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Reaktion auf |
Persönliche Stellungnahme zur Aufarbeitung der Weltmeisterschaften der
deutschen Kunstturnerinnen - von Petra Theiss, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am OSP Frankfurt-Rhein-Main |
Zunächst möchte ich meine Enttäuschung darüber zum Ausdruck bringen, dass zum gesamten Themenkomplex "Olympiaqualifikation der deutschen Turnerinnen" beinahe ausschließlich Negativdarstellungen bzw. einseitige Kommentare, vornehmlich von Außenstehenden an die Öffentlichkeit gebracht wurden, nicht zuletzt mit dem Ziel, im umfassensten Sinne "Meinung zu machen" und zum Teil gezielt und bewußt zu diffamieren. Hierbei beziehe ich mich nicht ausschließlich auf Veröffentlichungen der Zeitschrift OTA, sondern auch auf diverse schriftliche Stellungnahmen aus den eigenen Reihen. Es ist sehr bedauerlich, dass mit derartigen Veröffentlichungen das wohl kaum abstreitbare positive Engagement des Cheftrainers bzw. des gesamten Trainerteams, der engagierte und fachlich qualifizierte Einsatz von Kampfrichterinnen, Ärzten, Physiotherapeuten und Wissenschaftlern für das Unternehmen "Sydney 2000", wie auch der sehr wohl erbrachte, wenn auch individuell differenziert zu bewertende, sportliche Erfolg der Turnerinnen bei der WM derart in Frage gestellt werden. Ohne das enttäuschende Abschneiden des deutschen Teams in Abrede stellen zu wollen, ist dennoch erstaunlich, dass in OTA beispielsweise kaum ein Wort über den beachtlichen 24. Rang von Birgit Schweigert im Einzelmehrkampf, oder den, trotz erheblicher gesundheitlicher Probleme im unmittelbaren Vorfeld der WM, durchaus akzeptablen Einstand der beiden jüngsten Turnerinnen Dagmar Fehrenschild und Lisa Brüggemann auf internationalem Parkett im Seniorenbereich zu lesen war, geschweige denn eine sachlich und fachlich fundierte Auswertung der Wettkämpfe vorgestellt wurde. Einseitige
und pauschale Schuldzuweisungen gegenüber dem Cheftrainer, dem Verband
oder gar den Turnerinnen im Hinblick auf das Scheitern der Olympiaqualifikation sind
unangebracht und dienen dem ohnehin angeschlagenen Image des weiblichen Kunstturnens in
Deutschland in keiner Weise.
Der fachlich und sachlich interessierte Leser sei darauf hingewiesen, dass eine detaillierte und meines Erachtens äußerst sachliche, selbstkritische und konstruktive WM-Analyse vorliegt und über die Landesfachwarte eingesehen werden kann.
Dieser Problematik wurde versucht frühzeitig und konsequent, gleichzeitig aber mit sehr viel Einfühlungsvermögen und auf der Grundlage zahlreicher Gespräche mit den Turnerinnen, zum Teil auch deren Eltern, und geeigneten Maßnahmen wie:
Auf diese Weise sollte den betroffenen Turnerinnen eine ausgewogene und leistungsförderliche Ernährungsweise näher gebracht werden, die jeder Turnerin die Möglichkeit eröffnete, im Hinblick auf die WM langfristig einen vernünftigen und vor allem erfolgversprechenden Weg der Gewichtsreduktion zu beschreiten. Auf diese Weise hätten die während der unmittelbaren WM-Vorbereitung - nicht nur unter Turnerinnen weit verbreiteten - "Gewaltkuren" (z.B. zusätzliche Saunagänge, vor denen wiederholt gewarnt wurde) in Verbindung mit wiederholten "Fressattacken" (OTA 01/2000, S. 8), die eben keineswegs normal sind, vermieden werden können. Insgesamt muß festgestellt werden, dass die oben angesprochenen Maßnahmen von den betroffenen Turnerinnen, wie auch von einigen Trainern nur zögerlich und unter großen Vorbehalten angenommen wurden. In der Akzeptanz und der Realisierung einer ausgewogenen, sportartgerechten Ernährungs-weise liegt in der Zukunft sicherlich eine enorme Ressource, sowohl im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit als auch die Belastungsreduktion unserer Turnerinnen. Die Turnerinnen, die bereits im Vorfeld der WM ein optimales Körpergewicht aufwiesen, wurden in ihrem positiven Ernährungsverhalten bestärkt bzw. es wurde gezielt dafür Sorge getragen, u.a. durch die Bereitstellung von Zusatznahrung (frisches Obst gab es für alle Turnerinnen zusätzlich in Fülle), dass sie sich keinesfalls unterkalorisch ernähren. Eine gelegentliche Kontrolle von Körpergewicht, Body-Mass-Index und Unterhautfettwert während der Endvorbereitung wurde im Interesse der Gesundheit der oben angesprochenen Turnerinnen, vornehmlich im Sinne der Kontrolle des möglichen Unterschreitens eines kritischen Grenzbereichs, durchgeführt. Bei den übrigen Turnerinnen wurde nicht zuletzt aufgrund der negativen Körpergewichts-entwicklung (keine Gewichtsreduktion bzw. sogar Gewichtszunahme) während der Endvorbereitung eine beinahe tägliche (auch hier wurden mit Rücksicht auf das Freizeitprogramm Ausnahmen gemacht) Kontrolle des Körpergewichts vorgenommen, um frühzeitig auf Veränderungen reagieren zu können, wobei Gewichtsschwankungen von bis zu einem Kilo nicht bewertet und nur im speziellen Kontext interpretiert wurden. Wenn auch, wie in einem Fall geschehen, die Turnerin ihrerseits mit der Gewichtsreduktion leicht über das angestrebte Ziel "hinausgeschossen" ist, so belegen die regelmäßig dokumentierten Daten zum Körpergewicht und Body-Mass-Index in Verbindung mit der Entwicklung des prozentualen Anteils an Unterhautfettgebe, dass sich die WM-Teilnehmerinnen zu keinem Zeitpunkt der Vorbereitung und auch während der WM selbst in einem katabolen Zustand, d.h. der Leistungsfähigkeit abträglichen Gewichtsbereich bzw. gar in einem Zustand der Unterernährung verbunden mit einer Muskelmassenabnahme befunden haben. Die mit der Gewichts- bzw. Ernährungsproblematik aufkommenden psychosozialen Probleme im gesamten Team (z.B. Essen bzw. Abnehmen ist das Gesprächsthema Nr. 1, es steht genügend Essen auf dem Tisch, aber "man" traut sich nichts zu nehmen, Einschränkung der Flüssigkeitsaufnahme etc.) sind nicht spezifisch für das deutsche WM-Team 1999, sondern symptomatisch - und dies seit Jahrzehnten - für die kompositorischen Sportarten und sind in Form unterschiedlichster Essstörungen nicht zuletzt auch in unserer Gesellschaft weit verbreitet. Für den Bereich des Kunstturnens konnten diese Probleme bisher weltweit, trotz der Einschaltung unterschiedlichster Spezialisten, nicht zufriedenstellend gelöst werden, wobei insgesamt davon auszugehen ist, dass international - nicht nur in den führenden Turnnationen - mit dieser Problematik größtenteils weniger sensibel umgegangen wird. Von Seiten der Trainer und allen weiteren betreuenden Personen wurde im Rahmen der Endvorbereitung immer wieder versucht, den Turnerinnen in Gesprächen und zum Teil auch durch entsprechende Vorbildfunktion etwas "Druck" zu nehmen, ohne die Notwendigkeit zu leugnen, dass ein individuelles optimales niedriges Körpergewicht eine unabdingbare Voraussetzung für eine gesundheitsverträgliche und erfolgreiche Ausübung des Kunstturnens ist. Optimal heißt dabei, dass alle Funktionen des Stoffaustausches, des Aufbaus, der Reparatur von Verletzungen und der Energie-gewinnung ungestört ablaufen können. Es gibt dann kein Mißverhältnis zwischen Zufuhr und Ausscheidung und es werden auch keine unnötigen Depots angelegt, die den Körper zusätzlich belasten. Dabei muß auch darauf hingewiesen werden, dass das gesamte WM-Team während der Endvorbereitung deutlich weniger psychischen Druck verspürt hätten, wenn alle Turnerinnen bereits im Vorfeld der unmittelbaren WM-Vorbereitung ein adäquates Körpergewicht bzw. einen akzeptablen Trainingszustand (u.a. auch ablesbar am Unterhautfettwert) aufgewiesen hätten. Innerhalb der zeitlich kurzen Phase der Endvorbereitung waren die Verantwortlichen quasi gezwungen stärkere Kontrollmaß-nahmen im Interesse der WM-Teilnahme der einzelnen Turnerinnen wirken zu lassen. In diesem Zusammenhang ist jedoch auch festzuhalten, dass selbst geringste Gewichtsreduktionen der "Problemfälle" lobend registriert wurden und die Turnerinnen in ihrem Bemühen immer wieder positiv verstärkt wurden. Abschließend ist aus meiner Sicht festzuhalten, dass die "Gewichtsproblematik" vom Trainer- und Betreuerteam insgesamt sehr sensibel und verantwortungsbewußt, in enger Absprache mit den behandelnden Ärzten, gehandhabt wurde und ich mich - auch im Namen des gesamten Betreuerteams - vehement gegen Vorwürfe wehre, die da lauten, wir würden junge Mädchen in die Bulime oder gar Magersucht treiben. Wer in der Sportart Kunstturnen, gemessen am internationalen Standard, Leistung bringen und gleichzeitig gesund bleiben will, der muß auch akzeptieren, dass ein bestimmtes Körpergewicht in Relation zur Körpergröße und zum Anteil an aktiver Körpermasse eine notwendige, natürlich keine hinreichende Voraussetzung, darstellt. In Zukunft sollte aus meiner Sicht in bezug auf diesen Tatbestand Einvernehmen unter allen am Prozeß beteiligten Personen, insbesondere aber den Turnerinnen, bestehen. Niemand ist in unserem Gesellschafts-system gezwungen sich diesem sportartspezifischen "Regime" zu unterwerfen, aber vielleicht ist es ja gerade das, was die Sache so schwierig macht. (Petra Theiss, Wissenschaftliche
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