Ist der deutsche Turnsport noch zu retten...?
18-Dez-2001

Diskussion: Wertungsvorschriften
(Wortmeldungen / Discussion)

 

"REIZTHEMA: WERTUNGSVORSCHRIFTEN"

(2) 19-Dez-2001: - von Mario Caccivio, Kampfrichter aus aus Liestal / Schweiz:
...mit großem Interesse habe ich den Bericht über das Thema "Reizthema Wertungsvorschriften" gelesen. Meine Erfahrungen beruhen lediglich auf 2 Internationale Brevets, aber auch mich juckt es, wenn ich an der WM in Gent z.B. am Pauschenpferd immer die gleichen Übungen sehe. Es muss etwas geändert werden !
Ich teile die Auffassung von Herrn Bauch, dass die jetzigen Wertungsvorschriften nur auf Großanlässe ausgerichtet sind und nur mit den entsprechenden Adaptionen in nationale und regionale Wettkämpfe überführt werden können.
Das Argument, dass die Wertungsvorschriften kompliziert sind, ist meines Erachtens nur eines von vielen Problemen des neuen FIG-Codes.
Mediale Wirkung
Um diese zu erhöhen, kann der technische Wert einer Übung nicht einfach weggelassen werden, aber er muss für die Zuschauer begrenzt nachvollziehbar werden. Die Lösung mit dem addierenden Schwierigkeitswert ist für mich zweifelsfrei die beste Möglichkeit dem Zuschauer neben dem unbestrittenen ästhetischen Wert des Kunstturnens die technischen Belange näher zu bringen. Auch mit einer vermeintlich "leichten, einfachen" Wertungsvorschrift (und wie wird diese ausgestaltet ?) ist das Problem nicht vom Tisch. Die technische Belange wird ein Laie nie verstehen und will er auch nicht bis ins Detail nachvollziehen können. Mit der Erwähnung eines Reporters, dass ein Turner ein Schwierigkeitsindex mit Weltrekord zeigten wird, reicht für den "normalen" Zuschauer.

In diesem Bereich muss sicherlich auch das Zeigen von Elementen in irgend einer Form Art belohnt werden, die der Zuschauer als attraktiv empfindet. Als Beispiel kann dafür die Flugelemente am Reck, die Thomasscheren am Pauschenpferd oder ein Dreifachsalto am Boden (welche zur Zeit nur schlecht belohnt sind) gelten. Es kann nicht sein, dass alle die Stalder und Endo Verbindung in verschiedene Griffverhalten mehr belohnt werden als Flugelemente oder am Barren alle möglichen geturnten Variationen der Felge in den Handstand beinahe für die Erreichung der A-Note 10.00 als technische Struktur ausreichen.

A- und B-Kampfgericht
Die Aufteilung ist sinnvoll, aber nur sofern, dass die entsprechenden Abzüge für technische Mängel auch konsequent abgezogen werden und jeder Kari sich auf seine Belange konzentrieren kann. Die angesprochene Monotonie könnte u.a. reduziert werden, wenn von jeder technischen Strukturgruppe nur jeweils ein Element oder ein ähnliches Element als Höchstschwierigkeit eingestuft wird. Z.B. am Barren ist nur eine Felgbewegung in den Handstand eine Höchstschwierigkeit. Der Turner wäre "gezwungen" weitere andere Strukturen zu turnen, die ihn als vielseitiger Turner auszeichnen .
Die Originalität und Virtuosität wieder einzuführen kann nur über den indirekten Weg des B-Karis erfolgen, indem diese auch konsequent alle in den Wertungsvorschriften vorgesehen Abzugsquellen berücksichtigt. Als Beispiel sei das Reckturnen erwähnt: In Gent hat es bei allen Teilnehmer etwa fünf Turner gegeben, die fähig waren, eine Endo-Bücke mit 1/1 Drehung in den Zwiegriff, in Handstandnähe (nicht mehr als 15 ° Abweichung) zu beenden. Wurden diese für diese angestrebte und meines Erachtens virtuose Ausübung belohnt ? Nein, es wurden keine Abzüge durch den B-Kari vorgenommen, aber leider auch keine für die restlichen Turner, die das Element mit einer Abweichung von 35 ° zeigten.
Solche Beispiele könnten noch diverse aufgeführt werden. Diese Problematik hat sich schon bei der Bewertung der Prüfungsübungen des FIG manifestiert. Neue Abzugsmöglichkeiten wurden vorgestellt, aber sie wurden in den Lehrvideos nicht konsequent umgesetzt.
Schwierigkeitstabelle
Sie ist unstabil und nicht gut aufgebaut. Auch hier ist das System mit Stufen 0,1 bis 1,0 P.. für ein Element ein gutes Mittel eine ständige Anpassung der Tabelle zu vermeiden.
Zukunft
Die neuen Ideen müssen meines Erachtens nicht erst im Jahre 2004 aufgegriffen werden, sondern spätestens nach der Einzel-WM in Ungarn (Debrecen). Nur eine gut durchdachte und vielseitig abgestützte Wertungsvorschrift kann den diversen Problemen entgegenwirken und unserer wunderschönen Sportart das Überleben sichern.

Mario Caccivio,
Kari aus CH-Liestal

 
"REIZTHEMA: WERTUNGSVORSCHRIFTEN"
(1) .... zu den Wertungsvorschriften ( - von Gisela Bader, Ingelheim, Deutschland)
>>>  Im Kunstturnen, sowie in allen kompositorischen Sportarten haben wir es mit einer Bewertung zu tun , die im Bereich der subjektiven Einschätzungen liegt ( Lernpsychologie ). 
Deshalb benötigen wir objektive Kriterien, die diese subjektive Einschätzung vergleichbar machen. 
Dabei zeigen vielfache Vergleichsuntersuchungen, dass komplizierte Bewertungssysteme keine anderen Ergebnisse ergeben als  einfache. Die Wertungsrichtlinien sind wie der Name schon sagt:
 Kriterien , um eine objektiv nicht messbare Sache transparenter zu machen.
Wenn mit den bestehenden Wertungsrichtlinien das Gegenteil erreicht wird, haben sie ihren Zweck verfehlt.
 Eine nach oben offenen Wertung mit einer Schwierigkeitswertung (s. Trampolin, Wasserspringen), die transparent dem Zuschauer die unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade offen legt, mit Favoritenankündigungen in der Schwierigkeit, verbunden mit einer technischen Ausführungsnote und künstlerischem Wert (Gymnastique artistique, artistics gymnastics) kann leicht Transparenz schaffen. Dies war auch Ergebnis einer Diskussionsrunde Paris/Stuttgart der AFRAGA ( Französische Sportwissenschaftliche Vereinigung der turnerischen Disziplinen bereits vor 2 JaHREN - s. auch GYMmedia 1999 - mit deutschen und französischen Sportwissenschaftlern und Trainern verschiedener Disziplinen im Turnen)
In den technisch-kompositorischen Sportarten haben wir doch überall das gleiche  Problem, dass die begeisterten Laien- Zuschauer die hohe Schwierigkeit oft gar nicht erkennen können. Eine Schwierigkeitsnote mit der Auswertungsmöglichkeit eines Schwierigkeitsrekordhalters macht ihn dagegen neugierig und gespannt. Die ästhetische Komponente kann er nachvollziehen ebenso wie die Ausführungskomponente.

Gisela Bader

Aktuelle Diskussion nach dem deutschen Turn-Disaster bei Olympia und
nach der Turn-WM 2001...:

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