31. Januar 2005
Berlin
Gerätturnen
Birgit Radochla feierte 60. Geburtstag in Berlin
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Birgit Michailoff-RADOCHLA (Berlin)
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Am 31. Januar wurde Deutschlands erste Olympiamedaillengewinnerin (Einzelmedaille) im Kunstturnen, Birgit MICHAILOFF-RADOCHLA 60 Jahre alt.
Mit 16 Jahren wurde sie 1961 in Eisenach jüngste DDR-Mehrkampfmeisterin der Geschichte und gewann insgesamt 7 Landesmeistertitel.
1964 sorgte sie hinter der legendären Vera Caslavska (CSR) und gemeinsam mit Larissa Latynina mit dem Gewinn der Silbermedaille am Pferdsprung in Tokio für die erste olympische Einzelmedaille einer deutschen Turnerin....
Die Radochla-Geburtstagsrunde war ein historisches deutsches Frauenturntreffen:
Von A wie Angelika Striegler, E wie Ewald oder H wie Hellmann und J wie Janz, bis Z wie Zuchold.
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... bei der Radochlarolle im Training.
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Erfinderin "wider Willen"
Mit ihrer Erfindung, der "Radochla-Rolle", legte sie erste innovative Grundlagen für spätere Entwicklungen von Flugelementen.
Auch wenn alle Welt spätestens seit den Olympischen Spielen von Tokio von der "Radochla-Rolle" am Stufenbarren spricht...
"... eigentlich bin ich doch gar nicht die Erfinderin," so erinnert sie sich heute.
"Vor den Olympischen Spielen, im Frühjahr 1964, sah ich bei einem Länderkampf gegen die Tschechinnen von Sparta Prag, von Hana Ruzickova diese neue Kombination am Barren. Zu Hause habe ich sie dann mit meinem Trainer Herbert Hoffmann trainiert und es gelang mir, sie zunächst schon bei den DDR-Meisterschaften in Halle und dann auch gleich in der Übung 1964 bei den Olympischen Spielen in Tokio zu zeigen. Dort stellte sich heraus, dass Hana inzwischen ihren Salto rückwärts gegrätscht mit Griffwechsel vom unteren zum oberen Holm nicht mehr in ihrem Vortrag hatte... und so wurde er dann schließlich nach mir benannt."
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Birgit und ihr erster Trainer in Forst, Klaus Helbeck
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Alles begann im Garten auf der Wiese...
Für das Turnen entdeckt wurde sie im Lausitzer Glasmacherstädchen Döbern. Schließlich war ihr Vater Helmut einer der zwei deutschen Ersatzturner für die deutsche Olympiariege von 1936 und nach dem II. Weltkrieg 1949 erster DDR-Meister am Pauschenpferd.
Im häuslichen Garten auf der Wiese standen schon Reck und Barren, hingen da auch Ringe und ein Trapez. "So war es fast gesetzmäßig, dass auch ich bei diesen turnbegeisterten Eltern eine Turnerin wurde."
Zunächst begann sie an der traditionsreichen Lausitzer Sportschule in Forst bei Trainer Klaus Helbeck, später gehörte sie dann dem SC Dynamo Berlin an, der zum erfolgreichsten Turnclub der Welt avancieren sollte und Birgit war mit ihrem Trainer Herbert Hoffmann eine der ersten Turnerinnen, die die internationale Aufmerksamkeit auf dieses Berliner Leistungszentrum lenkte...
Einst jüngste deutsche Turnmeisterin
Ziemlich locker und unbeschwert holte sie sich mit 16 Jahren in Eisenach den DDR-Mehrkampfmeistertitel, verletzte sich doch die große Favoritin Ingrid Föst zuvor und Mitkonkurrentin Ute Starke fiel vom Balken. Ziemlich verwundert war sie damals, als ihre Wirtin - die Unterbringung erfolgte in Privatquartieren - plötzlich ein Autogramm von dem Teenager wollte, und in Erinnerung ist ihr auch noch das erste Fernsehinterview mit Reporter Harri Schulz geblieben.
1962 gewann sie hinter der erneut siegenden Ingrid Föst die Bronzemedaille im Achtkampf von Görlitz. Ein Jahr später folgte in Magdeburg ihr zweiter Mehrkampfmeistertitel und ihre ersten beiden Goldmedaillen an Sprung und Boden.
Weltmeisterschaften, Olympia und EM "Obwohl ich schon ziemlich ergeizig war, bin ich zur Turn-WM 1962 ziemlich unbelastet nach Prag gefahren. Ich hatte kaum Hoffnungen auf den Gewinn einer Medaille, so dass ich über den 4. Platz im Pferdsprungfinale sehr glücklich war." Und 2 Jahre später sollte sie - die als Turnerin immer durch sicher zelebrierte Stände auffiel - als Gewinnerin der olympischen Silbermedaille und damit als erste deutsche Turnerin mit solch einem Einzelerfolg, in die Geschichte eingehen und unterstrich auch als Mehrkampfvierte ihre besonderen Qualitäten als Allrounderin.
Schon 1963 war sie auch für die
IV. Europameisterschaften in Paris nominiert, allerdings wurde damals den Turnerinnen der DDR die Einreise verweigert (Hallstein-Doktrin; Alleinvertretungsanspruch BRD) - aus "brüderlicher Solidarität" blieben dann auch die UdSSR und die anderen sozialistischen Länder der EM fern....
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Birgit begrüßt 1992 in Kienbaum mit einer Rose die slowenische Turnlegende Leon STUKELJ
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Verspätetes EM-Debüt...
So vollzog Birgit Radochla ihr EM-Debüt erst zwei Jahre später in Sofia und wurde dort erfolgreichste Deutsche: Wie 4 Jahre zuvor in Leipzig Ingrid Föst, so gewann auch sie Bronze im Mehrkampf und stand in allen Finals, holte dort Bronze am Balken und Silber am Boden.
Natürlich stand Birgit Radochla auch auf der Startliste zur Turn-Weltmeisterschaft 1966 in Dortmund, doch zwei Tage davor lief sie beim Training derart unglücklich gegen das Pferd, dass sie verletzt ausscheiden musste.
Auch noch im olympischen Jahr 1968 war sie im Auswahlkader der DDR.
Der Trend hieß: Verjüngung
Allerdings begann sich da schon stark der Trend zur rigorosen Verjüngung abzuzeichnen, der besonders und zuerts in der DDR forciert wurde; da hieß es "die Alten raus" und spätestens seit 1967 machten dann solche jungen Turnerinnen wie Karin Janz, Angelika Striegler, Marianne Noack von sich reden...
Als sich Birgit Radochla zwischen DDR-Meisterschaften und Olympischen Spielen 1968 nach stundenlangen Gesprächen mit dem damaligen DTV-Generalsekretär weigerte, in die SED einzutreten, entstand um sie herum eine eigenartige Stille, ... keine Nominierung mehr ins Olympiateam der DDR,... sie wurde einfach nicht mehr berücksichtigt, kaum noch erwähnt ... so nahm ihre außergewöhnlich erfolgreiche Karriere ein eigenartig "ruhiges" und wenig euphorisches Ende.
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Birgit Radochla-Michailoff mit ihrem Gatten Dr. Michail Michailoff
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Vielseitige Ausbildung
So beendete sie 1971 ihre Ausbildung als Kindergärtnerin am Fröbel-Institut Berlin-Köpenik und arbeitete danach als Sachbearbeiterin in ihrem Heimatclub SC Dynamo Berlin.
Nebenbei schloss sie noch per Abendstudium eine Ausbildung als Kosmetikerin bei Berlin-Chemie ab und erwarb zudem zwischen 1974 und 1979 an der Deutschen Hochschule für Körperkultur Leipzig im Fernstudium (Außenstelle Magdeburg) das Trainerdiplom, während sie gleichzeitig als Kosmetikerin im Sporthotel Berlin arbeitet.
Verheiratet ist sie mit dem bulgarischen Forscher und Entwicklungsingenieur (Elektronik) und späteren Journalisten Dr. Michail Michailoff, und man trifft sie zu allen Zeiten bei sportlichen Großveranstaltungen, besonders natürlich bei ihrem geliebten Turnen, dem sie sich dann ab 1978 auch beruflich gewidmet hatte:
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Birgit Radochla, Klaus Köste 1999; Olympioniken von 1964
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Rückkehr zum Turnen
Der DTSB der DDR forcierte Mitte der 70er Jahre besonders den Ausbau des Förderstufensystems, baute die sog. "1. Förderstufe" zu einem in der Folge vorzüglich funktionierenden System der Trainingszentren aus und setzte dort speziell ausgebildete hauptamtliche Trainer ein.
So begann auch Birgit Radochla im TZ Brandenburger Tor in Berlin-Lichtenberg als absolute Spezialistin und qualifizierte Kennerin der Szenerie dort als Trainerin zu arbeiten: "Ich habe das immer sehr gerne gemacht, weil ich auch früher schon immer lieber in die Turnhalle als in die Schule gegangen war.
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Birgit Radochla, mit den 68'er-Olympiaturnerinnen Maritta Bauerschmitt und Magdalena Schmidt.
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Leider fehlt es heute besonders an der Systematik und beharrlichen, langfristigen Ausbildung und Kontinuität des Frauenturnens besonders in den unteren Altersbereichen.
Nach längerer und schwerer, nun aber überwundener Krankheit der letzten Jahren ist Birgit Radochla nun wieder lebensfroh und optimistisch und freut sich auf ihre Geburtstagsfeier in dieser Woche in Berlin, die mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit ein historisches deutsches Turnertreffen werden wird.
E. Herholz / gymmedia
Fotos: P.Frenkel; GYMmedia; K.-H. Friedrich
Red. Zuarbeit: H.-J- Zeume