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Artikel vom 11. Dezember 1999

Rollentausch für "Sexy Alex"

Kunstturn-Olympiasieger Alexei Nemow versucht, sich von
einem ungeliebten Image zu befreien


von Tobias Köhler

STUTTGART, 10. Dezember. Eigentlich braucht sich Alexej Nemow über sein Image nicht zu wundern. "An was denken Sie, kurz bevor der Wettkampf beginnt?", hat ihn ein russischer Journalist einmal gefragt. "Ich denke an Mädchen. Ich denke immer an Mädchen", hat der 23-Jährige grinsend geantwortet – und schnell nachgeschoben: "Das war natürlich ein Witz. Ich denke an meine Übung, an nichts
anderes." Ein Satz, und Alexej Nemow hat schon alle Klischees erfüllt, etwa das vom "Witzbold Nemow" wie ihn eine Kunstturn-Fachzeitschrift nannte,
weil er gerne seine Späße treibt mit den Zuschauern und den Turnkollegen. Bei der WM in China hat er zum Beispiel mit Händen, Füßen und allerlei Grimassen versucht, das unterkühlte Publikum zum Klatschen zu animieren.
Geblieben ist auch das Klischee vom "Sexy Alex", das ihm seit seinem Olympiasieg 1996 in Atlanta hartnäckig anhaftet – weil er dort beim Schauturnen oben ohne ans Pauschenpferd ging, seinen muskulösen Oberkörper ausstellte und mit dem Publikum flirtete. "Traumnote zehn", flüsterte die NBC-Fernsehkommentatorin Elfi Schlegel damals ins Mikrofon, bevor Nemow auch nur zu turnen begonnen hatte.
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Nemow: Weltmeister und Weltcupsieger 1999

Selbst die honorige "Washington Post" bezeichnete ihn als "Sexsymbol".Und Nemow hat alles getan, um seinem Ruf gerecht zu werden: Nach einer gelungenen Übung hat er sich gerne vors Publikum gestellt – und neckisch den Träger seines Trikots über die Schulter gestreift.   Vor kurzem beim DTB-Pokal in Stuttgart hat Alexej Nemow sein Trikot anbehalten, hat sich fast ein bisschen zugeknöpft gegeben. "Ich möchte nicht mehr ’Sexy Alex‘ sein", sagte er ganz ernsthaft, "deshalb zieh ich mich nicht mehr aus."
Wahrscheinlich kommt das mit dem Alter – in manchen Sportlerporträts wird Nemow, der am Sonntag (16 Uhr) bei der DTB-Gala in der Berliner Schmeling-Halle auftritt, doch tatsächlich schon als "Altstar" betitelt. Mit 23 Jahren. Aber das liegt wohl daran, dass er schon so lange dabei ist. Mit 16 Jahren hat er erstmals bei der Weltmeisterschaft mitgemacht, inzwischen hat er zwei Mal Gold bei Olympischen
Spielen gewonnen, ist fünfmaliger Weltmeister, Europameister sowieso.   Wahrscheinlich wendet sich Nemow von "Sexy Alex" aber auch deshalb ab, weil es den in Wirklichkeit nie gegeben hat. Außer in der Turnarena. Es stimmt schon, seit seinem Olympiasieg hat der Russe säckeweise Post von weiblichen Fans aus aller Welt bekommen. Aber da begann das Problem: "Ich kriege Tonnen von Briefen und habe keine Ahnung, was drinsteht", hat er nach Atlanta zugegeben – weil er kein Wort englisch verstand.
Auch wenn der Sportstudent immer für einen lockeren Spruch gut ist – er redet nicht viel. Nemow konzentriert sich lieber auf seine Arbeit. Sein Trainer Jewgeni Nikolko sagt über ihn: "In seiner Freizeit ist Alex ein netter, witziger Kerl, aber in der Sporthalle ist er das genaue Gegenteil. Verbissen, manchmal wütend. Aber das ist ein Zeichen seines Talents." Bis zu 30 Stunden trainiert er wöchentlich im Leistungszentrum in der Nähe Moskaus, wo er lebt, seit er 14 Jahre alt ist. "Anfangs hat Alexej die Hoffnungen, die wir in ihn gesetzt haben, nicht gerechtfertigt", erinnert sich Nikolko. Aber das ist heute kein Thema mehr. So wenig wie die Sache mit "Sexy Alex".
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