Ex-Turner Thüne verließ einst 'unerlaubt' das Team des Ex-Coaches Weber |
Traditionstreffen - mehr als bloße Nostalgie ....
Kurz nach Olympia gab es in einer der ehemaligen Hochburgen des deutschen Turnens, in Brandeburgs Metropole POTSDAM, das 3. Turntraditionstreffen des des letzten Jahrzehnts:
Nach 1998 und nach 2003 trafen sich exakt 100 Ehemalige und Gäste des legendären "ASK Vorwärts" Potsdam", der noch immer der erfolgreichste deutsche Turnklub der Geschichte ist und dessen Athleten des Männerturnbereiches einst Weltruhm errangen.
Interessante, auch "kurvenreiche Lebensläufe", wie die des ex-internationalen Reckstars Wolfgang Thüne, seines damaligen Auswahlcoaches Peter Weber bis hin Potsdamer und letzten DDR-Turn-Olympiasiegers Holger BEHRENDT sind interessante Aspekte eines noch völlig unaufbereiteten Teils der deutschen Sportgeschichte...
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... virtuelles Dankeschön, an den Organisator Dr. Günter BEIER - Mitglied der Olympiariege Mexico-City 1968 (Bronze) |
Potsdamer
A S K - Treffen 2008
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Von den insgesamt 100 Teilnehmern waren 73 ehemalige Turner des früheren Armeesportklubs "ASK" Potsdam anwesend, dazu 23 zugehörige Partner.
So die ehemaligen Mitglieder der frühen DDR-Nationalmannschaften der 50'er und 60'er Jahre, bzw. Mitglieder der damaligen gemeinsamen deutschen Olympiariegen oder WM-Mannschaften, wie Wolfgang GIPSER, Peter WEBER, Gerhard DÖLLING, Gerhard Dietrich, Wolfgang KLOTZ, der Erfinder des Saltos gleichen Namens, Bernd JÄGER, Jürgen PAEKE, Wolfgang THÜNE - der Mitte der siebziger Jahre als spektakulärer "Republik-Flüchtling" die DDR verließ - Bernd JENSCH, Jörg HASSE, Mario REICHERT, Ringe-Olympiasieger Holger BEHRENDT, Andreas FEIGEL und als ältester Teilnehmer Heinz REICH, der schon seit 1951 bei der damaligen KVP (Kasernierte Volkspolizei, Vorläufer der NVA) in Potsdam aktiv war!
(* Video sources: youtube)
Auch der heutige Chefredakteur des LSB Baden-Würtemberg ("Der Sport") und Herausgeber des Turn-Fachmagazins LEON*, Andreas GÖTZE - Anfang der siebziger Jahre (1971) Deutscher Pferd-Meister (DDR) - der selbst der späteren ungarischen Pauschenpferd-Legende Zoltan MAGYAR Paroli bieten konnte, war einst ein ASK-Turner ...
Erinnert wurde bei diesem Treffen auch an jene verstorbenen Exponenten der Potsdamer Turnschule, wie an den ehemaligen Cheftrainer und internationalen Kampfrichter-Experten Rolf BAUCH oder das Mitglied der 1960'er Olympiariege und EM-Teilnehmer der fünfziger/sechziger Jahre, an Günther NACHTIGALL....
Vielschichtig sind die Gründe, die so viele Menschen nach so vielen Jahren, freiwillig zusammenkommen lassen.
* Dazu ein paar grundsätzliche Bemerkungen...:
Mehr als bloße Nostalgie ...
Wenn es Menschen nach z. T. über einem halben Jahrhundert zu solchen Treffen zieht, muss
m e h r geschehen sein, als man das leider allzu oft und immer noch viel zu häufig in oberflächlichen Rückblicken des historischen Schubkastendenkens liest.
- Gerhard 'Fliege' DIETRICH (li.) - war der erste Turner der Welt zur WM 1966 in Dortmund mit einem Salto rw. mit Doppelschraube als Reckabgang; |
- N a t ü r l i c h war der Sport in der DDR eingebettet in das politische System - ... aber er war dortzulande auch integrierter Bestandteil der Verfassung!
- N a t ü r l i c h wurde der Sport politisch missbraucht für die Systemdarstellung, war "Element des Klassenkampfes" und galt als Vorzeigestück für die "Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaft" ... - stellte aber für einen großen Teil der im Osten lebenden Menschen ein unverzichtbares Stück ihrer täglichen Lebensqualität dar, vom Vorschulkind, bis zur sporttreibenden Oma oder zum turnenden Opa beim Freyburger Jahnturnen...!
- N a t ü r l i c h gab es Unzulänglichkeiten und oft fehlende Ausgewogenheit der Disziplinen und Sportarten, mangelnde Ausstattung der Sportstätten und z. T. krasse Diskrepanzen der Förderung des Spitzensports zum "Rest" der Sportstrukturen, aber z. B. die "Turn- und Sportfeste der DDR" waren - bei all ihrem bombastischen, polit-ideologischen Pomp und Procedere - ...
... auch, und für die meisten(!) Teilnehmer - Veranstaltungen mit hohem, emotionalem Erlebniswert und haben deshalb in den Herzen Vieler zu Recht einen festen Platz gefunden!
Engagement und Politik - Normalität und Widerspruch
So war das auch bei jenen, die sich mit engagiertem Herzen in die Strukturen des sich entwickelnden Leistungssports im Gerätturnen in der frühen DDR einbrachten.
Da spielten Potsdam und sein späterer Armeesportklub gerade im Gerätturnen eine initiierende Schlüsselrolle. Hier konzentrierten sich besonders die Besten ihrer Disziplinen, Sportler, wie Funktionäre.
Im angeregten Gespräch: die Ex-Nationalmannschaftsturner (v.li.): Wolfgang KLOTZ, 3 Mal Teambronze bei Olympia (München 1972, Montreal 1976) und zur WM 1974 in Warna; |
Spartakiade-Sieger der siebziger Jahre in Halle: |
Aber auch hier gab es solche und solche:
...:J e n e die in erster Linie sich im Funktionärsapparat als "Apparatschiks" hochdienten, unter denen so mancher "Beseelte" zu leiden hatte, und die
v i e l e n a n d e r e n , die geschickt die sich nun mal im Osten gewollt entwickelnden, einzigartigen Fördersysteme ausnutzten, um darin langfristig Weltspitzenleistungen zu entwickeln, dafür das "politische, und ideologische Brimborium" - auch nicht immer lächelnd - aber oft billigend, in Kauf nahmen.
Insbesondere im damaligen Nachwuchsbereich des Turnens waren in Potsdam und anderswo weltweit einzigartige Turnstrukturen aufgebaut worden, die mit Bildern, wie man sie heute aus China kennt, absolut nichts zu tun hatten!
Das war in den sportlichen Fördersystemen der zivilen Spitzensportclubs nicht viel anders, als in denen der Armee (ASK) und des Ministeriums des Innern (Dynamo), wenn auch mit der dort vorherrschenden Befehlsstruktur und unter den z. T. abartigen Entwicklungen der Staatssicherheit der letzten DDR-Jahrzehnte, oft menschenverachtende Missbräuche zu beklagen waren.
... auch der weltweit anerkannte spätere und letzte DDR-Cheftrainer der DDR (Bildmitte), Dieter HOFMANN , der die DDR-Riege in Seoul zu Silber führte - hier mit den Turnern Sven Tippelt und Sylvio Kroll - turnte ursprünglich beim Potsdamer Armee-Sportklub ASK, wechselte später als Trainer nach Halle... |
Sport muss in erster Linie menschlich bleiben ...!
Aber auch dort waren Menschen tätig, deren ganzes Bestreben in erster Linie den ihnen anvertrauten Sportlern galt! Die meisten der dieses System durchlaufenen Athleten pflegen noch heute ein herzliches Verhältnis zu ihren ehemaligen Trainern, haben ihnen viel zu verdanken.
Ihr späterer Lebensweg hat oft eine positive Wendung genommen, auch dadurch, dass im DDR-Sport den Ex-Leistungssportlern berufliche Bildungswege aufgezeigt und ermöglicht wurden - noch heute ein allzuoft unbewältigtes Problem in deutschen Leistungszentren!
Ebenso aber gab es - auch unter den Teilnehmern des Potsdamer ASK-Treffens - diverse negative Fälle, wo mit Athleten oder Trainern und deren Familien Schindluder unter Missachtung ihrer Persönlichkeiten getrieben wurde.
Besonders Turnvater Jahn ist bestes Beispiel notwendiger, differenzierter Geschichtsbetrachtung! |
Den DDR-Spitzensport jedoch allein nur auf "Systemabrechnung" und auf die allbekannte Dopingproblematik zu reduzieren - übrigens ein Phänomen, mit der gerade die jetzige Gesellschaft extrem belastet ist - wird der Komplexität des vielzitierten sog. "Sportwunders DDR" absolut nicht gerecht -
... das wäre so, als würde man dem heutigen DTB ständige die frühere Wandlung der Deutschen Turnerschaft zu einer rein "Deutschnationalen Organisation" und durch ihre „reinliche Scheidung von Turnern und Sportlern“ erzwungene Nähe zum Nationalsozialismus um die Ohren schlagen....!
Geschichte ist eben komplizierter, nuancierter ...
Auch Turnbruder Friedrich Ludwig JAHN ist eben nicht bloß der oft gescholtene Nationalist oder verunglimpfte Antisemit, sondern war ein "Mensch seiner Zeit" mit Bedeutung und Einfluss auf Geschichte.
Auch bezüglich des DDR-Sports ist viel mehr differenzierte, ausgewogene, historische Arbeit erforderlich, die sowohl die Abartigkeiten und Entgleisungen wider die Menschlichkeit analysieren und verdeutlichen muss, aber andererseits auch das Fortschrittliche und Geleistete, was vor der Sportgeschichte Bestand hat, wesentlich stärker in den Mittelpunkt von Geschichtsaufarbeitung setzen sollte!
Zwei ehemalige Potsdamer Weltstars: |
N a t ü r l i c h kann das ein Traditionstreffen allein, wie dieses in Potsdam, oder jenes, am kommenden Wochenende in Halle/Sa. (* siehe unten), nicht erreichen.
Aber im humanen Sport sollte der menschliche Faktor überwiegen, und der sollte keineswegs durch oberflächliche historische Diskreditierungen zu Verletzungen führen.
... ü b r i g e n s:
Noch ist die Geschichte des Deutschen Turnens im politischen Gesellschaftssystem der verflossenen DDR nicht geschrieben - immerhin hatten sich die DDR-Frauenriegen international zuerst durchgesetzt, danach eindrucksvoll auch die Männer, an den Japanern und Chinesen vorbei entwickelt, und bei Olympia 1988 in Seoul mit Team-Silber sogar am goldenen Thron der Sowjets gekratzt, und auch da waren Potsdamer Athleten dabei:
Olympiasieger Hoger BEHRENDT, und der spätere erste gesamtdeutsche Reck-Weltmeister (1991) Ralf BÜCHNER ...
... Geschichte, deren differenzierte Aufarbeitung noch aussteht!
Dies ist im Ursprungslande des Turnens, der Nation eines GutsMuths und Jahns, der Flatows und Schuhmanns, Bantz', Köstes, Weckers und Hambüchens wohl nun mehr als überfällig!
* Eckhard Herholz, GYMmedia INTERNATIONAL
>> Rückblick: II. Potsdamer Traditionstreffen 2003
... am Wochenende, Samstag, den 25. Oktober 2008, gibt es einen sog. "Tag der offenen Tür" aus Anlass des 50. Geburtstages des führenden Spitzensportsclubs in Sachsen-Anhalt, des
>> SC Wissenschaft / SC Chemie / SV HALLE