27. September 2003
Budapest/Ungarn
Rhythmische Gymnastik
26. RSG-WM: Alina Kabajewa ist Weltmeisterin 2003
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Die Medaillengewinner im Mehrkampf: Kabaeva, Bessonova, Tchachina
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Nach einem spannenden Zweikampf gewann Alina Kabaeva (RUS / 106,475) den WM-Mehrkampftitel vor Anna Bessonova (UKR / 106,150). Dritte wurde Irina Tschaschtschina (RUS / 105,775). Bessonova hatte zum Auftakt in ihrer Ballübung einen Gerätverlust, zeigte dann jedoch einen unvergleichlichen, vom Publikum euphorisch gefeierten Wettkampf.
Kabajewa, die bereits Weltmeisterin 1999 war, ist damit die erfolgreichste Teilnehmerin dieser WM. Sie hatte bereits die Titel mit Ball und Band gewonnen.
Lisa Ingildeeva (GER) belegte bei ihrem WM-Debüt einen ausgezeichneten 12. Platz. Die Titelverteidigern Tamara Yerofeeva aus der Ukraine wurde 14.
Sie war der umjubelte Star des Abends: Anna Bessonova
Der WM-Mehrkampf
Das Ergebnis war nicht unumstritten - für das Publikum jedenfalls hieß die Weltmeisterin Anna Bessonowa, die nur mit ihrem Ballverlust ein Handhabe für den zweiten Platz gegeben hatte, zumal Alina Kabajewa keinesfalls ganz fehlerfrei blieb. Der Zweikampf, der sich zwischen Kabajewa und Bessonowa entspann, hatte Klasse und spricht für die unerhörte Nervenstärke und Professionalität beider Gymnastinnen.
Die folgenden Bessonowa-Sprechchöre erinnerten schon an wenig an jene Europameisterschaften in Saragossa, als man damals Elena Witritschenko benachteiligt sah...
Es ist seit damals viel unternommen worden, um objektiver zu bewerten. Das mag in vielerlei Hinsicht auch gelungen sein. Herausgekommen aber ist nun eine Nicht-Erklärbarkeit der Bewertungen, die genausowenig förderlich für die Sportart ist. Das hat der heutige Abend wie die gesamte WM gezeigt.
Der Zweikampf um Gold - Spannung pur
Aufregender konnte der Endspurt zum Finale gar nicht beginnen: Die Top-Favoritin Anna Bessonova als letzte Starterin der A-Gruppe zelebrierte eine wunderschöne Ballübung, sie spielte mit dem Ball, drehte Drehungen, um die sie jeder Tänzer beneiden wird, es stimmt jedes noch so kleine Detail – und dann rollt ihr der Ball bei der letzten Pose davon... Eine Weile war es ganz still in der Halle mit den über 4.000 Zuschauern...Wenigstens blieb er auf dem Teppich, und die Wertung auch: 26,025. Damit könnte sie noch an Kabajewa dranbleiben.
Zweiter Durchgang: Anna Bessonowa mit ihrer neuen Keulenübung, voller Power, Tempo und Risiko – diese junge Frau ist unglaublich: turnte die Übung auf den Punkt, wirkte jederzeit souverän, und war technisch dem gesamten Feld überlegen: Aber die Kampfrichterinnen ließen sie noch nicht an Alina Kabajewa vorbei: 26,600.
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Stille, aber hochklassige Dritte: Irina Tchachina
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Es war ein unglaublich spannender Zweikampf:
Auf die Keulenübung von Kabajewa antwortete Bessonova mit einem Band-Feuerwerk, das es in sich hatte, ebenfalls ohne Fehl und Tadel – doch die Kampfrichter sahen sie weiter hinter Kabajewa...
Alina Kabajewa hätte mit dem Reifen beginnen müssen; nicht gerade ihr Lieblingsgerät. Aber sie kämpfte mit „Carmen“ und sich gut durch die Übung, wenn auch mit kleinen Fehlern und Unsauberkeiten – ihr Publikumskontakt blieb unübertroffen!
Zwar war ihr Ball leuchtend gelb, aber das Gelbe vom Ei war ihr Vortrag nicht: mehrere Drehungen waren nicht ganz zu Ende gebracht, einige „Rettungsaktionen“, um ihn zu fangen; das war kein homogener, wenn auch ein sehr schwieriger, Vortrag.
Kabajewa ist wettkampferfahren und routiniert: Sie zeigte keine Nerven, sondern eine sehr gelungen Keulenübung mit einigen „Kabajewa-Elementen“, auf den Punkt, ohne Wackler! - Und setzte mit dem Band noch eins drauf, zeigte eine wirklich souveräne Übung - sie ist ja schon Weltmeisterin mit diesem Geraet!
Schliesslich stand als letzte Übung dieser Einzel-WM noch die "Schwanensee"-Reifenübung von Anna Bessonova aus: Und sie zeigte sie in Perfektion, getragen vom Publikum, das sie danach minutenlang feierte...
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Elisabeth Paisiewa (BUL) wurde 5.
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Fast ein wenig im Schatten dieses Zweikampfs agierten die anderen Gymnastinnen dieser Gruppe: Irina Tschaschtschina, die sich mit einem sehr guten Wettkampf fast still auf den Bronzerang turnte und für ihre Keulenübung die zweite 27er-Wertung des Abends bekam (die andere Bessonova mit Reifen).
Inna Shukowa, einmal mehr auf dem undankbaren vierten Rang mit einem ausgeglichenem Wettkampf. Ihre wohl schönste Übung war die mit dem Ball, nicht umsonst hatte sie hier in Budapest schon die bronzene WM-Medaille dafür bekommen. Doch auch sie zeigte Nerven und musste den Ball einmal loslassen; ein kleinerer Fehler, doch ungewohnt für sie mit diesem Handgerät.
Elisabeth Paisiewa, hatte leider ihre pointierte, publikumswirksame Bandübung verpatzt. In Erinnerung bleibt ihr Reifen-Vortrag mit einer aufregenden Passage, in der sie nach zwei Überschlägen den vorher abgeworfenen Reifen mit dem Körper am Boden fing.
Insgesamt waren im heutigen Finale der 30 Besten folgende Länder mit zwei Gymnastinnen vertreten:
POL, ITA, ISR,CHN, ESP, UKR, GRE, BUL, RUS, BLR.
Die B-Gruppe ist eigentlich nicht der richtige Startplatz der Tamara Yerofeeva, der Titelverteidigerin!
Sie war aber nicht fehlerfrei geblieben in der Qualifikation, wurde jedoch im Vergleich zu anderen Gymnastinnen allzu hart bestraft. Sie begann verhalten mit dem Band, ein wenig auf Sicherheit bedacht. Für ihre Reifenübung hatte sie für die WM ihre einstige „Terminator“-Begleitmusik wieder aktiviert; damit hatte sie in den Arenen der Welt viel Furore gemacht. Sie zeigte sie perfekt – und bekam doch nur 22,400 Punkte - für offensichtlich zu wenige der geforderten Schwierigkeiten; aber wenn man theoretische Erklärungen braucht, warum man eine Übung nicht toll finden soll, ist 'was faul am Reglement...
Einen stimmungsvoller Abschluss ihres WM-Auftritts war ihre Übung mit Keulen, getragen vom Beifall des Publikums, das eine der größten Gymnastinnen der letzten Jahre feierte. Sie bekam ganze 21,525 Punkte...
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Almudena Cid - eleganteste Gymnastin der WM
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Erste große Jubeleinlage des Publikums: Almudena Cid Tostadomit den Keulen. Und nach ihrer abschließenden Ballübung wurde sie gebührend gefeiert – sie hat aber auch eine Ausstrahlung, der niemand widerstehen konnte! Das Publikum erboste sich ziemlich deutlich über die relativ niedrige Wertung (21,350), nachdem es schon nach Yerofeevas Auftritten Unmut gezeigt hatte.
Die andere Spanierin, Wirbelwind Jennifer Colino, zwirbelte mit unschlagbarem Temperament durch alle vier Übungen und hatte mit Keulen und Reifen ihre besten Auftritte. Nach ihrem letzten Vortrag flogen so viele – und große – Kuscheltiere, dass die kleine Jennifer schwer zu tun hatte, sie alle zu transportieren...
Überraschend auch die gerockte Ballübung der Chinesin Ling Zhong – so etwas hatte man nicht unbedingt aus China und auch nicht mit dem Handgerät Ball erwartet... durchaus gelungen und vom Publikum gut aufgenommen.
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Toller WM-Einstand: Lisa Ingildeeva
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Bravo Lisa!
Lisa Ingildeeva aus Schmiden begann mit dem Ball sehr gut, ein kleinerer Abpraller, aber beherzt weitergeturnt. Mit den Keulen wunderschöne Drehungen und Beifall auf offener Szene, ein kleiner Verlust, der sie aber nicht aus dem Konzept brachte; sie brachte die Übung gewohnt exakt und mit Ausstrahlung zu Ende. Kompliment – wie schnell hat die 14jährige gelernt, mit Anspannung und großer Kulisse umzugehen! Man darf nicht vergessen, dass sie erst seit diesem Jahr dabei ist – im Vorjahr war sie noch Juniorin....
Ein Bandverlust - wieder gut überbrückt - brachte ihr die bis dahin niedrigste Wertung, weil ihr das damit verbundene Schwierigkeitselement aus der Wertung fiel; trotzdem – eine schöne Übung, wieder mit vielen Mehrfachdrehungen. Es würde nicht verwundern, wenn es bald „Ingildeeva-Drehungen“ geben würde...
Der Reifen ist ihr Spitzengerät – sie war die Elftbeste damit in der Qualifikation! Diesmal musste sie dem goldenen Reifen ein wenig hinterher laufen, fing ihn zwar noch rechtzeitig ein, aber das kostete natürlich ein paar Zehntel. Und wieder brachte sie die Übung couragiert zu Ende. – Sie hat einen Klasse-Wettkampf gezeigt und sich sehr nachdrücklich bei dieser WM empfohlen; sie gehört schon jetzt zu den besten 20 der Welt, und das bei ihrer WM-Premiere, und das mit 14 Jahren...!
Zu diesem Zeitpunkt war Lisa schon mindestens 12. dieses Mehrkampffinals!
"Ich bin bis auf ein paar Kleinigkeiten mit mir zufrieden", so Lisa. "Ich war sehr aufgeregt, mir haben richtig die Beine vorher gezittert - aber nun bin ich froh, denn es war mein erster ganz großer Wettkampf." Das kann sie wirklich sein - was für ein WM-Einstand'
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Interessierter Beobachter: Ex-Ringestar Juri Chechi (ITA)
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WM-Splitter
Viele bekannte einstige Aktive sichtet man im WM-Trubel - und durchaus nicht nur Gymnastinnen. Auch gestandene Turner wie Igor Korobtschinski, jetzt in Diensten des ukrainischen Verbandes, oder Juri Chechi, der mit dem italienischen Verband in Budapest weilt. Auch der langjährige Vorsitzende des TK Männer der FIG, Karl-Heinz Zschocke (GER), ist vor Ort.
Prominente Gymnastinnen in der Sportarena sind u.a. auch Maria Gigowa (BUL), Larissa Lukjanenko (BLR), Irina Derjugina (UKR) und die Österreicherin Birgit Schielin.
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I M P R E S S I O N E N (1) unseres Fotografen
Dirk Zimmermann Aus Budapest berichteten Sonja Schmeisser (Text) und Dirk Zimmermann (Fotos).