Ist der deutsche Turnsport noch zu retten...?
25-SEP-2002

Offener Brief der Teamchefin Gerätturnen Frauen, 
Dr. Petra Theiss 
zur jüngsten Entwicklung im DTB

 


Dr. Petra Theiss

Mit Befremden habe ich die Diskussionen um Personen und Konzepte im Bereich des deutschen Männerturnens verfolgt.
In meiner Funktion als Teamchefin der Turnerinnen im DTB habe ich bis zum heutigen Tag Zurückhaltung bewahrt. Im Zuge der aktuellen Entwicklungen sehe ich mich allerdings veranlasst, einige persönliche Anmerkungen zu machen, ohne Partei im Bereich des Männerturnens ergreifen zu wollen.

Mein Amt als Teamchefin habe ich, wie bereits schon früher erwähnt, u.a. auch deshalb angetreten, weil ich mir des geradlinigen und leistungsbezogenen Rückhalts eines Vizepräsidenten Eduard Friedrich sicher war und hoffentlich auch zukünftig sicher sein kann. Ich kenne keine Person im DTB, die sich derart konsequent und erfolgreich für den Spitzensport im Deutschen Turner-Bund eingesetzt hat und nicht nur – wie für den Deutschen Sport oftmals symptomatisch – geredet, endlos diskutiert und Konzepte gefordert hat, sondern tatkräftig– und dabei habe ich mich an seiner zum Teil drastischen Ausdrucksweise wenig gestört - Entwicklungen im Sinne des Leistungssports vorangetrieben hat. 
Die jüngsten positiven Entwicklungen im Frauenturnen, u.a. zusätzliche finanzielle Unterstützung im Bereich Akrobatik oder durch die Stiftung Deutsche Sporthilfe für einzelnen Athletinnen, haben wir insbesondere der Person des Vizepräsidenten und seiner guten Lobby im Deutschen Spitzensport zu verdanken. Persönlich schätzen gelernt habe ich insbesondere, dass E. Friedrich für handfeste fachliche und auch pädagogische (!) Argumente immer zugänglich ist, gleichzeitig jedoch eine Kuschelpädagogik ablehnt.

Zum Thema Zentralisierung: Ich denke es ist unumstritten, dass sich eine zeitlich möglichst ausgedehnte Konzentrierung auf starke Trainingsgruppen positiv auf die Leistungsentwicklung der einzelnen Athletinnen auswirkt. Wie E. Friedrich richtig dargestellt hat, bemühen wir uns bei den Turnerinnen aufgrund der schulischen Vorgaben, aber auch aus pädagogischen Gründen (u.a. Bindung an das Elternhaus, das soziale Umfeld etc., der in der Regel noch sehr jungen Athletinnen) um individuelle Lösungen einer konzentrierten Zusammenarbeit für den Athenkader. 
Wie ich den jüngsten Entwicklungen und Gesprächen im deutschen Frauenturnen allerdings entnehmen musste, ist auch dieses in Deutschland nicht flächendeckend gewollt. 
Dieser bei den Turnern wohl als pädagogisch wertvoll gepriesene Weg scheint bei den Turnerinnen interessanterweise nicht
zu funktionieren bzw. wird ebenfalls nur von einigen Personen mitgetragen, über deren uneingeschränktes Engagement ich mich in den vergangenen Wochen besonders gefreut habe! Auch die Art der Vorgehensweise bzw. der Ausdrucksweise der für die Umsetzung eines Konzeptes verantwortlichen Personen, sei es nun Vizepräsident, Sportdirektor oder Teamchefin, scheint aus meiner Sicht eine eher untergeordnete Rolle zu spielen. Wie man es macht bzw. „das Konzept an den Mann oder die Frau bringt“, es ist doch meist verkehrt. In dem einen Fall fühlen sich Turnerinnen, Eltern oder Heimtrainer überfahren, im anderen Fall die Vertreter der Landesturnverbände auf den Schlips getreten. Alle wollen mitsprechen, nur frage ich mich tatsächlich
Wollen auch alle Beteiligten in Deutschland internationale Spitzenleistung im Kunstturnen?
 
Falls ja, erscheint mir das Engagement zumindest teilweise halbherzig. Da wo es die eigene Bequemlichkeit oder individuelle Interessen jedweder Art tangiert, macht man hier und da doch lieber einen Rückzieher oder führt fadenscheinige, oftmals auch soziale und pädagogische Argumente für das Scheitern einer Konzeption bereits im Vorfeld an. 
So musste ich u.a. lernen, dass es aus der Sicht Einiger wesentlich humaner sei, eine Zentralisierung bei den Turnerinnen professionell - ohne Wenn und Aber - durchzuziehen. Das bedeutet doch im Umkehrschluss, dass eine zeitweise Konzentrierung von Turnerinnen mit Rücksicht auf schulische Vorgaben und soziale Belange an einem oder mehreren Stützpunkten unprofessionell ist. Nur frage ich mich manchmal, wo steckt, auch nur ansatzweise, die Professionalität vielerorts im Heimtraining? 
Dann gibt es die Zentralisierungsgegner, für die bereits eine auf ein bis zwei Wochen befristete konzentrierte Zusammenarbeit pro Monat, selbst bei weitgehender Abklärung der schulischen und sozialen Belange, aus unterschiedlichen Gründen eine unzumutbare Belastung darzustellen scheint.

Es gibt immer Pro und Contra für zentrale wie für dezentrale Konzepte. Die zentrale Frage scheint mir eher zu sein:
Inwieweit sind die Betroffenen (in erster Linie natürlich Athletinnen und Trainer) bereit, auch persönliche „Opfer“ - besser: persönlichen Einsatz - für die Leistungsentwicklung zu bringen?
Ein Spaziergang wird der Weg nach Anaheim bzw. Athen mit Sicherheit nicht werden!

Dr. Petra Theiss

Aktuelle Diskussion nach dem deutschen Turn-Desaster 
bei Olympia
2000,
nach der Turn-WM 2001 
sowie nach den "Konzentrationsversuchen" des DTB in der aktuellen Athenvorbereitung 2004
:

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