04. November 2010  
Schweiz  
Gerätturnen

Kaeslins Glanz überstrahlt schmale Basis

Als  am Sonntag in Zürich wieder einige der weltbesten Turnerinnen und Turner am Swiss Cup starteten, stand auch die Schweizerin Ariella Kaeslin erneut im Mittelpunkt, war sie doch eben bei den Welttitelkämpfen in Rotterdam erneut als Achte des Mehrkampfes unter die besten Turnerinnen der Welt gekommen, stand dort wieder im Sprungfinale ...
Trotz vieler Bemühungen des Schweizer Turnverbandes, wie hier beim "Kidz-Day" im Swiss-Cup-Umfeld (Foto links mit Ariella):
Immer weniger Junge betreiben Kunstturnen als Leistungssport in der Schweiz, wie das Journalisten-Kollege Christian Brüngger vom Schweizer Tages-Anzeiger analysierte, der uns den folgenden Artikel freundlicher Weise zur Veröffentlichung frei gab...:

* ... mit freundlicher Genehmigung

Domenico Rossi (SUI)

Rossi sagt darum: «Bei den Männern fehlt uns ein Idol, wie es Ariella für die Mädchen ist.»
Der Mangel an (männlichen) Vorbildern ist für Rossi nur einer von mehreren Gründen, warum der Traditionssport im Spitzenbereich der Nachwuchsstufe schrumpft. Mit Blick auf die Jungen in allen Sparten des Turnverbandes (Vereinsturnen, Trampolin, rhythmische Gymnastik usw.) ist der Schwund weniger drastisch, bleibt bei den Buben aber ausgeprägter. Gerade sie werden von grossen Sportarten wie dem Fussball stärker angezogen als die Mädchen.

Riesiger Trainingsaufwand
Die jungen Kunstturner springen früh zu anderen Sportarten ab. Ueli Schneider, Vizepräsident des Swiss Cup und Abteilungsleiter Spitzensport im Zürcher Turnverband (ZTV), kann den Wechsel klar benennen: Er erfolgt im Alter von 7 Jahren. Im jährlichen Sichtungstest des ZTV für leistungsorientierte Knaben kam der Bruch diesmal beim Jahrgang 2003. Ursprünglich war dieser am stärksten vertreten gewesen. Für Schneider ist es kein Zufall, dass die Zäsur bei den 7-Jährigen erfolgt. Er sagt: «In diesem Alter entscheidet sich bereits, ob einer leistungsorientiert kunstturnen will. Der Rest springt ab.»
Klein, aber fein
Bloss kommt durch die Zentren eine weitere Hürde hinzu: Die Distanzen fürs Training werden für die Kinder grösser, als wenn sie im ortsansässigen Verein ausgebildet würden. Daraus ergibt sich ein zweiter Nachteil. «Weil die Jüngeren noch nicht alleine anreisen können, sind viele auf die täglichen Fahrdienste der Eltern angewiesen», sagt Rossi. Er stellt aber fest, dass viele Eltern tendenziell weniger bereit sind, einen solchen Effort für ihren Nachwuchs zu leisten. Er erklärt sich das auch mit den gesellschaftlichen Veränderungen: «Früher arbeitete oft nur der Vater, inzwischen sind es immer wieder auch beide Elternteile.» Doch die hohen Trainingsumfänge bereits in jungen Jahren sind nötig, um dereinst international auf Elitestufe glänzen zu können. Und das immer höhere Niveau zwingt auch das Schweizer Kunstturnen zu einer Professionalisierung auf Kinderund Jugendstufe, wo selbst 8-Jährige bereits in den regionalen Leistungszentren von einer grossen Karriere träumen.