Birgit GUHR, TuG Leipzig |
Man findet sie noch, vereinzelt und inzwischen vorwiegend im ehrenamtlichen Ruhestand: die hochqualifizierten Spitzensporttrainer mit akademischer Ausbildung. So auch die Diplomsportlehrerin und -Trainerin Birgit GUHR, die in diesen Tagen ihren 70. Geburtstag feierte. Von 1973 bis 1977 hatte sie an der legendären Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) Leipzig das Spezialfach GYMNASTIK belegt und wurde dort zur hochspezialisierten Trainerin ausgebildet. An diesem Wochenende wurde sie auch als eine der Ehrengäste beim 40. Jubiläum des Bundesstützpunktes Fellbach-Schmiden geehrt, bestimmte sie doch gleich nach der Wende von 1991 an als Bundestrainerin, zwischen 2006 bis 2008 als Teamchefin die Rhythmische Sportgymnastik und bis 2018 als sächsische Landestrainerin die Szenerie dieser ästhetischen Disziplin im Lande, auch unter den politisch und gesellschaftlich nun völlig anderen Bedingungen als zu vor ...
Als Nutznießerin des hohen und weltweit anerkannten Standes der Sportwissenschaften war sie, wie alle Absolventen der DHfK Leipzig, bestmöglichst auf die leistungsorientierte Ausbildung im dafür strukturierten Pyramiden-Fördersystem des DDR-Sports ausgebildet.
Gleich nach Studienabschluss von 1977 an übernahm sie als Cheftrainerin des berühmten Sportclubs Leipzig (SCL) die Verantworung u. a. für die damals besten Gymnastinnen im Lande, wie Sunhild Krause (2x WM-Finalistin 1985 in Valladolid), für Cornelia Kunze, die zur EM 1988 in Helsinki 5x unter den besten 7 Gymnastinnen war, wie auch später Daria Stolbin als Deutsche Meisterin WM-Teilnehmerin 2007 (Patras) oder Luisa Mehwitz als Deutsche Gerätemeisterin.
Herausragend ist BIrgit Guhr's Rolle als internationale Kampfrichterin mit unzähligen Einsätzen bei Europa- und Weltmeisterschaften, über 9 Olympiazyklen hinweg: Nachdem sie bereits vor 51 Jahren (1973) ihr nationales Brevet bestand, absolvierte sie 1984 in Wien ihren ersten Internationalen Kampfrichterinnen-Kurs mit dem erfolgreichen Abschluss des Brevets III. Weitere erfolgreiche Qualifizierungen folgten: 1998 mit Brevet II und ab 2000 agierte sie bis 2018 im Kampfrichter-Pool des Weltverbandes (FIG) mit der höchsten Kari-Stufe des Brevet I !
Birgit GUHR (li.) mit Egle Abruzzini (damalige TK-Präsidentin der FIG)
und der Schweizer Kampfrichterin Gilberte Gianadda (re.) bei den OLympischen Spielen 2008 in Peking.
(c) gymmedia/privat
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So nüchtern diese Stufen auch klingen, sie erforderten stets höchstes Wissen, leidenschaftliches Engagement und auch absolut integeres Verhalten und Agieren in einer konkurrierenden Welt auch stark differenzierter Ansichten und abweichender Standpunkte!
Zu Recht wurde Birgit Guhr für ihre aufwändige, professionelle und makellose internationale Kampfrichter-Tätigkeit nach 9 Olympiazyklen (!!) vom Weltturnverband mit der Auszeichnung "Honory of Judge" bereits 2017 geehrt, agierte sie doch zwischen 1985 und 2015 bei 15 (!) Weltmeisterschaften als hochqualifizierte Jurorin.
Auch der Europäischen Turnverband (früher UEG, jetzt "European Gymnastics") würdigte 2021 mit dieser höchsten EG-Auszeichnung ihre verantwortungsvolle Tätigkeit, die sie ab 1984 in Wien bis zuletzt 2016 in Holon / ISR bei 22 (!!) der insgesamt 28 Europäischen Titelkämpfen mit höchstem Einsatz ausübte!
(Unverständlicher Weise, ganz im Gegensatz zu anderen Sportarten hierzulande, war dies dem Deutschen Turner-Bund kaum eine Ewähnung wert.)
Ende 2008 erfuhr die Leipziger Landestrainerin Birgit Guhr mit einem einfachen, lakonischen Telefonanruf, dass ihr Vertrag als Deutsche RSG-Team-Chefin per 31. Dezember verliert, da man mit neuer "neuer Prioritätensetzung" den Schwerpunkt aus Erfolgsgründen stärker auf die Gymnastik-Gruppen legen wolle ... ein auch noch heute als unverantwortlicher Personalabbau zu charakterisierender Vorgang, der schließlich Kompetenzabbau zur Folge hatte!
Und so wandte sich die Trainerin wieder vorwiegend ihren Aufgaben als Landestrainerin ihren Schützlingen bei der TuG Leipzig und in Sachsen zu.
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Noch immer zeichnet Birgit Guhr - nun im ehrenamtlichen "Unruhestand" - als oberste deutsche Gymnastik-Kampfrichterin für Aus- und Weiterbildung aller deutschen Jurorinnen verantwortlich, ohne deren qualifizierten Einsatz diese Disziplin in Nachwuchs und Spitze nicht möglich wäre!
Aktuell ist sie - ebenfalls vorwiegend ehrenamtlich, mit der Übersetzung vom Englischen ins Deutsche - des neuen "Code de Pointages", der internationalen Wertungsbesimmungen des Weltturnverbandes für den neuen Olympiazyklus beschäftigt, mit der wegen der speziefischen Fachlichkeit wohl jeder Dolmetscher absolut überfordert wäre.
Wiedersehen mit dem damaligen DTB-Pressechef Wolfgang Staiger |
So es tat gut, am Wochenende auch bei den Feierlichkeiten des 40. Geburtstages des Bundesstützpunktes in Schmiden zu hören, dass man das bisherige Lebenswerk dieser Sportpädagogin, Sportwissenschaftlerin, Trainerin und Kampfrichterin Birgt Guhr in einer der komplexesten Sportarten nicht vergessen hat und wohl zu schätzen weiß, wie auch das freudige Wiedersehen zwischen den vielen ehemaligen und heutigen Exponenten der Rhythmischen Gymnastik erst den Wert des Sports so richtig rund machen ...!
(c) gymmedia / Eckhard W. Herholz
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