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Friedrich
Ludwig Jahn – ein "Antisemit..."?
Prof. Dr.
Jochen Bartmuß
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In der Ausgabe
06/2005 des deutschen Turn-Magazins
LEON*
erschien eine Rezension von Sandra
Schmidt zur jüngsten
Auflage des Buches von
Arnold/Leirich "Gerätturnen
TERMINOLOGIE",...
die von wenig
Sachkenntnis zeugt und bei Wertungen jegliche Objektivität
vermissen lässt!
Als
Historiker maße ich mir nicht an, die sportfachliche Seite
dieser Rezension zu beurteilen, das haben namhafte Fachkollegen
der Autoren in überzeugender Weise getan
(siehe GYMforum an anderer Stelle bei www.gymmedia.de
).
Was mir als Historiker und Ehrenvorsitzendem des
Friedrich-Ludwig-Jahn-Fördervereins in Freyburg/Unstrut an
dieser Rezension missfällt, sind die Äußerungen der
Rezensentin über Jahn. |
Friedrich
Ludwig Jahn – ein Mensch seiner Zeit
Stellungnahme des Ehrenvorsitzenden des
Fördervereins zur Traditionspflege und Erhaltung der
Friedrich-Ludwig-Jahn-Gedenkstätten, Prof. Dr. Hans-Joachim Bartmuß,
zu einer Rezension im Turnmagazin Leon 06/2005:
Das große
Verdienst dieses Mannes, den ich nach jahrelanger Beschäftigung mit
den allen Interessierten zugänglichen Buchpublikationen und
Archivmaterialien für eine historische Persönlichkeit halte, die zwar
- wie die meisten Menschen - auch mancherlei "Ecken und
Kanten" aufweist, der aber das große historische Verdienst, das öffentliche
Turnen, das Turnen für alle in der damaligen Männergesellschaft ins
Leben gerufen und dafür eine Turnsprache geschaffen zu haben, nicht
abgesprochen werden kann.
Die offensichtlich aus Unwissenheit resultierende Unredlichkeit der
Rezensentin im Umgang mit Friedrich Ludwig Jahn kommt am schärfsten
in folgender Aussage zum Ausdruck:
"...
DDR-spezifische Formulierungen wie die oben zitierte werden
heute denn auch durch deutsch-nationale Klischees der
Turnbewegung und Zitate des Antisemiten Jahn (der denselben
Autoren 1972 nur eine Fußnote wert war) ersetzt. Auch dies ist
historisch bemerkenswert ...". |
Was Sandra
Schmidt unter "historisch bemerkenswert" versteht, ist
sicherlich nicht nur für mich unverständlich, lässt doch gerade
die eben zitierte Äußerung ihre Qualifikation sehr fragwürdig
erscheinen.
Darüber hinaus aber rüttelt die Rezensentin mit dem
"Antisemiten" Jahn geradezu an den Grundfesten der Traditionen
des Deutschen Turner-Bundes, in dessen Satzung (§ 1) die Pflege
"des von Friedrich Ludwig Jahn begründete(n) deutschen
Turnens" als einer seiner Grundsätze formuliert ist.
Ich weiß
nicht, welche Quellen und welche Literatur Sandra Schmidt -
zumindest oberflächlich - eingesehen hat, bevor sie Jahn als
Antisemiten "outete" oder ob ihr gar schon gereicht
hat, dass andere, ebenso oberflächlich arbeitende "Geschichsinteressenten"
unablässig Jahn als "Antisemiten" bezeichnen, aber
nicht bereit bzw. mangels ausreichender Fachkenntnisse nicht in
der Lage sind, sich einer wissenschaftlichen Diskussion über
diese Frage zu stellen. Als langjähriger Vorsitzender des
Jahn-Fördervereins bin ich dieser Frage selbstverständlich
sehr gründlich nachgegangen und habe über meine diesbezüglichen
Ergebnisse öffentlich in Bremen referiert |
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(
* -
Dieser Vortrag wurde publiziert in dem Sammelband
"Streifzug durch die Sportgeschichte. Festschrift zur
Verabschiedung von Prof. Dr. Harald Braun, Bremen 2004, S. 135 -
160). Außerdem hat ihn der Jahn-Förderverein auf seine
Homepage gestellt, so dass er dort von allen Interessierten
nachgelesen werden kann. (s.u.) |
JAHN
und das Heute:
... sein Ur- Ur-, Ur-Enkel "Klein-Ernie" aus
Chikago |
Mein
Ergebnis:
Es ist durch nichts zu rechtfertigen, Jahn als Antisemiten zu bezeichnen!
Ich kann in der gebotenen Kürze meine Beweisführung nicht ausführlich
darlegen. Angesichts der genannten Publikationen ist das auch nicht
notwendig. Ich beschränke mich deshalb an dieser Stelle auf wesentliche
„Eckpunkte“ meiner Recherchen:
1. Als
Historiker gehe ich mit dem großen französischen
Geschichtstheoretiker Marc Bloch,
Mitbegründer der Annales-Schule davon aus, dass die
Geschichtswissenschaft die "Wissenschaft von den Menschen in der
Zeit" ist und deshalb ein historisches Phänomen nicht befriedigend
erklärt werden kann, "ohne dass auch die Zeit untersucht wird, in
der es aufgetreten ist".
2. In
den letzten Jahrzehnten sind zahlreiche wissenschaftliche
Untersuchungen vorgelegt worden, die u. a. auch die Periodisierung des
Antisemitismus in Deutschland zum Gegenstand haben. Unter den
betreffenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ragt dabei vor
allem die israelische Historikerin Shulamit
Volkov, Professorin an der "School of Histories",
Tel Aviv University, hervor.
Volkov stellt im Ergebnis ihrer eigenen Untersuchungen sowie die vieler
anderer fest, dass bei den bisherigen Periodisierungsversuchen infolge
der Ausblendung des Neuen und der Überbewertung der Kontinuitätskräfte
allzu oft wichtige Fragen verstellt worden sind. Sie vertritt im
Ergebnis ihrer Recherchen den von vielen Gelehrten geteilten Standpunkt,
dass es deutliche Zäsuren gibt in der Stellung der Gesellschaft zur
Judenfrage, dabei u. a. eine Zäsur zwischen dem deutschen Mittelalter
bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts und der Zeit danach bis in die
zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Diese Zäsur trennt ihren
Forschungen zufolge einen "Antijudaismus" von einem
Antisemitismus, der zeitspezifisch gewesen ist und "aus den
besonderen Erfordernissen und Problemen dieser Ära" erwuchs, und
der wiederum vom Antisemitismus der nationalsozialistisch bestimmten
Gesellschaft abgesetzt werden muss.
3. Für
die "Jahnzeit", die Zeit zwischen dem ausgehenden 18. bis
um die Mitte des 19. Jahrhunderts, hat es danach keinen
"Antisemitismus" gegeben. Deutlich erkennbar waren jedoch während
dieser Zeit sowohl ein "Antijudaismus" und ein "Philosemitismus".
Im Zusammenhang mit der öffentlichen Auseinandersetzung über den
Emanzipationsprozess der Juden im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts
entbrannte eine erbitterte Auseinandersetzung zwischen Vertretern
beider Lager um die bürgerliche Gleichstellung der Juden. Allein im
Jahre 1803 sind über 60 Schriften erschienen, die sich mit positivem
oder negativem Ergebnis mit der Frage der jüdischen Emanzipation
befassten. Dabei bevorzugten die Gegner der Judenemanzipation eine sehr
harte Gangart. So behauptete z. B. der
hochangesehene Göttinger Orientalist und ev. Theologe J. D. Michaelis,
die Juden seien "25 oder noch mehr mal lasterhafter" als
andere Einwohner in deutschen Landen, und der jüdische
"Nationalcharakter" sei unveränderbar. K.
W. F. Grattenauer, Rechtkommissar am Berliner Kammergericht,
plädierte, vom gleichen Standpunkt aus urteilend, für die Vertreibung
der Juden oder ihre Rückführung in Ghettos. Selbst ein so bedeutender
Gelehrter wie J. G. Fichte, der 1810
erster Rektor der Berliner Universität wurde, unter anderem schrieb:
"... ihnen (den Juden) die bürgerlichen Rechte zu geben, dazu sehe
ich wenigstens kein Mittel als das, in einer Nacht ihnen allen die Köpfe
abzuschneiden und andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische
Idee sei". Derartige Argumentationen fanden viel Zustimmung, zumal
das Problem der Judenemanzipation zu dieser Zeit mit der deutschen
nationalen Frage geradezu verwoben war.
4.
Jahn hat sich in seinen Arbeiten vom "Deutschen
Volkstum" bis zu seinen "Neuen Runenblättern" und den
"Merke zum Deutschen Volkstum" niemals in dieser aggressiven
Weise über das Judentum geäußert. Seine im Grunde nur gelegentlichen,
fast stereotypen Äußerungen über die Juden entbehren fast ausnahmslos
dieser Aggressivität, obwohl sie auch im zeitgenössischen Diskurs über
die Judenemanzipation ihre Grundlage hatten. Mit anderen Worten: Jahn
nahm in seinen Schriften nur das auf - dabei jedoch eher in gemilderter
Form und fast ausschließlich im nationalstaatlichen Zusammenhang -, was
im gesellschaftlichen Diskurs von anderen Gelehrten und Politikern, die
er z. B. im "Deutschen Volkstum" z. T. sehr ausführlich
zitierte, bereits vorweggenommen war.
Im Ergebnis dieser Untersuchungen
musste ich konstatieren, dass Friedrich Ludwig Jahn - in seine Zeit und
ihre gesellschaftlichen Verhältnisse eingeordnet -
auf gar keinen Fall als Antisemit verdächtigt werden darf!
Friedrich
Ludwig JAHN
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Zudem
hielt er sich in der Diskussion um die Judenemanzipation
auffallend zurück und übernahm niemals die in scharfe Worte
gekleideten Urteile über die Juden, die in dieser Diskussion an
der Tagesordnung waren.
Zweifellos war Jahn "Antijudaist", er trat als solcher
aber nicht in besonderer Weise hervor. Deshalb ist es auch nicht
gerechtfertigt, ihn wegen seines Verhältnisses zu den Juden zu
brandmarken. Dieses Urteil über die Haltung Jahns zu den Juden
erfährt seine Bestätigung nicht zuletzt darin, dass Jahn
jungen Menschen jüdischer Abstammung den Turnplatz in der
Hasenheide stets offen hielt, dass sich in den Befreiungskriegen
von der napoleonischen Herrschaft im preußischen Heer, sogar im
Lützow'schen Freikorps, zahlreiche Juden befanden (am ersten
Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig besuchten übrigens
viele Christen die Synagogen und viele Juden die christlichen
Kirchen), dass der Abgeordnete Jahn sich an den Diskussionen zur
Judenemanzipation in der Frankfurter Nationalversammlung nicht
beteiligte, |
und dass
er sich während seines Aufenthalts 1848/49 in Frankfurt, von
einer kurzzeitigen Krankheit heimgesucht, von dem
Frankfurter Arzt Salomon Stiebel,
einem Juden, der während seines Dienstes als Feldwebel bei den
"Lützowern" den Spitznamen „Bär“ erhielt,
behandeln ließ. |
Prof. Dr.
Hans-Joachim Bartmuß
Ehrenvorsitzender des Fördervereins zur Traditionspflege und Erhaltung
der Friedrich-Ludwig-Jahn- Gedenkstätten in Freyburg/Unstr.
)* -
Dieser Beitrag ( - aus dem Sammelband "Streifzug durch die
Sportgeschichte. Festschrift zur Verabschiedung von Prof. Dr. Harald
Braun, Bremen 2004, S. 135 - 160) ist inzwischen auch
auf der Homepage des Fördervereins:
>> www.jahn-museum.de
, veröffentlicht worden.
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