Ist der deutsche Turnsport noch zu retten...?
10-Nov-2006

Zwischen Design und Bewusstsein 
- Bewegende Spurensuche nach Schwarz-Rot-Gold

- von Dr. Hans-Jürgen Schulke, DTB-Vize-Präsident

 


Dr. H.-J. Schulke

Bei den erfolgreichen Länderspielen gegen Schweden und Irland, den vielbesuchten Weltreiterspielen in Aachen, demnächst bei der Hockey- und dann 2007 der Handball- und Turnweltmeisterschaft kennt die sportliche Kulisse nur 3 Farben:
Schwarz - Rot - Gold
Sie erinnert an einen unvergesslichen Sommer, bei dem fröhliche, weltoffene Menschen - nicht nur Deutsche - diesen Farbdreiklang auf Fahnen schwenkten, er in Gesichtszügen strahlte, Ober- wie Unterbekleidung bedruckte, Autos kennzeichnete oder aus Fenstern und Balkonen flatterte. 

Die Farben der deutschen Nationalfahne (übrigens auch die der belgischen) wurden und bleiben Symbol für eine bewegende Fröhlichkeit, für eine Freund-reichere Welt, für die der Sport ganz offensichtlich eine einladende Plattform bilden kann.


"Deutschland über alles...?"
Die anfangs im Ausland und bei einigen unbeweglichen Gewerkschaftlern formulierte historische Befürchtung, hier dränge leidvolles nationales Vormachtstreben und selbstgefälliges "Deutschland über alles" ins Bewusstsein, wurde durch die grenzenlose Fröhlichkeit der Akteure zur Belanglosigkeit.
Die sportbegeisterten Fans feierten unbekümmert sich und das Jetzt. Das spontane, weitgehend selbstorganisierte Deutschland-Design geriet in jener Presse, die Bildung durch Bilder und Schlagzeilen ersetzen will, zum "Schwarz-Rot-Geil", die Konsumgüterindustrie will die Verkaufsförderung für das Weihnachtsgeschäft in eben diesen Farben promoten.
Nur Saisonfarben...?
Ist also Schwarz-Rot-Gold nur die Farbe einer Saison, wird es bei neuen Erfolgen von Michael Schumacher im nächsten Jahr vielleicht Ferrari-Rot? Wer in kollektiven Manifestationen nicht nur Beliebigkeit und oberflächlich-kurzweiligen Schein sieht, sondern Zusammenhänge mit historischen Artefakten und durch sie ausgelöste, zunächst vielleicht nicht bewusste Empfindungen und Orientierungen sucht, stößt auf merk-würdige Spuren.

Schwarz - Rot - Gold - Geschichte
Die deutschen Farben entstehen als Kleidungskennzeichen bei den Befreiungskriegen in Lützows Freikorps 1813, werden erstmals beim Treffen demokratischer Burschenschaftler auf der Wartburg gezeigt, prägen das Bild des Hambacher Festes, werden von demokratischen Republikanern im Vormärz 1833 und 1848 auf den Barrikaden hochgehalten, stehen für die erste Nationalversammlung in der Paulskirche, werden zur Nationalflagge der ersten deutschen Demokratie in der Weimarer Republik und prägen das Bild beim Mauerfall 1989.

Symbol für
Gleichheit, Freiheit, Gerechtigkeit
Es ist eine Fahne, die im Gegensatz zum Schwarz-Weiß-Rot Preußens und des Kaiserreichs oder der Hakenkreuzfahne stets für Gleichheit, Freiheit, Gerechtigkeit gestanden hat. Sie ist in Deutschland von der Reaktion immer wieder heftig bekämpft und verboten worden, nicht wenige ihrer Träger haben für ihre Prinzipien mit dem Leben bezahlt. Bis heute wohlbekannte Dichter, Wissenschaftler und Politiker haben sich zu ihr bekannt. Wenn heute Menschen ohne Ansehen von Religion, Rasse, Einkunft und Geschlecht unbeschwert miteinander feiern können, dann haben die Vorläufer unter der schwarz-rot-goldenen Fahne dazu beigetragen. Und die fröhlich-sportlichen Fähnchenschwenker von heute haben keinerlei Anlass sich für ihre Farben zu rechtfertigen. Im Gegenteil: Ein  demokratisches Selbstbewusstsein ist hinter allem farbigen Design durchaus angebracht.
Das auch deshalb, weil der heutige Sport nicht nur Nutznießer demokratischer Vorfahren ist. Turnen, Sport und Spiel waren wichtige Akteure in dem historischen Prozess unserer Nationalfahne.

Die Turner und "Schwarz - Rot - Gold"
Auf dem von Jahn initiierten und durch das gemeinsame Turnen von Schülern und Studenten auf den Turnplätzen vorbereitete Burschenschaftlertreffen 1816 auf der Wartburg waren es insbesondere Turner, die sich mit diesen Farben schmückten. In der Metternich’schen Restaurationszeit, die vielen Demokraten - und demzufolge auch Turnern wie Jahn - Verfolgung, Haft, Verbannung und Flucht brachten, waren diese Farben zwangsläufig verboten. 
Beim Hambacher Fest waren es insbesondere viele Turnvereine, die die neue Fahne mit sich trugen.
Die Farben finden sich seitdem in vielen Vereinsfahnen. Badische Turner trugen sie an vorderster Front bei den blutigen Kämpfen um den Erhalt der demokratischen Verfassung 1849. 
Noch 1880 beschloss die Deutsche Turnerschaft - abweichend von den herrschenden Reichsfarben - Schwarz-Rot-Gold als Nationalflagge zu vertreten.

Schwarz - Rot - Gold
... zwischen Gestern und Heute


Lützow'sche Jäger als historische Kulisse bei den jährlichen Ehrungen am Grabe Friedrich-Ludwig JAHNS in Freyburg/Unstrut

Jahn als 
Initiator für
"Schwarz - Rot - Gold"
Der Initiator von Schwarz-Rot-Gold war offensichtlich Friedrich Ludwig Jahn - ja, der Turnvater - der sich selbst wohl eher als Turnbruder gesehen hat und zeitweilig Bataillonskommandeur bei Lützows Jägern war. Sein engster Freund Friesen war Adjutant von Lützow; noch heute werden nach ihnen Wettkämpfe bei den inzwischen internationalen Deutschen Turnfesten benannt. 

Noch als Vizepräsident der Nationalversammlung 1849 hat Jahn - nicht ohne Eitelkeit - auf seinen Anteil an der Farbfindung verwiesen und für sie als Nationalflagge plädiert.

Es verdient der Erinnerung...,
....dass seit diesen Zeiten und bis heute die Vereine ein einzigartiges demokratisches Netzwerk in unserer Gesellschaft bilden:
Hier kann Jeder und Jede ohne Ansehen der Person Mitglied werden, hat jedes Mitglied bei Entscheidungen eine Stimme und wird Macht nur auf Zeit und kontrolliert vergeben. In einem solchen Gefüge kann vertrautes "Du" entstehen, darf turnerische Brüderlichkeit und  sportliche Freundschaft nachhaltig erwachsen. Und vielleicht ist es auch der Erinnerung wert, dass die während der Demokratenverfolgung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstehenden Turn- und Sängerfeste oft die einzige Möglichkeit zum ungehemmten politischen Meinungs- und Erfahrungsaustausch bildeten. Bei aller unendlichen Leichtigkeit des Bewegtseins bei den derzeitigen Sportfesten gilt über das Hier und Jetzt hinaus die Vergewisserung:
Wer nichts hinter sich hat, hat auch nichts vor sich.
Autor: Dr. Hans-Jürgen SCHULKE
Vize-Präsident des Deutschen Turner-Bundes
(Erstveröffentlichung in Olympisches Feuer 4/2006; über JAHN-Pressedienst) 
*- Zwischentitel, Hervorhebungen und Illustration: GYMmedia

 
 
 

Ist der deutsche Turnsport noch zu retten...?

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