Ist der deutsche Turnsport noch zu retten...?
17-Juni-2003

... aus der Praxis.

OFFENER BRIEF an den DTB Präsidenten

Manfred Paschke, Schwedt/Oder

 

An die Sport-Redaktionen
U.g. Autor hat sich in einem persönlichen „Offenen Brief“ an den Präsidenten des Deutschen Turner-Bundes, Herrn Rainer Brechtken, gewandt.
Nach Freigabe dieses Briefes an die Presse - u.a. auch an GYMmedia - und  kurz vor den Deutschen Meisterschaften der Turner(innen) in Heilbronn (20.-22.06.2003) dürfen wir Ihnen den Inhalt des Schreibens mit dem heutigen Datum (17.06.) im GYMforum zu Kenntnis geben.

OFFENER BRIEF                                                                                        Schwedt, 10.06.2003
an den Präsidenten des Deutschen Turner-Bundes
Herrn Rainer Brechtken


Manfred Paschke

Manfred Paschke
Stützpunktleiter Turnen/Trampolin; Schwedt/Oder

Sehr geehrter Herr Präsident Brechtken,
vor einiger Zeit erhielt ich Gelegenheit, Kenntnis von Ihrer Meinung zur Rolle des Spitzensports im DTB zu erlangen.

Diese Meinung, die Sie äußerst treffend in ihrer Aussage zum Ausdruck brachten-   „Wenn wir den Spitzensport im DTB nicht zum Kernstück unserer Arbeit machen, ... dann werden wir künftig nicht mehr wahr-, ja sogar nicht mehr ernst genommen!“ –, ließ die Hoffnung keimen,

dass das leistungsorientierte Gerätturnen endlich aus dem Stadium des Dahinsiechens befreit werden soll, in dem Voraussetzungen geschaffen werden, die kontinuierlich Spitzenleistungen ermöglichen.

Da bisher jedoch von durchschlagenden positiven Veränderungen der Voraussetzungen nichts zu erkennen ist, frage ich mich, wer denn eigentlich mit dem „wir“ im obigen Zitat gemeint ist.
Wenn wir an der Basis – die Stützpunktleiter, Trainer und Übungsleiter – gemeint sind, wäre es für uns hilfreich zu erfahren, wie das in Anbetracht der gegebenen Umstände – fehlende moderne Trainingsmittel, Wettkämpfe, - zu bewerkstelligen ist. Zwangsläufig sind im Leistungsbereich tätige Stützpunktleiter, Trainer und Übungsleiter vielfach gezwungen, beträchtliche Arbeitszeitpotentiale im Bereich des Breitensports und für Bettelgänge einzusetzen, um den auf diese Weise zusammen gekratzten Geldern wenigstens das klägliche noch vorhandene Leistungsniveau halten zu können.

Die knappen und immer knapper werdenden staatlichen Fördermittel für den Leistungssport sind jedenfalls bei Weitem nicht ausreichend, um kontinuierlich internationale Spitzenleistungen zu produzieren. Zum bisherigen Kernstück der Arbeit gehört außerdem die eher den Spitzensport sabotierende, denn fördernde Praxis die als Fördermittel deklarierten Gelder als Prämienmittel  auszureichen. Denn nicht der erforderliche Bedarf für die Entwicklung der Turner(innen) zu Spitzenkadern, sondern die zufällig vorhandene und erreichte Qualität an D-, C-, B- und A-Kadern ist Maß der Fördermittelzuführung. Das aber bedeutet, das Pferd vom Schwanz her aufzuzäumen, denn: Woher soll die Rendite kommen ohne entsprechende Investitionen?
Selbst pisa-gekennzeichneten Grundschülern dürfte die Kausalität von Ernten und Säen bekannt sein.

Wenn unter Ihrem „wir“ aber der Vorstand des DTB gemeint ist, wäre es ermutigend, wenn Sie uns wissen ließen, woran zu erkennen ist, dass der Spitzensport nunmehr tatsächlich zum „Kernstück der DTB-Arbeit“ gemacht wurde oder wird. Denn in der Öffentlichkeit wird er nach wie vor nicht wahrgenommen – siehe fehlende Publikation in den Medien – und zunehmend nicht mehr ernst genommen – sie das Beispiel TSV Bayer 04 Leverkusen und die stetig sinkenden Landesfördermittel.

Wie weit es bisher gelungen ist, den Spitzensport zum „Kernstück unserer Arbeit“ zu machen, wird an der allenthalben geäußerten bangen Hoffnung deutlich, dass die deutschen Turn-Nationalmannschaften bei den Weltmeisterschaften im August in Anaheim (USA) jeweils doch um Himmelswillen wenigstens den 12. Platz belegen mögen, damit sie für Athen 2004 zumindest eine Teilnahmeberechtigung bekommen.

In Anbetracht der Tatsache, dass es sich beim Deutschen Turner-Bund nicht nur um den zweit-größten Verband des DSB, sondern zugleich um ein Land handelt, von dem ein Teil vor nicht allzu langer Zeit zu den Turnsport-Spitzennationen der Welt zählte, haben wir es offenbar lediglich mit einem bedauerlich „mickrigen DTB-Arbeits-Kernstück“ zu tun.

Mit freundlichen Grüßen,
Manfred Paschke*

(Anm.: Der Autor ist Landesstützpunktleiter Turnen und Trampolin in Schwedt/Oder,
- war  von 1969-1990 Übungsleiter im ehemaligen  Trainingszentrum Turnen in Schwedt; insgesamt 25 Turner und 10 Turnerinnen wurden von ihm ehemals in weiterführende Zentren nach Berlin und Potsdam delegiert;
- zuletzt gingen die Nachwuchskader Philipp Boy und Steve Woitalla als DTB-Nachwuchshoffnungen zum SC Cottbus).

* Manfred Paschke starb am 20. 09. 2012 im Alter von 77 Jahren in Potsdam
 

Aktuelle Diskussion nach dem deutschen Turn-Desaster 
bei Olympia
2000,
nach der Turn-WM 2001 
sowie nach den "Konzentrationsversuchen" des DTB in der aktuellen Athenvorbereitung 2004
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