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Namensgebung
an 43. Schule Leipzig verschoben /
Experten-Streit um Schriften von Friedrich Ludwig Jahn
Sonderlich aufregend
klingt der Name nicht: "43. Schule Leipzig". Staat kann die
Sportmittelschule damit kaum machen. Kein Wunder, dass die Leitung mit
Eltern und Schülern nach einem passenden Namen sucht. Sie wurden fündig
und entschieden sich für Friedrich Ludwig Jahn.
Die Schulkonferenz
plädierte nach einjähriger, intensiver Recherche einhellig für Jahn.
"Wir wollten seinen Namen, der das besondere Profil der Schule
unterstreicht", erklärte Schul-Chef Hans-Jörg Hain. "Wir
haben es uns nicht leicht gemacht, uns auch mit der Widersprüchlichkeit
Jahns auseinander gesetzt."
So stießen die
Leipziger bei ihren Nachforschungen auf Vorwürfe in der Literatur,
wonach sich der Begründer des Turnens im Kampf um Deutschlands Einheit
und Freiheit auch in der "völkisch geprägten Gedankenwelt"
befunden habe. Eine Hamburger Schule hatte aus diesem Grund 1998 den
Namen Jahn abgelegt. Die Schulkonferenz blieb nach erneuten
Nachforschungen bei ihrer Wahl. "Wir haben uns mit der
Jahn-Forschungstelle in Freyburg beraten", erklärte Elternsprecher
Bernd Fraunholz. "Eine antisemitische Einstellung Jahns war für
uns nicht erkennbar. Man kann sicher aus vielen Sätzen herauslesen,
was man herauslesen will. Dass er von den Nationalsozialisten
missbraucht wurde, kann man ihm ja nicht unbedingt vorwerfen."
Immerhin liest es
sich, losgelöst aus Jahns Gesamtwerk und vor fast 200 Jahren
geschrieben schon bedenklich. "Wehe über die Juden, so da
festhalten an ihrem Judentum und wollen über unser Volkstum und
Deutschtum schmähen", hat der bärtige Turnvater in der Zeit der
französischen Besetzung unter Napoleon einst gedroht, und zur Turnerei
dürfe überhaupt nicht kommen, wer "Ausländerei liebt, lobt,
treibt und beschönigt".
Image-Schaden
befürchtet
Wie dem auch sei: Der
Antrag wurde im Juni 2001 im Schulverwaltungsamt abgegeben. Der
Zeitpunkt schien günstig, zumal die Namensgebung vor dem Turnfest
erfolgen sollte und das Organisationskomitee positiv auf das Vorhaben
reagierte. Zum eigentlichen Ereignis hätten Nachfahren
Jahns, die sogar aus den USA kommen werden,
die Schule gegenüber dem neuen Zentralstadion besuchen können.
Das können sie immer
noch, doch den Namen Jahns wird die Einrichtung nicht tragen. Zumindest
vorerst nicht. Direktor
Hain hatte in
einem Brief an Burkhard
Jung, dem
Leipziger Schulbeigeordneten, im Oktober des Vorjahres darum gebeten,
den Termin zu verschieben, um die Vorbereitung des Turnfestes nicht mit
der zu erwartenden kontroversen Jahn-Diskussion zu belasten. Nun soll um
den 150. Todestag (15. Oktober) die Namensgebung erfolgen.
Ob es dazu
kommt, ist nicht sicher. Denn Horst
Brandt, der im Schulverwaltungsamt zuständige
Prüfer, fährt "schwere Geschütze" auf und verweist auf
Jahns Demokratiefeindlichkeit, Fremdenfeindlichkeit und
National-Chauvinismus. Dessen Schriften kursieren in rechtsradikalen
Kreisen. "Die bisherige unkritische Bewunderung Jahns können wir
so nicht fortsetzen, das ist unverantwortlich."
Stadtrat wird entscheiden
Letztlich wird der Stadtrat die Entscheidung treffen. Die Vorlage für
die Abgeordneten liegt laut Jung auf dem Tisch. "Ich habe im zuständigen
Ausschuss mündlich die Situation vorgetragen, dieser hat den von der
Schule vorgeschlagenen Weg zustimmend zur Kenntnis genommen", erläutert
Jung und weist darauf hin, "dass es keine abgestimmte
Verwaltungsmeinung zum Vorschlag gibt, lediglich den Antrag der
Schule."
"Wir hätten uns schon gewünscht,
dass man uns in der Zwischenzeit auf dem Laufenden hält", moniert
Fraunholz.
Die 43. Schule plant im Mai eine Jahn-Ausstellung und knüpft damit an
das Turnfest in München 1998 an. Dies endete mit einem Grußwort vom
damaligen Bundespräsidenten Roman
Herzog. Darin hieß es unter
anderem:
"Der 'Turnvater Jahn', der selbst
Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung war, ist Symbol dafür,
dass der Sport im wohlverstandenen Sinn Ausdruck freier Bürger ist.
Seine vier 'F' Frisch, From, Fröhlich, Frei sind nicht umsonst
bis heute das Emblem des Deutschen Turnerbundes."
Das Deutsche
Turnfest in Leipzig beginnt in 63 Tagen. 100.000 Teilnehmer und Gäste
haben sich angekündigt. Am 19. Mai werden Jahn-Nachfahren gemeinsam mit
50 amerikanischen Turnern im Leipziger Rathaus empfangen. In
unmittelbarer Nachbarschaft vom neuen Zentralstadion befindet sich die
43. Schule Leipzig (Sportmittelschule), die den Namen von Friedrich
Ludwig Jahn tragen möchte. Bis zur Wende hieß die Einrichtung POS
Walter Ulbricht. (Kerstin Förster / LVZ,
16-17 März-2002).
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