Ist der deutsche Turnsport noch zu retten...?
12-Dez-2004

Die Weltcup-Saison 2003/04 und das deutsche Kunstturnen

- von Eckhard Herholz, GYMmedia

  Die "sogenannten Weltranglisten" der FIG
Weltranglisten sind die Rangfolgen, die der Weltturnverband aufstellt nun wirklich nicht, obwohl in der vergangenen Saison 2003/2004 erstmals auch die Ergebnisse der Weltmeisterschaften und Olympischen Spiele mit einbezogen wurden. Ebenso wurde mit der Erfassung der Pan American Games, der Asia Games und der Europameisterschaften dem kontinentalen Aspekt genüge getan.
Allerdings sind sowohl die Top-Ereignisse als aber auch die einzelnen Weltcup-Wettbewerbe nicht wirklich offen für alle Athleten dieser Welt, bzw. werden auch von einzelnen, selbst den führenden Nationen, wie China, Japan oder USA nicht konsequent und in ausreichend numerisch vollständiger Art genutzt.
Zum anderen verarmt der Welt-Jahres-Turnkalender dramatisch und gefährlich an wirklich bedeutenden, internationalen Mehrkampf-Ereignissen. Ehemals traditionelle Events, wie Chunichi- oder America-Cup sind längst zu Star-Events mit streng limitierten Einladungsbasis mutiert, andere sind einfach verschwunden.
Das Ergebnis: Immer stärker dominieren Spezialisten an einzelnen Geräten, die wirklichen Superathleten der Sportart, wie z.B. ein über ein Jahrzehnt überragender Iwan Iwankow haben Mühe, Gerätefinals zu erreichen, bzw. dort sich durch Medaillenplätze oder gar Siege hervor zu tun.
Zum anderen sinkt die Qualität der traditionellen Mehrkämpfe, wie das unrühmliche Beispiel der letzten Europameisterschaften in Ljubljana 2004 bewies.
Nach der Abschaffung der Pflichtwettbewerbe stellt dies aber eine nicht zu unterschätzende latente Gefahr für die gesamte Sportart dar: Nur zum Schein steigen nämlich die von den Spezialisten präsentierten Top-Leistungen - gleichzeitig erhöhen sich aber die Risiken für die Athleten, weil der koordinativ und athletisch vielseitige Athlet seltener wird. Nicht umsonst sinken die Teilnehmerzahlen der letzten Weltcupsaison besonders an Sprung und Boden erheblich, bzw. sind die Punktdifferenzen der Starterfelder weit gestreut, weil dort zur Realisierung von höchsten Ausgangswerten - und damit von Final- oder Erfolgschancen - die Aussichten am geringsten, Verletzungsrisiken aber überproportional am größten sind.
Somit stellen die von der FIG erstellten Geräteranglisten höchstenfalls die numerische Addition der Teilnahmehäufigkeit nach Nationenpunkt-Prinzip dar - nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Die Deutschen und die Weltranglisten
Gemessen am medialen Popularitätsaufschwung des deutschen Kunstturnens durch die zweifellos bemerkenswerten Erfolge der Youngster wie Hambüchen oder Fahrig ist allerdings die Suche nach deutschen Athleten in den Erfolgsbilanzen der letzten zwei Jahre ernüchternd, wird aber den Tatsachen eher gerecht, als etwa zu hohe Erwartungshaltungen:

  NAME Verein
  Fabian Hambüchen TV Niedergirmes 72. - - - - 22.
Thomas ANDERGASSEN KTV Stuttgart - 24. - - 63. -
  Stephan ZAPF KTV Stuttgart - - 36.     90.
  Eugen SPIRIDONOW TG Saar 50. -   38. 48. -
Christian BERCZES SV Halle 72. 40. 45. - 45. -
Ronny ZIESMER )* SC Cottbus 58. - 64. - 81
  Sven KWIATKOWSKI KTV Chemnitz 67. 59.   -   27.
Robert JUCKEL SC Cottbus - - - - -
  Matthias FAHRIG SV Halle - - - 41. - -

- erfasste Athleten, weltweit: 

(78) (87) (79) (78) (83) (98)
 )* - nach Unfall im Juli querschnittsgelähmt

Die vorstehende Übersicht ist sicher mit Vorsicht zu genießen,
haben doch die jüngsten Turner gerade mal ihre ersten, wenn auch hoffnungsvollen, Weltcup-Einsätze hinter sich gebracht, und unterliegt auch der einzelne Turner oft den Selektionsprinzipien seines Landesverbandes bei der Beschickung internationaler Wettbewerbe.
Andererseits profitieren die deutschen Turner durch 2 x 2 ausgerichtete Weltcups im 2-Jahresrhythmus (Cottbus und Stuttgart) noch überdurchschnittlich vom Wildcard-Modus.
Seit Bestehen der Weltcupserien im Zweijahresrhythmus 1987/98 haben aber nur drei deutsche Turner das jeweilige Weltcup-Finale einer Serie erreicht:
Das waren in Sabae 1998 Waleri Belenki (6. Pferd; 5. Ringen) und in der Serie 1999/2000 in Glasgow Marius Toba (6. Ringe). 
In der Serie 2001/2002 schaffte es zuletzt Sven Kwiatkowski beim WC-Finale in Stuttgart als bisher einziger auf einen Podiumsplatz (3. Reck).
Der in Birmingham eben zu Ende gegangene Weltcup-Zyklus 2003/04 fand erstmals ohne jegliche deutsche Präsens (!) statt - die Rückstände an allen Geräten, sind zum Teil bei den Männer erheblich, bei den Frauen längst dramatisch:

  NAME Verein
  Yvonne MUSIK TV Hoffnungsthal 40.   - 91.
Heike Gunne TV Hoffnungsthal 68. -
  Lisa BRÜGGEMANN TTT Köln 89. 50. -  
Birgit Schweigert TV Hoffnungsthal - - 80.
 

- erfasste Athletinnen, weltweit: 

(89) (97) (100) (91)
Diese wenigen Zusammenhänge aus Anlass der beendeten Weltcupserie
sollen zumindest deutlich machen, dass zwischen Anspruch und Wirklichkeit eines tatsächlichen internationalen Aufschwunges des deutschen Kunstturnen noch gewaltige Lücken klaffen.
Will man sich auch als Mannschaft zur WM im eigenen Lande 2007 wieder als Finalkonkurrent bzw. zur Olympic-Family als zugehörig erweisen, sind erheblich Anstrengungen im Nachwuchsbereich nötig.
Deren Qualität aber wird  n i c h t   von den Medien bestimmt.
Ich bin mir sicher, das wissen die Verantwortlichen, die an der Zukunft des Turnens in Deutschland bauen. 

Die GYMmedia-Weltranglisten
Seit der Erfassung der Ergebnisse der Olympischen Spiele von 1996 in Atlanta an führt GYMmedia ein Weltranglisten-System, das die Geräte und die gesamte Leistungskarriere der Athleten zusammenfasst und kontinuierlich führt. Somit wird der "Außenwelt" nicht eine verwirrende Vielfalt von Namen und Geräten präsentiert - nämlich 14 aller olympischen Gym-Disziplinen -  sondern der Fokus der Öffentlichkeit wird auf jeweils nur  e i n e, überschaubare Weltrangliste pro Disziplin gelenkt!
Zum anderen liegt der Schwerpunkt einer mathematisch ermittelten 100-Punkte-Liste eindeutig auf den Mehrkampfqualitäten der Athleten, was die langjährige Liste der TOP TEN  bzw. der 30 Besten internationalen Turner  eindeutig beweist.
Zudem führt eine jährliche Dynamisierung - trotz der Dominanz olympischer und WM-Ergebnisse zu aktuellen und nachvollziebaren Verschiebungen innerhalb des Rankings. 
Bester Deutscher Turner ist in dieser GYMmedia-Rangliste (Stand: 13. Dez.2004) Sven Kwiatkowski (40.), vor Fabian Hambüchen (51.) und Sergei Pfeifer (69.). Insgesamt 12 deutsche Turner sind unter den insgesamt 270 Athleten erfasst. Das deutsche Männerturnen liegt nach dieser Platzierungsnotierung nur auf dem 19. Platz!
Beste deutsche Turnerin dieser GYMmedia-Rangliste (Stand 13.Dez.2004) ist Lisa Brüggemann (72.), vor Birgit Schweigert (79.) und Daria Bijak (80.).
Insgesamt sind 8 deutsche Tirnerinnen unter insgesamt 270 notiert; Deutschland rangiert in dieser Platzierungskategorie auf Rang 22.

Eckhard Herholz, GYMmedia
 

The 4th World Cup Circuit 2003/04 on GYMmedia INTERNATIONAL

Year 2003

2003

March

15-

16

PARIS BERCY

FRA

12th French International Tournament Cat. A

2003

March

21-

23

COTTBUS

GER

27th Turnier der Meister Cat. A

2003

March

28-

30

THESSALONIKI

GRE

2nd International Tournament "Noynoy Family" Cat. A

2003

August

02-

10

SANTO DOMINGUOS

DOM

14th Pan American Games

2003

August

16-

24

ANAHEIM

USA

37th Artistic Gymnastics World Championships

2003

October

05-

06

ABUDJA

NGR

8th African Games

2003

October

24-

26

GLASGOW

GBR

Glasgow Grand Prix Cat. A

2003

November

17-

24

GUANGZHOU

CHN

2nd Asian Championships

2003

November

28-

30

STUTTGART

GER

21st DTB Pokal Cat. A

Year 2004

2004

March

05-

07

COTTBUS

GER

28th Turnier der Meister Cat. B

2004

March

13-

14

LYON

FRA

13th French International Tournament Cat. A

2004

April

03-

04

RIO DE JANEIRO

BRA

Siegfried Fischer Trophy Cat A.

2004

April

15-

17

HAWAI

USA

Pacific Alliance *

2004

April

15-

18

LJUBLJANA

SLO

26th Men's European Championships

2004

April

29-

02

AMSTERDAM

NED

25th Women's European Championships

2004

August

14-

29

ATHENS

GRE

28th Olympic Games

2004

September

09-

11

LA SERENA

CHI

1st Copa la Serena Cat. A

2004

October

28-

01

GLASGOW

GBR

Glasgow Grand Prix Cat. A

2004

November

05-

07

GENT

BEL

World Cup Cat. A

2004

November

27-

28

STUTTGART

GER

22nd DTB Pokal Cat A. **

2004

December

11-

12

BIRMINGHAM

GBR

12th FIG Artistic World Cup Final

>> All Events: GYMmedia World Calendar System

 

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