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Kommentar
zu den 59. Deutschen Meisterschaften (3.-4. Juli 1999), Tübingen: |
1999 - Schicksalsjahr des
deutschen Frauenturnens ?
(Gedanken nach den 59.
Landesmeisterschaften von Eckhard Herholz, GYMmedia Berlin)
Außer einer überzeugenden Samira Jaeger (SC Berlin) (SC Berlin),
die 2 Tage nach ihrem 18.Geburtstag Deutsche Mehrkampfmeisterin wurde und der Siegerin in
der Altersklasse 15, Dagmar Fehrenschild (TV
Hoffnungsthal), die mit 36,475 die höchste MK-Wertung erzielte, war weit und breit bei
diesen 59. Meisterschaften nichts in Sicht, was die Hoffnung auf eine mögliche
Olympiaqualifikation bei den Welttitelkämpfen im Oktober nähren könnte.
So scheint tatsächlich dieses letzte Jahr des ausklingenden Jahrhunderts zum
Schicksalsjahr des deutschen Frauenturnens zu werden, wenn nicht noch irgend ein Wunder
geschieht:
Da müssten alle - in Tübingen anwesenden, aber wegen Verletzung bzw. Krankheit
nicht eingesetzten Turnerinnen, wie Yvonne Pioch (Virusinfektion), Lisa
Brüggemann (Knieprobleme), Birgit Schweigert
(Knieüberstreckung), Katja Dreyer (Fußverletzung vor Patras) - nicht
nur ihre volle Leistungsfähigkeit wieder erlangen, sondern auf die Stunde top fit sein,
da müsste man auch wieder voll mit einer Gritt Hofmann (Rückenprobleme)
und einer Katja Abel rechnen können (letztere beiden haben bereits
wieder mit dem Training begonnen),
- da müssten die Stationen des kommenden
Drei-Länderkampfes gegen Rumänien und Spanien in Hennigsdorf, der als 2.WM-Qualifikation
Ende Juli in Greven geplante Wettkampf und auch die noch folgenden Länderkämpfe
als optimale Wettkampftests laufen, alles ohne Ausfälle ohne Unpässlichkeiten
.......ein wenig viele kleine Wunder auf einmal...!
Seit Atlanta 1996, seit das Frauenturnen -
eher hilfebedürftig im Lande - in der deutschen Sportförderkonzeption aber kurioserweise
zurückgestuft wurde, ist Kontinuität nur erkennbar in.... Rückentwicklung!
Da mutet es schon eigenartig an, wenn noch einmal der große Sprung zurück in die
olympische Familie der Turnnationen mit g e r i n g e r e n finanziellen
Mitteln, mit s t a g n i e r e n d e n Strukturen und einer d ü n n e r e
n Personaldecke erzwungen werden soll.
Sportdirektor Wolfgang Willam hatte in Auswertung der Meisterschaft darauf
hingewiesen, dass das Problem nicht ausschließlich bei den Turnerinnen zu suchen sei:
"Man muss die Trainerinnen und Trainer fragen, was sie denn gemacht haben,
unter nahezu professionellen Bedingungen.") Was meint wohl
Sportdirektor Willam mit "...professionellen Bedingungen..." ???!
In die Wüste geschickt, wurden in den
Wende-Folgejahren selbst die hochrangigsten Spezialistinnen:
Seither arbeitet eine der weltbesten Choreographinnen, Angelika
Keilig-Hellmann, in einem Zinnowitzer Hotel am Wohlstandsspeck der
Bundesbürger, statt an Bodenkompositionen deutscher Turnerinnen, verdingte sich der
Ex-Hallenser Meistermacher Goetz Glitscher
in den USA und ist jetzt als Schweizer Auswahlcoach tätig, fand der
Ex-Auswahltrainer der DDR, Reinhard Tietz
bei seiner Rückkehr aus Holland keinen Job im deutschen Spitzen-Turnsport, und selbst die
Stufenbarren-Königin der achtziger Jahre Maxi Gnauck
entließ man zunächst in Arbeitslosigkeit, bis sie seither im eher Breitensportbereich
bei Hamburg eine Arbeitsbleibe fand. Diese Liste ist absolut unvollständig!
In internationalen Gremien wurden
strategisch wichtige Funktionen sträflichst preisgegeben und für adäquate
Neubesetzungen in den ehemaligen Positionen einer Ellen
Berger und eines Karl-Heinz Zschocke
wurden keine geeigneten Fachleute entwickelt und mit Aussicht zur Wahl gestellt.
Geschehen ist dies alles im Turntraditionsland Deutschland mit solchen herausragenden
international anerkannten Turnkoryphäen wie Eberhard
Gienger, Steffi Kräker, Maxi Gnauck, Klaus Köste oder Sylvio Kroll.
Und das alles geschieht in einem Land, das
1936 Olympiagold einer Frauenriege erlebte und in München 1972 Olympiasilber der DDR
bejubelte, in einem Land, das sich noch immer nicht vom antiquierten Streit zwischen
"englischem Sportmodell" und dem doch so 'umfassenden deutschen Turnbegriff'
leiten läßt, wenn dieser auch nicht mehr vordergründig und öffentlich geführt
werden kann. Medial gehen ebenfalls die Entwicklungen am
"deutschen Turnwesen" vorbei!
Der Autor kennt maßgebliche Sportredaktionen in diesem Lande, bei denen allein
schon das Wort T u r n e n auf dem Index zu stehen scheint!
.... und in Amerika, Paris, in Spanien, Italien und zuletzt in Patras rennt man Turn- und
Gymnastikveranstaltern die Hütte ein...!!?
Wann endlich geht den über 19.000 deutschen Turnvereinen ein Licht auf,
dass s
i e das sie vor der Geschichte zu verantworten haben, wenn sie weiterhin i h r
e Elite, im Regen stehen lassen, die jungen Leistungssportlerinnen und
Leistungsturner, denen langsam die Heimat unter deutschen Turndächern verloren zu gehen
scheint!
Hier liegt einer der Hauptgründe,
warum im Medienzeitalter Turnen und Gymnastik (scheinbar) keine Quoten macht!!
Aber die gesamte Mediensituation ist ein eigenes Thema.
Zurück zum Frauenturnsport.
"Humaner Leistungssport" ist zwar
die einzig richtige Losung des DTB, aber geht es dann nicht nach hinten los, wenn
sich ein unerfüllbarer Erwartungsdruck ausschließlich auf die Turnerinnen entlädt ?
Wer in Deutschland wieder Turnerinnen von internationalem Rang will, der muss das nicht
nur wirklich wollen, sondern muß dafür auch das komplizierte Bedingungsgefüge schaffen.
Es hat den Anschein, als ob sich selbst die im DTB dafür Verantwortlichen vom jahrelangen
Druck öffentlicher Verunglimpfungen des Turnsports (in Medien) nicht befreien können und
ihnen die Überzeugung fehlt, dass man tatsächlich auch in dieser Bundesrepublik und
unter den Prämissen höchsten moralischen Anspruchs im pädagogischen Umgang mit Kindern,
Leistungssport betreiben kann!
Vor Ort in deutschen Kunstturnzentren gibt es noch immer das große Engagement der
vom Turnsport Begeisterten - aber wie lange noch.
Das öffentliche Aufatmen und die Rede von
sog. 'Freispruch' nach der medizinischen "Belastungs- und Risikostudie"
allein reichen dann nicht aus, wenn es nur das Gewissen von Funktionären beruhigt.
Wo sind die langfristigen Konzepte, die weit über Sydney 2000 hinausreichen, die
öffentliches Selbstbewusstsein von Sinnhaftigkeit, Eleganz, Schönheit und menschlicher
Herausforderung in langjähriger turnerischer Beschäftigung erkennen lassen....!
Ich habe schon lange nicht mehr einen Menschen in verantwortungsvollem Amte getroffen, dem
bei Darlegungen von Zukunftsplänen über das deutsche Frauenturnen vor Begeisterung die
Augen sprühen. Wenn es solche Menschen nicht mehr gibt im Lande, Bedingungen oder
Überzeugungen dieser Art nicht mehr zu schaffen sind, dann sollte man es wirklich lassen,
Sportlerinnen im Unzulänglichkeitsbereich Unmögliches abzuverlangen.
Deutschland gilt zwar als das Ursprungsland des Turnens,
mit seiner Elite umzugehen versteht man Ausgangs des Jahrhunderts hierzulande aber
scheinbar nicht...!
Zum Glück laufen Entwicklungen in einigen europäischen Ländern dazu diametral
- und schließlich gehen wir auf ein gemeinsames Europa zu....!
-ehe-
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