„Der
gutmüthige deutsche Schalk“
Von Gerd Steins,
Kulturwart des Berliner Turnerbundes
Seit
mehr als 150 Jahren gibt Dr. hc Dr. hc Friedrich Ludwig Jahn,
uns allen als "Turnvater" bekannt, vielen Regimen, Parteiungen,
Verbänden und Lobbyisten im deutschen Sprachraum Anlass, das für die
jeweilige Richtung passende Quentchen Wahrheit aus seiner Biografie zu
destillieren und entweder einen Heilsgesang anzustimmen oder ein
Verdammungsurteil auszusprechen! Die Taten und Äußerungen, die dem
jeweiligen Urteiler nicht so recht in den Kram passen, werden dabei unter
den Tisch gekehrt - eine Verhaltensweise, die sich regelmäßig an den
"Jahn'schen Jahrestagen" als "Kontinuum" der Jahnwürdigungen
beobachten lässt. Anders ausgedrückt:
Jahn und sein Schaffen dient als Steinbruch,
aus dem sich jeder die Mosaiksteine für sein interessengebundenes
Jahn-Bild herausbricht.
Hier soll kein weiteres Zerrbild entwickelt
werden, sondern es ist viel lohnender, zwischen dem 150. Todestag (15.
Oktober 2002) und dem 225. Geburtstag (11. August
2003) Personen in mehreren Folgen zu Wort kommen zu lassen, die
Jahn aus eigenem Erleben beurteilen konnten.
Ernst
Moritz Arndt schrieb über Jahn im November 1855:
"Ja, der gutmüthige deutsche
Schalk, das bleibt die Ueberschrift auf Jahns Leben. Wann höhere
Gefühle von Ehre, Vaterland und Freiheit ihn nicht eben hielten,
sprang dieser lustige Schalk sogleich aus ihm hervor, oder
vielmehr ging er mit ihm durch; und durch diese seine angeborne
Natürlichkeit (naturalezza), die doch als Lust und Liebe in
seinen schönen blauen Augen und in all seiner Gebärde leuchtete,
hat dieser Mann, wie ich eben sagte, durch seine Gebärde so als
durch seine Rede und die seltene Gabe derselben die grosse Macht
auf das gute gemeine Volk und auf die Knaben und Jünglinge
gehabt, welche ihm ja bös genug in die Schuhe gegossen worden
ist.
Er war
kein gewaltiger Redner, aber war ein geborner Sprecher, Erzähler
und Fabelmacher für alle Kleinen und Geringen. |
Ernst Moritz Arndt
(geb. 26.12.1769 in Groß-Schoritz auf Rügen als Sohn eines
ehemaligen Leibeigenen).
Er studierte Geschichte und Theologie. 1805 wurde er Professor in
Greifswald. Wegen seiner antinapoleonischen Flugschrift
"Geist der Zeit" musste er nach Stockholm fliehen. Er
folgte 1812 dem Freiherrn vom Stein als Privatsekretär nach
Petersburg. Arndt starb am 29.01.1860 in Bonn.
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Er
hatte das Volk im Herzen und verstand die Sprache desselben wohlgefällig
zu sprechen. Er trug einen reichen mächtigen Bestandtheil deutscher Art
in seinem Innern. Ich darf sagen, indem ich den Mann und seine treue
redliche Wirksamkeit auf Erden heute noch loben muss: Jahn konnte
vortrefflich eulenspiegeln, ja, wann er in guter Laune war, musste er
diese Rolle oft spielen; aber nur die Rolle des lustigen schalkhaften
Eulenspiegels, nicht des schmutzigen und unfläthigen, womit die
Geschichtsbücher des in Mölln an der Elbe begrabenen Euelnspiegels gefüllt
sind. Zu Jahns Ehre sei es gesagt: leicht fuhr sein Herz, ja zu leicht
fuhr es ihm oft über die Zunge, aber von allen wüsten und schlüpfrigen
Spässen wandte sich sein Blick und sein Wort flugs im unwilligen Zorn ab.
Indem er vieles oft oberflächlich und leicht zu nehmen schien, muss doch
bekannt werden, dass es mit der Ehre, mit der deutschen Ehre und
Ehrlichkeit, mit der deutschen Treue und Sittlichkeit wenigen wohl mehr
ernst gewesen ist als ihm. ...
Ihm war widerfahren was allen Rhapsoden, die in Gottesbegeisterung aus
einer gewissen Höhe zum Volk zu reden bestimmt sind, unvermeidlich
widerfahren muss, dass sie nicht nur alles Leben und die Erscheinungen
desselben erzählen und schildern müssen, sondern dass sie mit allem
ihrem Sein in dem ewig beweglichen Redestrom mit fortgeschwemmt werden.
Nicht bloss was er gethan, gewirkt und geschaffen hatte, sondern auch
alles was er jemals
gewollt, entworfen, gestrebt oder wozu er nur Anläufe genommen hatte, war
in das Fabelleben seiner Rede so unwillkürlich und unbewusst mit
verflochten, als wären Thaten und Werke gewesen, was zum Theil kaum Einfälle
und Anläufe, geschweige geordnete Entwürfe gewesen waren.
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Daher bei ihm
vor vielen so leicht der Schein des Prahlers. Es war dies auch nur eine
eulenspiegelnde Poeterei des Fabulanten.
In
dieser Weise habe ich geglaubt, über den rechtschaffenen aber seltsamen
Mann gegen viele Verkleinerer und einige Schmäher ein kurzes und leichtes
Wort der Erklärung und Berichtigung sprechen zu dürfen. Man kann nur auf
wenige Gräber leuchtende Rosen und glänzende Lorbeeerkränze streuen,
aber der treuen, redlichen Tugend eines Mannes, wo sie ist und was sie
ist, soll man doch ein bescheidenes grünes Kränzchen aufs Grab
legen." |
Ehrung
am Jahngrab aus Anlass des 150.
Todestages
am 15. Oktober 2002 |
(Mit
freundlicher Genehmigung:
Berliner TurnMagazin, Ausg. 9-10/2002, Seite 1) |
15-Okt-2002
-ehe-
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