Mitbewerber", meinte Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee.

 

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-ehe-