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Gelesen in :diewelt.jpg (7635 Byte)  (03-01-2000)
Zehn Thesen zur Sportberichterstattung im dritten Jahrtausend

Greller, skrupelloser und weniger unabhängig

Von Josef Hackforth

Köln - Das atemberaubende Tempo der elektronischen Revolution wird im neuen Jahrhundert die Medienwelt nachhaltig verändern. Für die WELT wagt Prof. Dr. Dr. h.c. Josef Hackforth am Jahresanfang 2000 eine Prognose über die Entwicklung der Sportberichterstattung anhand von zehn provokanten, wegweisenden Thesen. Als Leiter und Lehrstuhlinhaber am Institut für Sportpublizistik in Köln stützt Hackforth seine Erkenntnisse auf die dortigen Untersuchungen.
  • These 1: "Es wird zukünftig kein einheitliches Berufsbild für Sportjournalisten mehr geben!"

    Die aktuellen und professionellen Funktionen im Sportjournalismus können nur noch unter medienspezifischen Bedingungen erklärt werden. Agenturen, Tageszeitungen, Zeitschriften, Hörfunk und Fernsehen bekommen ein weiter ausdifferenziertes Anforderungsprofil für Sportjournalisten und eine Funktionsreduzierung je nach Medium und Auftrag. Die Segmentierung des Berufsstandes nimmt stärkere Konturen an, ein einheitliches Ausbildungs- oder Weiterbildungsprofil greift zu kurz. Hinzu kommen neue Berufsbilder, z.B. Online-Redakteure oder Web-TV-Spezialisten, denen erst eine neue Ausbildung und ein geregelter Zugang zugewiesen werden müssen. Aus der "Clique von Kumpeln" oder den "Außenseitern der Redaktion" ist ein moderner Berufsstand geworden, der nicht mehr medienübergreifend bewertet werden darf.
  • These 2: "Die Boulevardisierung der Sportberichterstattung wird weiter zunehmen, partielle Tendenzen eines Präzisionsjournalismus werden komplementär wirken!"

    Die besonders seit der Öffnung des Rundfunksystems zu beobachtende Tendenz einer zunehmenden Unterhaltungsorientierung im Sportjournalismus (auch Selbstdarstellung) hat vor keinem Medium Halt gemacht. Diesem "Amüsieren" um jeden Preis setzen sich Tendenzen eines stärker investigativ und evaluativ orientierten Sportjournalismus entgegen. Die notwendige Komplementärfunktion haben zahlreiche Medien mit Erfolg bereits praktiziert - publizistisch und ökonomisch.
  • These 3: "Der Berufsstand wird von einem weiteren Autonomieverlust erfasst!"

    Früher wurde in der Redaktion entschieden wer, wo, was und vor allem wann journalistische Aufgaben erledigt werden müssen. Kriterien der Selektion, Realisation und Präsentation lagen originär bei den Journalisten. Heute sind Übertragungs- und zukünftig womöglich auch Berichtsrechte vergeben, Akquisition und Vermarktung sind vorgegeben. Entscheidungen über die Frage, ob, wie und wann berichtet wird, liegen zunehmend außerhalb der Sportredaktion. Der Sport als Ware unterliegt ökonomischen Gesetzmäßigkeiten häufig eher den publizistischen Grundforderungen. Hörfunk wird dem Fernsehen nacheilen, die Agenturen und Printmedien sowie Sportfotografen werden folgen. Die Entscheidungen werden durch Rechte, Nachfrage und vor allemwerbeträchtige Vermarktung determiniert.
  • These 4: "Die Konvergenz in Köpfen und Kanälen wird weiter zunehmen, zielgruppendefinierte Spartenprogramme durchbrechen das more of the same!"

    Während die marktführenden Vollprogramme stets auf Massenattraktivität und damit hohe Quoten und Marktanteile achten müssen, ist der Spielraum für Spartensender größer. Spezielle Zielgruppen, interessante Sportarten sowie die Möglichkeit des journalistischen Experiments lassen Hoffnungen keimen, die mit dem Begriff "elektronischer Kiosk" beschrieben werden. "Your personal TV" mag als Synonym für den Versuch gelten, auch kleinere Zielgruppen zu bedienen: Bei 150 Kanälen müsste dies möglich sein.
  • These 5: "Der Nachweis aggressiverer Recherchemethoden im Journalismus ist durch zahlreiche Studien erbracht, auch der Sportjournalismus wird greller und skrupelloser!"

    Studien aus den USA und Deutschland belegen diesen Trend, der bis zur Leugnung der eigenen Identität und Absicht führt, vor kriminellen Handlungen nicht zurückschreckt und unfaire, illegale Verhaltensweisen legitimiert. Man recherchiert sich seine "heiße Geschichte" nicht kaputt, man inszeniert, was de facto noch gar nicht passiert ist, um das Eintreten desselben zu beschleunigen. "Self fullfilling prophecy" wird das genannt und ist durch ungezählte Trainerentlassungen belegbar. Ob gut unterrichtete Kreise, Stimmen aus der Nähe des Protagonisten oder Gerüchte, die sich meist bestätigen. Mit diesen Nebelkerzen werfen längst nicht nur Boulevardjournalisten um sich - die Strukturen sind überall ähnlich, nur unterschiedlich drastisch ausgeprägt. Bisweilen ist der gepflegte Zynismus jedoch für Betroffene und Beteiligte schmerzhafter als der direkte Affront. Obwohl 85 Prozent der Sportjournalisten meinen, sie seien wirkungsvoll und mit "Macht" ausgestattet, akzeptieren sie nur zu 30 Prozent die These "Opfer" zu produzieren, währenddessen sie am Heldenepos zu 60 Prozent beteiligt sein wollen. Negative Konsequenzen des professionellen Handelns werden - weltweit im Journalismus - stets seltener gesehen als positive! Ich bitte, kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Kritik und Kontrolle im Journalismus sind erwünscht; der Verrohung der Sitten muss begegnet werden.
  • These 6: "Der bekannte Generationswechsel im Sportjournalismus setzt sich fort - die Diskrepanz zwischen jung und alt bleibt deutlich.
    Die Hüter sportlicher Werte, die Vermittler demokratischer und pädagogischer Ziele sowie die Wahrer des Kulturverständnisses von Sport bleiben in der älteren Generation fast allein. Die Jüngeren, formal besser Gebildeten und mit einer anderen Ausbildung versehenen, lassen diesen "Zopf" unbeachtet links liegen - nicht alle, aber ziemlich viele! Karriere und Unterhaltungswert, damit vielfach auch Marktwert, sind die Leitlinien des Tuns und so manche akademische Hoffnung erstickt im praxisnahen Ambiente.
  • These 7: "Der Einfluss des Fernsehens auf den Sport wird weiter zunehmen, die Authentizität des Sports muss jedoch sichtbar bleiben!"
    Internationale Sportjournalisten danach befragt, welche Institution zukünftig den größten Einfluss auf den Sport ausüben werde, antworten zu über 90 Prozent: das Fernsehen. Nicht IOC, FIFA, UEFA oder IAAF, geschweige denn DFB und NOK, der "heimliche Chef" im Verhandlungsring sind die Medienprofis der TV-Branche. Sie verändern nicht nur Sportereignisse qua Anwesenheit, sondern sie inszenieren immer perfekter. Die Kopie im Wohnzimmer ist häufig besser als das Original vor Ort. Medien-Realität eben oder Erlebnisse aus zweiter Hand. Die Authentizität des Sports, seine Regelhaftigkeit und vor allem seine eigene Dramaturgie müssen jedoch erhalten bleiben, wenn Spannung, Interesse und Nachfrage gewahrt bleiben sollen. Der "Nukleus" des Sports ist unantastbar - oder die Folgen sind kontraproduktiv, im wahrsten Sinne des Wortes.
  • These 8: "Neue Verwertungsketten und Sender-Familien sorgen für kanalübergreifende Versorgung!"
    Vorbei sind die Zeiten, da ein Ereignis auf nur einem Kanal oder zumindest im alternierenden Modus ausgestrahlt wurden. Zukünftig gilt: ein Ereignis, in unterschiedlichen journalistischen Stilformen, auf vielen Kanälen zu verschiedenen Zeitpunkten! Live, als Aufzeichnung, als Filmbeitrag, als NiF oder bloß verlesener Nachricht; im Internet oder Web-TV, ganz zu schweigen von weiteren Vertriebs- und Verteilformen. Sport und Fußball satt - ob
    im "free-TV", dem gebührenfinanzierten TV oder im Pay-TV und zukünftig Pay-per-view. Allein die Refinanzierung überteuerter Ausstrahlungsrechte zwingt zur Diversifikation der Ware. Wann der Sättigungsgrad beim Publikum erreicht wird, zeigt das Tennisbeispiel. Der Fußball muss aufpassen, seine erfolgreiche Marke nicht zu verschleudern. Wir Konsumenten werden unabhängiger, aber zahlen unseren Preis dafür! Es werden Pakete (sorry: packages) geschnürt, Rabatte gewährt und Treueprämien vergeben. Der Energiesektor lässt ebenso großen wie die Telekommunikation. Privatisierung und Konkurrenz führen meist zu ähnlichen Angeboten und Verfahrensweisen, kurzum: Konsequenzen.
  • These 9: "Für viele Sportjournalisten bleibt ihre Profession eine ‚teure Geliebte'!"
    Trotz zeitlichem Stress, Beruf ohne Sonntag, in den meisten Fällen durchschnittlicher Bezahlung - Sportjournalisten "lieben" ihren Beruf und ihr Hobby. Hohe individuelle Anfälligkeit für Beziehungsverluste und abweichendes Verhalten schützen nicht vor der Selbsteinschätzung, diesen Beruf auch ein zweites Mal zu wählen und damit sehr zufrieden zu sein. Offensichtlich ist der tägliche Umgang mit Prominenz und die Selbstverwirklichung durch Kreativität und Phantasie Indikator genug, sich wohl zu fühlen und weiterzumachen. Deshalb sind die "Aufsteiger des letzten Jahrzehnts" nicht zu demotivieren, wird ihre alltägliche Last zur täglichen Lust.
  • These 10: "Der Sportjournalismus und seine gesellschaftliche Relevanz werden weiter steigen!"
    Noch nie war die sportbezogene Nachfrage in Deutschland höher als 1999, noch nie zuvor ist so viel Sport im TV gesendet worden. Immer noch gehören Sportübertragungen zur größten Gruppe in den TOP 100 eines jeden Jahres. Die Freizeit- (Sport-) und Informationsgesellschaft wird sicher im nächsten Jahrtausend für weitere Expansionen sorgen. Ich plädiere dafür, ernsthaft und analog zum "technology assessment" ein "journalism assessment" einzuführen, eine seriöse Forschung über die Folgenabschätzung einer TV- und Medienwelt, die mehr und mehr Zeit beansprucht. Nicht kulturkritisch oder technikpessimistisch, nein, sondern im Sinne von sozial verträglich und individuell verantwortlich - zum Nutzen aller!

Quelle: Die Deutsche Sporthochschule in Köln im Internet: http://www.dshs-koeln.de
Unser Buchtipp dazu: "Ein Blick zurück nach vorn - Sportjournalisten erinnern sich" von
Josef Hackforth u. Michael Schaffrath
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