10. Februar 2005  
Berlin  
Gerätturnen

Turnfeststadt Berlin reduziert Frauenturnförderung

Berliner Sparzwänge führen zu drastischen Kürzungen
Entgegen früherer Meldungen noch zu Beginn des Jahres streicht der Olympiastützpunkt Berlin neben 4 seiner bisher 21 geförderten Sportarten (Eiskunstlauf, Boxen, Gewichtheben, Schießen) - nun doch auch das Kunstturnen der Frauen, 'wegen mangelnder Erfolgsaussichten', und kürzt der Landessportbund auf Druck der Sparzwänge des Senats drastisch die Mittel für den Sport!
Dies ist somit das definitive Ende einer einstmals weltweit einmaligen grandiosen internationalen Berliner Turn-Bilanz....

Ingrid FÖST - einer der ersten Berliner Turn-Stars der 50iger Jahre
... kommt nun das Ende einer fast 50-jährigen Berliner Turn-Erfolgsbilanz?

>> Seit 1960 standen bei 9 Olympischen Spielen insgesamt 19 Berlinerinnen 21 Mal in Olympia-Gerätefinals - stellten auch ca. die Hälfte aller übrigen deutschen Starterinnen. Sie waren maßgeblich beteiligt an 4 bronzenen und einer Silbermedaille mit ihren Teams, holten 3 x Gold (2x Karin Janz, 1x Maxi Gnauck) sowie weitere 2 Silber- und 1 Bronzemedaille.

>> Bei Welttitelkämpfen der siebziger und achtziger Jahre kamen 5 der insgesamt 6 deutschen Weltmeisterinnen aus Berlin (Janz, Annelore Zinke, Gnauck, Gabi Fähnrich, Dörthe Thümmler) und gewannen 9 Goldmedaillen.
Alle 3 deutschen WM-Mehrkampfmedaillen errangen Berlinerinnen (Gnauck, Angelika Hellmann, Dagmar Kersten); 9 der insgesamt 12 deutschen Einzelgerätemedaillen gingen in die deutsche Hauptstadt und fast die Häfte aller deutschen WM-Medaillengewinnerinnen kamen ebenfalls aus Berlin.

>> Bei Europameisterschaften waren drei von vier Berliner Titelträgerinnen (Janz, Hellmann, Gnauck) und auch 9 der insgesamt 17 deutschen EM-Medaillengewinnerinnen kamen aus der Hauptstadt...

'Mini Maxi' 1983

... und nationale Berlin-Bilanzen?
Zu DDR-Zeiten gingen - neben den Zentren Leipzig, Dresden, Karl-Marx-Stadt, Halle, Rostock und Frankfurt/Oder - besonders zuletzt - ebenfalls die meisten Deutschen Meistertitel nach Berlin:
Allein 36 Mal (!!) - ab 1978 gar 11x in Folge - holten sich Hauptstädterinnen die nationale Vierkampf-Krone: Von Vera Matschulat-Ewald 1954, über Ingrid Föst und Birgit Radochla in den Sechzigern, zu der Generation der Janz, Hellmann, Regina Grabolle... in den Siebzigern, bis zu Gnauck, Astrid Heese... und zuletzt 1988 zu Dagmar Kersten, dominierten die Berliner 'Dynamos' eindeutig auch die nationale DDR-Turnszene, waren außerdem Weltspitze und das insbesondere fast 2 jahrzehntelang am Stufenbarren...

Die Nach-Wendezeit - ein permanenter Abstieg!
Gemessen am internationalen Niveau sank zuerst und rapide der Leistungsanspruch des Frauenturnens generell in Deutschland!
Aber nach der deutschen Einheit kam 1991 mit Anke Schönfelder auch die erste gesamtdeutsche Meisterin aus dem nunmehr in SC Berlin umbennannten Top-Zentrum deutschen Frauenturnens und stand neben der in Folge dreifachen Deutschen Meisterin aus demselben Club, Diana Schröder in Deutschlands letzter Olympiariege 1992 in Barcelona.
>> 1991 bis 1994 hatte man immerhin noch in Berlin vier Bundestrainer- und sechs Landestrainerstellen im weiblichen Bereich.
>> 1993 wurde die erste Bundesstelle gestrichen - Thorsten Mettke ging ins Rheinland und folgte damit Gisela Heller (1992) nach Bergisch-Gladbach.
>>1995 verblieben nach dem Weggang der Spitzen-Choreografin Angelika Hellmann noch zwei Bundestrainer - bis zum Jahre 2000 standen dahinter noch 4 Landestrainer.
>> Bis 2001war Wolfgang Riedel der letzte Bundestrainer, plus zusätzlicher dreier Landestrainerstellen...
... nach Riedels Weggang nach Chemnitz ist nunmehr 2005 nur noch 1 (!) Landestrainer, nämlich Steffen Gödicke übrig....(!!), dem vielleicht noch stundenweise bezahlte Honorartrainer zur Verfügung stehen....
Es ist das widersinnige Prinzip der derzeitigen deutschen Spitzensportförderung, das beim Ausbleiben der Erfolge 'oben', im Spitzenbereich, Streichungen der Förderstufen vornimmt, also 'unten' die Mittel reduziert werden, wo nun mal insbesondere in Turnen und Eiskunstlaufen zu 80 Prozent d o r t die Leistungsgrundlagen von morgen gelegt werden müssen!

So ist es nur allzu 'gesetzmäßig', dass man bei Beibehaltung dieser - den Tatsachen und Erfordernissen anspruchsvoller, komplexer technisch-kompositorischer Sportarten widersprechender - Förderregeln, vom definiven Ende des internationalen Anspruchsdenkens im Kunstturnen der Frauen sprechen muss - hier in Berlin und anderswo in Deutschland....
... es sei denn, man enscheidet sich in auch hierzulande zu gänzlich anderen Mechanismen und Strukturen privat-wirtschaftlicher Natur. Doch die sind - nüchtern betrachtet - absolut nicht in Sicht.
Eckhard Herholz / GYMmedia