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Tippelt, bei seinem
Element: Die Tippelt-Grätsche am Barren
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Leopoldshöhe/Leipzig.
Die Videosammlung im Hause
Tippelt hat seit vergangener
Woche
einen neuen Bestseller: Teil 1: Turnen von einem
anderen Stern. Teil 2: Der
Niedergang des deutschen Turnens.
"Entgegen allem, was an
Schönfärberei in die Welt gesetzt
wurde, hat es sich doch schon vor einigen Jahren
angedeutet, dass es bergab geht. Es war ein langwieriger Prozess,
dem nicht
entgegen gewirkt wurde", kritisiert Sven
Tippelt. Für den 36-jährigen ehemaligen
Leipziger DHfK-Turner mit Jokey-Maßen (1,55 m) steht klar fest,
warum die Gerätekunst hier zu Lande
in der Krise steckt. |
"Das liegt
zum einen an der Verbandsführung, in der sich einige Leute in Selbstherrlichkeit
sonnen. Traditionen werden kaum gepflegt. Es wird versäumt,
ehemalige Aktive in diese Arbeit zu integrieren. Es gibt Ausnahmen wie
Sylvio Kroll. Doch die Franzosen oder Italiener machen uns in dieser
Beziehung
etwas vor", behauptet der Diplomsportlehrer und schiebt
nach: "Sobald
man die Nationalmannschaft verlassen hat, fällt man weg."
Oder in Ungnade, wie Andreas
Wecker.
"Das letzte deutsche Turn-Idol wurde
verheizt. Er
war unbequem und es hat nicht jedem gepasst, wie er sich gegeben hat.
Aber jeder
ist doch auch sein eigener Herr", meint Tippelt, der seine
Olympia-Urkunde von 1992 vom Deutschen
Turner-Bund zugeschickt bekam. Womit die
"Kommunikation" zwischen dem mehrfachen
Olympia-Medaillengewinner und der
Verbands-Zentrale in Frankfurt beendet war.
Den Schluss-Strich unter den Leistungssport
hatte der stille Meister gleich nach
der Wende gesetzt. Verletzungen zwangen zu diesem Schritt. Nach reiflicher
Überlegung verließ Sven Tippelt seine Heimatstadt, suchte im Westen
vor allem eine berufliche Chance. Diese bekam er in Iserlohn in einem
mittelständischen Unternehmen. Der Chef, ein
Freund des Turnens, ließ seinem Angestellten
die nötigen Freiräume für dessen sportliche Ambitionen. Plötzlich
war der Kick wieder da. "Ich habe mich auf
die Olympia-Qualifikation
vorbereitet und Barcelona geschafft. Auch dank meines Leipziger
Trainers Lutz Kaps, zu dem ich immer noch einen guten Kontakt habe.
Er ist jetzt arbeitslos, wie viele andere gute Trainer auch, die rausgeschmissen
worden sind."
Die
Spiele in Spanien deuteten die Talfahrt
des
deutschen Kunstturnens bereits an. Platz vier
erreichten die Männer. "Experten
haben damals gesagt, dass dies für lange Zeit das beste Ergebnis
bleiben
wird", erinnert sich Tippelt.
Realität WM 2001: Platz 13 und kein
DTB-Starter
im Gerätefinale. Zumindest überraschten die jungen
Damen mit Platz acht. Die
Turn-Familie Tippelt diskutiert. Für Senior
Frank Tippelt (64), einst Auswahlmitglied
und mehrfacher Meister, sind "die
Leistungen geradezu in den
Keller gegangen. Leider gibt es heute
nur Einzelne, die sich dem anstrengenden
Training unterziehen." Svens Schwester
Anja (32), die für den SCL
erfolgreich war, freut sich über die Ergebnisse der Frauen. Ihr
Bruder hakt noch einmal nach. |
Sven Tippelt,
Wiedersehen 2001 mit internationalen Freunden:
Bruno Cavelti, Schweiz
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"Schon im
unteren Bereich fehlen die Strukturen, um
Weltspitzenleistungen zu entwickeln. Auch an
der Basis ist nicht alles übers Ehrenamt
zu machen. Es gibt Lichtblicke im Nachwuchs, aber einfach zu wenig",
meint der Familienvater, der mit seiner Frau und den Kindern Anna (11)
und Kai (7) in Leopoldshöhe bei Bielefeld lebt.
Sven Tippelt teilt aus und tut etwas für seinen
Lieblingssport. Er ist Übungsleiter
und Kampfrichter, plant fürs nächste Jahr eine intensivere Mitarbeit
im Westfälischen Turner-Bund ("Um etwas zu bewegen"). Stolz
berichtet der nicht mehr aktive
Gerätekünstler ("Im Vorjahr habe ich meinen letzten
Bundesliga-Wettkampf absolviert. Vielleicht sieht man mich mal als Altersturner
wieder") über den bevorstehenden 9.Leo-Cup
am 24.11.2001 in Leopoldshöhe. "Dieses Turnier hat sich zu einer internationalen Veranstaltung
gemausert.
Der WDR überträgt sogar live." "Nebenbei" muss
der im kaufmännischen Bereich
ausgebildete Mann noch fürs Examen büffeln.
"Ich
schule gerade zum Physiotherapeuten um. Für
eine künftige Arbeit schwebt mir eine
Kombination meiner beiden Berufe vor", erzählt Sven
Tippelt.
Leipzig lobt er sich aus der Fremde.
Und kommt vorbei. Zum DHfK-Fasching sowieso und zum
Turnfest 2002. "Trotz Prüfungsstress werde
ich mir in dieser Zeit ein paar
Tage freihalten." Zu Pfingsten ist das ganze Tippelt-Team
unterwegs. "Bei uns werden sich
Freunde aus Bückeburg einquartieren", sagt Frank Tippelt,
der selbst an mehreren Turnfesten teilgenommen hat.
Wunsch der
Experten für das Spektakel auf
traditionsreichem Boden: Ein Bestseller, bitte!
Kerstin Förster
Quelle: Rubrik: Lange nichts gehört von: "Sven Tippelt,
Weltklasse-Turner",
Leipziger Volkszeitung, 10./11. November 2001 |