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Dieter Petersdorf |
Alle vier Jahre bei den Olympischen Spielen schönen die Turner den Medaillenspiegel, dazwischen bleiben sie in Deutschland relativ unbeachtet von den Medien und und einer größeren, öffentlichen Wahrnehmung. Warum ist das so?
Angeregt u. a. durch ein im Februar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlichtes Interview mit Prof. Dr. Bruno GRANDI, dem Präsidenten des Turn-Weltverbandes F.I.G., sprach OTZ-Sportredakteur Andreas Rabel von der Ostthüringer Zeitung mit dem langjährigen Jenaer Kunstturn-Trainer und ehemaligen Olympiastützpunktleiter, Dieter Petersdorf ...
Dieter Petersdorf - der mit über 3 Jahrzehnten Erfahrung als Trainer im Leistungssport (Kunstturnen) saß auch in vielen Arenen der Welt als freier Journalist und Medienmitarbeiter (u. a. auch für GYMmedia) und berichtet von Turngroßereignissen.
OTZ: -- Ist Kunstturnen nun eine Randsportart?
Dieter Petersdorf: -- Ich möchte widersprechen, aber leider ist es objektiv so. Dabei gibt es einen paradoxen Sachverhalt: Der Deutsche Fußball-Bund zählt über 6,8 Millionen Mitglieder. Der Deutsche Turnerbund vereint über 5,1 Millionen Mitglieder - eigentlich ein Machtpotenzial für einen Spitzensport-Verband. Auch an erfolgreichen Athleten mangelt es nicht, aber wer kennt sie? Das ist die Krux.
OTZ: --Kommt jetzt eine Medienschelte? Oder wo sehen Sie das Problem?
D. P.: -- Dazu meine klare Aussage: Das Kernproblem liegt bei den Verbänden selbst.
OTZ: --Wie soll man das verstehen? Turner kritisieren oft die Medien und vergleichen sich mit anderen Sportarten.
D. P.: -- Das wäre ja der irrsinnige Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen. In meiner Kernaussage erhalte ich Bestätigung von höchster Instanz.
OTZ: --Sie meinen aber jetzt nicht den Heiligen Vater aus Rom.
D. P.: -- Nein, aber dennoch einen Italiener. Der Präsident des Internationalen Turner-Bundes, Professor Bruno Grandi, offenbarte jüngst in einem Zeitungsinterview (FAZ: 9. Februar, d. R.) schonungslos und kritisch Sachverhalte zu dieser Problematik in seinem eigenen Weltverband.
Welch Probleme spricht er an?
Hier nenne ich einige Aussagen: "Turnen ist kein direkter Sport, der Wettkampf ist konstruiert, es ist ein erfundenes System, Punkte sind wie Lottozahlen, die Zuschauer sind zu einem Großteil Fans, aber kompetent sind sie nicht, dazu ist das Regelwerk zu kompliziert..."
Harte Worte eines Präsidenten über seine Sportart. Ist das Turnen zu kompliziert?
Es gibt viele komplizierte Sportarten. Aber die Leistungsbewertung haben andere Sportarten besser, weil einfacher, gelöst.
Wenn man das weiß. Warum wird das nicht verändert?
FIG-Präsident Grandi gibt den erfolgreichen Turn-Nationen die Schuld. Sie blockieren Reformen, um ihren Status zu erhalten.
Können Sie Beispiele nennen?
Die Abschaffung der monotonen Pflichtprogramme war schon ein zäher Prozess. Doch schauen Sie auf die Mannschafts-Wettkämpfe. Welcher TV-Sender will noch stundenlange Wettkämpfe übertragen? Dabei können von den 140 Mitgliedsverbänden nicht einmal dreißig eine Mannschaft stellen. Grandi befürchtet ernsthaft, dass dieser Wettbewerb aus dem olympischen Programm fliegt.
Wo sehen Sie Lösungswege für Veränderungen?
Mich fragt ja kein Präsident, aber im Ernst: Der Blick über den Tellerrand gibt manche Anregung für Reformen und Modernisierung einer Sportart.
Geht es etwas konkreter?
Ohne die Grundstruktur einer Sportart zu verändern gilt immer ein Prinzip: Je einfacher, je transparenter, um so besser und spannender für den Zuschauer. Wer hätte noch vor zehn Jahren geglaubt, dass Biathlon auf Schalke einmal ein Mega-Spektakel wird? Mixed-Wettbewerbe etablieren sich, sogar in der einstigen Männerdomäne Skisprung. Mixed-Wettbewerbe international gab es übrigens auch schon vor einigen Jahren erfolgreich beim Cottbuser Weltcup der Turnelite.
Da geben Sie sein Stichwort. Vom 19. bis 22. März findet das Turnier der Meister statt. Was verbindet Sie mit Cottbus?
Ich habe dieses Turnier als Trainer, Kampfrichter und auch als Berichterstatter fast dreißig Jahre erlebt. Das Turnier ist ein Mythos. Nirgendwo gab und gibt es solch einen familiären Geist wie in Cottbus. Selbst in den DDR-Zeiten waren die Kontakte und Begegnungen gelöst und herzlich unter den Mannschaften, Trainern und Kampfrichtern. Es kursierte sogar folgende Aussage: Das einzige störende Element sind die Kampfrichter. Das ging aber ganz und gar nicht gegen die Juroren, kennzeichnete lediglich das beschriebene Phänomen. Um Leistung und Prestige ging es trotzdem immer.
Hört sich an, als wären Sie ein Botschafter für das Turnier der Meister?
Ich nehme diesen Titel gern an, Die rührigen Organisatoren um Turnierdirektor Mirko Wohlfahrt, vorher Sylvio Kroll, widerlegen fast jegliche Wertung über Randsportarten. Eines der größten und weltweit ältesten und bedeutendsten Turnturniere ist verbunden mit dem langen Atem solcher Namen wie Günter Nowka, Bernd Heide, Sylvio Kroll, Mirko Wohlfahrt und Eckhard Herholz. Aber auch Politik und Wirtschaft haben in kritischen Zeiten den Erhalt des Turniers gesichert. Das ist nicht selbstverständlich. Unserer Sportart rennen Sponsoren und Förderer nicht die Türen ein.
Gibt es auch einen Ostthüringer Bezug zum Turnier?
Mit Sicherheit. Fangruppen aus den Turnhochburgen Jena, Gera, Saalfeld, Greiz und Zeulenroda erleben Weltspitzenleistungen zu günstigsten Bedingungen hautnah in der Lausitzarena mit.
Worauf können sie sich in diesem Jahr freuen?
Auf absolute Weltklasse. Turner aus vierzig Ländern, Olympiasieger, Welt- und Europameister und die deutsche Elite werden Kunstturnen zelebrieren. Kein Drehbuch kann spannender geschrieben sein, wenn zum Abschluss am Reck eine Flugschau der Superlative geboten wird. Der "Fliegende Holländer" und Olympiasieger Epke Zonderland turnt gegen den Chemnitzer Andreas Bretschneider. Beide konnten in Cottbus je zweimal gewinnen. Bretschneider turnt als einziger das schwierigste Flugelement der Welt.
Zurück zum Thema. Trotz Weltklasse beim Turnier der Meister. Kunstturnen bleibt eine Randsportart?
Allein das Preisgeld des Turniers von insgesamt 25"000 Schweizer Franken beantwortet diese Frage. Jeder Top-Fußballer würde darüber nur müde lächeln - wobei wir wieder bei Äpfeln und Birnen wären.