11. Juni 2009
Sofia, Bulgarien
Rhythmische Gymnastik
Krise im bulgarischen Leistungssport ....
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Simona Peitschewa*, Bulgariens Beste, nur Zehnte in Peking 2008
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... z.B. auch in der Rhythmischen Gymnastik
Nur je eine Gold- und Silbermedaille und 3x Bronze war die magere Olympiaausbeute Bulgariens in Peking 2008, insgesamt.
Heftig diskutiert und kritisiert wurde auch das enttäuschende Abschneiden der ehemaligen Top-Nation in der Rhythmischen Gymnastik:
Ein 10. Rang im Einzelwettbewerb, ein 5. Platz mit der Gruppe - das blieb übrig von der einstigen Führungsnation der achtziger und neunziger Jahre:
Zweitklassigkeit, Einzelkämpferinnen, kein Nachwuchs...
... was bleibt, sind vorwiegend Erinnerungen.
Damit setzt sich die Autorin Vessela Vladkova, von Radio Bulgaria kritisch auseinander...
Gibt es Krise im bulgarischen Leistungssport?
* - von Vessela Vladkova, Radio Bulgaria
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Die Goldmädchen – so nennt man sie bis heute.
Iliana Raewa, Diljana Georgiewa, Anelia Ralenkowa, Adriana Dunawska, Maria Petrowa und Lilly Ignatowa.
Jede von ihnen ist mehrfache Welt- und Europameisterin in einer sehr schönen Sportart – in der Rhythmischen Gymnastik. Jeder Bulgare kennt ihre Namen. Denn sie prägten ihre Sportart über Jahre so, wie kaum eine andere Nation. In den 80er Jahren war die Rede von der "bulgarischen Schule" in der rhythmischen Sportgymnastik. Davon ist heute nur die Erinnerung geblieben.
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Lilia IGNATOWA, heute ...
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Die zweifache Weltcupsiegerin Lilly Ignatowa hat ihre 19 Gold-, 11 Silber- und 2 Bronzemedaillen aus Welt- und Europameisterschaften tief in ihrer Wohnung versteckt.
Die heute 45-Jährige erinnert sich mit gemischten Gefühlen an die glorreiche Zeit, als sie und ihre Mannschaftskolleginnen das Publikum begeisterten, Medaillen haufenweise abräumten und die rhythmische Sportgymnastik revolutionierten.
"Es war ein glückliches Zusammentreffen vieler Faktoren. Zu sozialistischer Zeit war der Sport Staatspolitik, es floss viel Geld in die Sportverbände, denn die Staats- und Parteiführung rechtfertigte sich zum größten Teil auch durch die sportlichen Erfolge. Heute haben wir nicht einmal ein vernünftiges Sportgesetz. In einem Land, wo es keine Steuererleichterungen für Sponsoring gibt, kann es keinen Erfolg im Hochleistungssport geben.
Und die Kontinuität ist in all den schwierigen Jahren nach der Wende verloren gegangen. Viele ausgebildete Trainer sind ausgewandert."
Lilly Ignatowa muss sich die fast schon spöttische Frage, warum sie in Bulgarien geblieben ist, oft täglich anhören. Sie blieb, um ein Stückchen von dem zurückzugeben, was sie als Leistungssportlerin über Jahre bekommen hat, und versuchte sich als Trainerin.
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Neschka Robewa, bulgarische Welt-Trainer-Legende...
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Und noch eine ist geblieben – ihre damalige Trainerin Neschka Robewa, die "goldene" Neschka, wie sie im Volksmund genannt wird.
Mit ihren 63 Jahren strahlt sie immer noch Frische und Energie aus, und trainiert den Nachwuchs in einer schäbigen Halle, die sie und noch ein paar enthusiastische Frauen ihrer Generation instand halten.
"Wenn du Champions großziehen willst, dann wird alles andere zur Nebensache. Du gibst dich selbst auf, denn das Ziel ist so hoch, dass du dich einzig und allein dieser Aufgabe widmest. Die Trainergeneration nach mir ist dieser Selbstaufopferung nicht fähig. Leider leben wir immer noch in einer labilen Gesellschaft.
Es tut mir weh, dass der Sport in all den 20 Jahren nach der Wende vernachlässigt wurde. Bulgariens Sport hat schon vor Jahren den Leergang eingeschaltet und die Ergebnisse davon liegen auf der Hand – die einzige Goldmedaille in Peking gewann eine Sportlerin, die ihre Laufbahn 1985 begonnen hat! Der talentierte Nachwuchs ist da, bloß die Trainer arbeiten längst im Ausland."
Und das gilt nicht nur für die Rhythmische Gymnastik – frühere bulgarische Hochleistungssportler machen heutzutage eine erfolgreiche Karriere als Trainer in Westeuropa und den USA im Volleyball, Turnen, Gewichtheben und gar Fußball. Und belegen damit die traurige Bilanz von Neschka Robewa, der wohl erfolgreichsten Trainerin in Bulgarien.
Die bulgarische Medaillenbilanz aus den Olympischen Spielen ist nicht weniger traurig:
– in Seoul `88 feierte Bulgarien 10 Olympiasieger und lag mit insgesamt 35 Medaillen auf Platz 4.
Adriana Dunawska holte mit Silber hinter Marina Lobatsch (URS) die letzte olympische Eintelmedaille für Bulgarien...
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Maria Petrowa, Maria Gigowa, Lilia Ignatowa - sportliche Stars Bulgariens und der Welt aus vergangener Zeiten (c) Tom Theobald
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- in Peking, 20 Jahre später, gab es nur 5 Medaillen - in allen Sportarten.
Manch einer würde sagen, von einem kleinen und krisengeschüttelten Land, wie Bulgarien, ist mehr auch nicht zu erwarten.
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Lilly Ignatowa zu aktiven Zeiten
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Dagegen wehrt sich Lilly Ignatowa, die wäre die Rhythmische Gymnastik zu ihrer aktiven Zeit olympisch, mit Sicherheit auch Olympiasiegerin geworden wäre:
"Wir haben in vielen Sportarten Traditionen und Erfolge.
Dass der Leistungssport heute in der Krise steckt, kann nicht damit erklärt werden, dass Bulgarien ein keines Land ist und das Potential nicht hätte. Es wäre zu einfach. Bulgarien muss nicht weltführend sein, obwohl wir in Seoul viertstärkste Nation waren, aber es gibt durchaus Sportarten, wo wir zur Weltspitze gehören können.
Das Chaos, in dem wir leben, wirkt sich unweigerlich auch auf den Sport aus.
Der Grund ist also nicht im Generationswechsel zu suchen, denn talentierte Kinder gab es und wird es immer geben.
Die Trainer und Sportmanager sind nicht da."
Im Sozialismus gab es auch keine Sportmanager. Oder man nannte sie zumindest anders. Und trotzdem hoben Neschka Robewa und ihre Goldmädchen die "bulgarische Schule" in der rhythmischen Sportgymnastik aus der Taufe.
"Wir haben damals vieles anders gemacht.
Wir schufen ein System. Und noch etwas – wir ließen dem kreativen Schaffen freien Lauf. Ich vermochte es, das Reglement in den Tanz einzupacken. Unsere Mädchen tanzten und brachten das rüber, was sie ausdrücken wollten. Der Tanz ist eine Sprache für sich, er kennt keine Sprachbarrieren. Und noch etwas – unsere Mädchen tanzten fehlerlos nicht nur, weil sie hart trainiert hatten, sondern weil sie sich ständig weiterbildeten.
Der Intellekt macht den großen Sportler aus. Dann tritt man mit einer Leichtigkeit auf, die Zuschauer und Richter fasziniert. Es war also nichts besonderes – wir waren bloß die richtigen Leute am richtigen Platz zur richtigen Zeit."
Autorin: Vessela Vladkova
* Mit freundlicher Genehmigung von Radio BULGARIEN
* Simona PEITSCHEWA (Covergirl, Foto ganz oben)
... dreifache Europameisterin und zweimalige Vize-Weltmeisterin (2001) ist Ende Mai 2009, im Alter von 24 Jahren, Mutter eines Babys, ihres Sohnes Aleksey, geworden. Der glückliche Vater heißt Goran PETROW.