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Andreas Götze

Was hat der "Fall Dieter Baumann" mit Turnen zu tun?
Nichts – auf den ersten Blick. Auf den zweiten einiges. Wenn man beispielsweise den keineswegs so abwegigen Fall annimmt, Baumann wäre in der Tat unschuldig und irgendein Bösewicht oder eine –wichtin hätte ihm das Nandrolon untergejubelt....
. ...... dann nämlich könnte Ähnliches auch einem Turner oder eine Turnerin passieren. "Andreas Wecker positiv getestet!" Nur zum Beispiel. Nun sieh mal zu, mein Junge, wie du deine Unschuld beweist!

Sicher, das ist fiktiv, steht nicht zur Debatte. Ich komme auch nur darauf, weil jeder Sport, ob die Leichtathletik oder das Turnen, mit Fairness zu tun hat, und der journalistische Umgang einiger Medien mit Baumann jegliche Fairness vermissen läßt.

Sicher: Es ist ja zu schön, dass der – in der Tat auch selbst ernannte – Saubermann des deutschen Sports nun die Hosen runterlassen musste. Dass es nun jenen getroffen hat, der positiv getesteten Sportskameraden und –innen in der Vergangenheit stets mit rhetorischer Kompromisslosigkeit begegnete.

Aber heißt das deswegen, dass der 5000-m-Olympiasieger in der Tat eines Dopingvergehens schuldig ist? Dass man zur Häme stets auch das fertige (Schuld-)Urteil geben muss, wie es beispielsweise die Zeitung "Neues Deutschland" seit Wochen praktiziert?

Allein der so genannte gesunde Menschenverstand, ein wenig Kenntnis über Wirkungsweise anaboler Steroide und die inzwischen an den Tag gebrachten kuriosen Umstände des Dopingfalles sollten jedem Journalisten Vorsicht gebieten, sich bei der Beurteilung und Kommentierung zu weit aus dem Fenster zu lehnen.

Nichts dagegen zu sagen, dass man Baumanns heutige Ansichten zu dieser Problematik mit seinen früheren Aussagen konfrontiert. Aber man sollte auch ihm ein Recht auf Irrtum und Lernfähigkeit zubilligen, wie man es als altgedienter ND-Redakteur, der heute sicher auch manches anders betrachtet als zu DDR-Zeiten, gern für sich in Anspruch nimmt.

Nichts dagegen zu sagen, dass man die wundersame Wandlung eines Prof. Franke ins rechte Licht rückt und die ungleiche und also ungerechte Behandlung verschiedener des Dopings überführter Athleten (siehe Krabbe oder Pippig) gegenüber stellt.

Aber warum nicht Baumann in den Artikeln und Veröffentlichungen auch einmal menschlich begegnen? Einem, der so verzweifelt für seine moralische Rehabilitation kämpft, dass es einer Schizophrenie gleichkäme, wenn er das bei schlechtem Gewissen täte. Warum nicht für ihn wenigstens ansatzweise die (juristisch nicht relevante) Unschuldsvermutung gelten lassen?

Sicher kann man es als "Brunnenvergiftung" (Leserbrief im ND vom 27. 1., S. 15) bezeichnen, wenn unterstellt wird, ehemalige DDR-Trainer hätten ihre Hände im bösen Spiel. Aber es ist genauso Brunnenvergiftung, wenn man von der Warte des ostdeutschen "Klassenstandpunktes" journalistisch auf Baumann einprügelt und dabei die westdeutschen Funktionäre oder gar den westdeutschen Sport meint.

Oder geht es nur darum, die deutschen Ost-West-Diskrepanzen auszunutzen und auf populistische Art bei den eigenen Lesern Punkte zu machen?

Man stelle sich eine ähnlich einseitige Betrachtungsweise in einem "Fall Wecker" vor. Nur soviel hat "Baumann" mit Turnen zu tun.

(Autor: Andreas Götze / Stuttgart)

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29-01-2000
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