Kunstturn-Olympiasieger
Alexei Nemow versucht, sich von
einem ungeliebten Image zu befreien
von Tobias Köhler
STUTTGART, 10. Dezember. Eigentlich braucht sich Alexej Nemow über sein Image nicht zu
wundern. "An was denken Sie, kurz bevor der Wettkampf beginnt?", hat ihn ein
russischer Journalist einmal gefragt. "Ich denke an Mädchen. Ich denke immer an
Mädchen", hat der 23-Jährige grinsend geantwortet und schnell nachgeschoben:
"Das war natürlich ein Witz. Ich denke an meine Übung, an nichts
anderes." Ein Satz, und Alexej Nemow hat schon alle Klischees erfüllt, etwa das vom
"Witzbold Nemow" wie ihn eine Kunstturn-Fachzeitschrift nannte,
weil er gerne seine Späße treibt mit den
Zuschauern und den Turnkollegen. Bei der WM in China hat er zum Beispiel mit Händen,
Füßen und allerlei Grimassen versucht, das unterkühlte Publikum zum Klatschen zu
animieren.
Geblieben ist auch das Klischee vom "Sexy Alex", das ihm seit seinem Olympiasieg
1996 in Atlanta hartnäckig anhaftet weil er dort beim Schauturnen oben ohne ans
Pauschenpferd ging, seinen muskulösen Oberkörper ausstellte und mit dem Publikum
flirtete. "Traumnote zehn", flüsterte die NBC-Fernsehkommentatorin Elfi
Schlegel damals ins Mikrofon, bevor Nemow auch nur zu turnen begonnen hatte. |
Nemow: Weltmeister und Weltcupsieger 1999 |
Selbst die honorige "Washington
Post" bezeichnete ihn als "Sexsymbol".Und Nemow hat alles getan, um seinem
Ruf gerecht zu werden: Nach einer gelungenen Übung hat er sich gerne vors Publikum
gestellt und neckisch den Träger seines Trikots über die Schulter gestreift.
Vor kurzem beim DTB-Pokal in Stuttgart hat Alexej Nemow sein Trikot anbehalten, hat
sich fast ein bisschen zugeknöpft gegeben. "Ich möchte nicht mehr Sexy
Alex sein", sagte er ganz ernsthaft, "deshalb zieh ich mich nicht mehr
aus."
Wahrscheinlich kommt das mit dem Alter in manchen Sportlerporträts wird Nemow, der
am Sonntag (16 Uhr) bei der DTB-Gala in der Berliner Schmeling-Halle auftritt, doch
tatsächlich schon als "Altstar" betitelt. Mit 23 Jahren. Aber das liegt wohl
daran, dass er schon so lange dabei ist. Mit 16 Jahren hat er erstmals bei der
Weltmeisterschaft mitgemacht, inzwischen hat er zwei Mal Gold bei Olympischen
Spielen gewonnen, ist fünfmaliger Weltmeister, Europameister sowieso.
Wahrscheinlich wendet sich Nemow von "Sexy Alex" aber auch deshalb ab, weil es
den in Wirklichkeit nie gegeben hat. Außer in der Turnarena. Es stimmt schon, seit seinem
Olympiasieg hat der Russe säckeweise Post von weiblichen Fans aus aller Welt bekommen.
Aber da begann das Problem: "Ich kriege Tonnen von Briefen und habe keine Ahnung, was
drinsteht", hat er nach Atlanta zugegeben weil er kein Wort englisch verstand.
Auch wenn der Sportstudent immer für einen lockeren Spruch gut ist er redet nicht
viel. Nemow konzentriert sich lieber auf seine Arbeit. Sein Trainer Jewgeni Nikolko sagt
über ihn: "In seiner Freizeit ist Alex ein netter, witziger Kerl, aber in der
Sporthalle ist er das genaue Gegenteil. Verbissen, manchmal wütend. Aber das ist ein
Zeichen seines Talents." Bis zu 30 Stunden trainiert er wöchentlich im
Leistungszentrum in der Nähe Moskaus, wo er lebt, seit er 14 Jahre alt ist. "Anfangs
hat Alexej die Hoffnungen, die wir in ihn gesetzt haben, nicht gerechtfertigt",
erinnert sich Nikolko. Aber das ist heute kein Thema mehr. So wenig wie die Sache mit
"Sexy Alex".
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