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"Wenn man aufsteht, wird die Verbeugung tiefer!" *
Auch wenn der Tod eines jeden Menschen zum Unvermeidlichen des Lebens gehört - jetzt von Heinz Florian OERTEL Abschied zu nehmen, der im 96. Lebensjahr (+ 27. März) in Berlin verstorben ist, stellt etwas Unfassbares, Unwirkliches dar, weil er einem doch so scheinbar nahe gewesen war ...! Wie kaum einem anderen Journalisten des Sports war es ihm über die Jahrzehnte gelungen, mit seiner Persönlichkeit, seiner Stimme und seiner einfühlsamen, empathischen Art, tief in die Seelen vieler Menschen zu gelangen. Und in zumeist übergroßer Zustimmung, ebenso aber auch der Widersprüchlichkeit mancher seiner Kommentare, fand er seinen Weg in die Wohnzimmer und zu den Hörfunk- und Fernsehkonsumenten und wurde dort zu bleibenden Erinnerungen!
In großer Trauer erinnert sich auch eine Vielzahl deutscher, internationaler Spitzenathleten vieler Disziplinen an den "Jahrhundertreporter" Heinz Florian OERTEL, präsentiert und umfänglich dokumentiert von der (→ ... siehe unten)
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Als jungem Sportjournalisten, an einer Wechselstelle meines bereits strukturierten Berufsleben, begegnete ich dieser Persönlichkeit des öffentlichen Lebens zunächst per Zufall, als einem der ersten "neuen", großen Berufskollegen in den dunklen Studiogängen des damaligen Deutschen Fernsehfunks in Berlin Adlershof: Und ihm gelang es unvermittelt und unerwartet mit Freundlichkeit, Menschlichkeit und Zuspruch das eigene Lampenfieber meines ersten kleinen Live-Kamera-Auftritts zu nehmen, was mich damals so verblüffte, hatte doch dieser Mann für mich bis dahin von Kindesbeinen an schon längst einen "Legenden-Status".
Aber so kollegial und menschlich, wie er mir bei meiner ersten Livekamera-Begegnung Mut für den neuen Job als Sportreporter machte, so nahm ich diesen Mann wirklich in seiner Grundhaltung allen gegenüber an: In seinen Reportagen, mit einer Stimme, die in den Wohnstuben so vieler Menschen willkommen war und zumeist angenommen wurde, unabhängig davon, ob er dabei nun auch den Geschmack aller und auch des letzten Fußballfans traf oder nicht. Schließlich muss damit ja grundsäztlich jeder Reporter leben.
Doch seine mitreißenden Friedensfahrt-Berichte, die unvergesslichen Momente seiner Eiskunstlaufkommentare, die damals so treffend und unverwechselbar das besondere Ambiente und Umfeld dieser ästhetischen Disziplin beschrieben, sind ebenso zu einem wertvollen Bestandteil (ost-)deutschen Gesellschafts- und Geschichtsbewustsein geworden, wie auch seine legendären "Waldemar, Waldemar"-Rufe beim olympischen Marathonsieg des Hallenser Ausnahmeläufers Waldemar Cierpinski ...
Im zweifelhaften Zeitgeist von heute werden diese speziellen Erinnerungen des Großteils der Bevölkerung im Osten Deutschlands leider noch immer so leicht und unbedacht von einigen weggewischt, kleingeredet oder ignoriert.
Und dann kamen die wohl unvermeidlichen und doch so schmerzlichen politischen Veränderungen der deutschen Geschichte.
Und der per Arbeitsvertrag beim DDR-Rundfunks angestellte Heinz Florian Oertel, der beim Deutschen Fernsehfunk als "freier Journalist" tätig war, dort defacto seine "Muggen" machte - übrigens nicht nur beim Sport, sondern auch im Kulturbereich ("Schlager einer kleinen Stadt" ..., "... einer großen Stadt", ... "Porträt per Telefon"), der 17 Mal zum Fernsehliebling gekürt wurde, der stand den Adlershofer Fernsehleuten aus eigenem (!) Entschluss plötzlich nicht mehr zur Verfügung.
Er ging, in freier Entscheidung, aus freien Stücken!
Aber eine TV-Übertragung einer EM im Eiskunstlaufens stand Ende 1989 bevor!
Wer sollte die nun kommentieren? Ohne Oertel ...? -... undenkbar! Ratlosigkeit zunächst in der Adlershofer Sportredaktion!
Mit dem lapidaren Satz " ... das kann doch nur der Turner machen, der beschreibt doch sonst auch Sprünge, Drehungen, und solch's Zeug ", wurde ich gnadenlos und ohne tiefere Vorkenntnisse, in die Spur geschickt! Ich hatte da da zwar meine Berufserfahrungen als diplomierter Kunstturntrainer und viel Verständnis und Ehrfurcht für die "Kringel" der Kufenelite, aber ...?! Und diejenige, die die wesentlich einschlägigeren fachlichen Voraussetzungen hatte, Ex-Weltmeisterin Christine ERRATH, der traute man das zwar zu, aber die wollte man damals nicht ...! Und wie kompliziert und sensibel auch (und besonders in der DDR) die "elitäre" und international erfolgsverwöhnte Eiskunstlaufszene war, das war selbst Außenstehenden bekannt.
Und da war es Florian, der mich faktisch an die Hand nahm, mit mir einen Termin in der Eiskunstlaufhalle des Berliner Dynamo-Klubs machte, die Trainer und Funktionäre zusammenorganisiert hatte und jene dort bat: "Hey, Leute, damit kein falscher Eindruck entsteht: Dieser, mein junger Kollege hier, der hat sich n i c h t gemeldet, der soll das jetzt aber machen, weil ich in Adlershof meinen Vertrag beendet habe und der soll nun die Europameisterschaft aus Leningrad kommentieren ... also meine Bitte: Helft ihm und unterstützt ihn bei seinen Vorbereitungen ...!"
Spontan erklärte sich daraufhin die legendäre Berliner Eiskunstlauftrainerin Inge WISCHNEWSKI bereit - die 1974 Christine Errath zum WM-Titel und zu drei EM-Siegen geführt hatte und Trainerkonkurrentin der Chemnitzerin Jutta Müller war - mir in einem zweiwöchigen Crash-Kurs und vielen Stunden per Video- und Technik-Vermittlung eine leise Ahnung von dieser anspruchsvollen Disziplin zu vermitteln!
Und ich sage das aus der heutigen Distanz von inzwischen über 30 Jahren: Was mir da und wie mir das Heinz Florian vermittelt hatte, das war nicht nur freundlich, kollegial und selbstlos, das war eben genau das, was diesen großen Mann deutscher Medien- und deutscher Sportgeschichte eben so unverwechselbar machte und wie ich ihn in meiner persönlichen Erinnerung behalten werde: mit seiner Menschlichkeit!
Im 96. Lebensjahr ist nun die deutsche Reporterlegende im Kreise seiner Familie verstorben, seine unvergessliche Stimme für immer verstummt.
Doch für mich ist es in erster Linie der Mensch Heinz Florian OERTEL und dessen unersetzlicher Verlust, der meine große, persönliche Trauer ausmacht!
"Wenn man aufsteht, wird die Verbeugung tiefer ...!" *
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* Eckhard Herholz
- ehemaliger TV-Sportreporter / Deutscher Fernsehfunk
- Chefredakteur GYMmedia INTERNATIONAL
)* - B U C H T I T E L
und Zitat aus einer von OERTEL's großen Marathonreportagen !
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→ ... siehe auch unter
►► EHRENTAFEL der UNVERGESSENEN