* DOSB --: In diesen Tagen finden in Tokio die Weltmeisterschaften im Klettern statt. Die deutschen Athleten sind überraschend erfolgreich; einer von ihnen (- Alexander MEGOS, - siehe unten) hat sich gar direkt für den olympischen Kombinations-Wettbewerb bei den Spielen 2020 am selben Ort qualifiziert – erstmals ist diese Sportart dann bei dem Weltfest des Sports dabei. In wenigen Wochen werden in Stuttgart die Weltmeisterschaften im Turnen stattfinden – eine der Kernsportarten, die seit den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit zum Programm gehören. Klettern und Kunstturnen faszinieren die Zuschauer durch Athletik und Artistik, Kühnheit und Körperbeherrschung. Highlights der Spiele 2020.
* ... weiter schreibt der Autor, Prof. Dr. Hans-Jürgen SCHULKE:
Organisationsgeschichtlich verbindet beide Sportarten vielerlei, es ist die Erzählung von Bergfesten und Bergsteigen, Passion und Politik, Selbstorganisation und Solidarität, Naturerlebnis und natürlichem Leben, Wandern und Wundern. Sie beginnt um die Mitte des 19. Jahrhunderts und feiert ein doppeltes Jubiläum.
* Der >> Deutsche Alpenverein (DAV) blickt auf 150 Jahre Bestehen und hat fast 1,3 Millionen Mitglieder;
* die >> Turnbewegung feiert seit 175 Jahren ihre Bergturnfeste und zählt 5 Millionen Mitglieder.
Letztere haben ihre Wurzeln bis hin zum Turnplatz in der Hasenheide im Jahre 1811, den der junge Hilfslehrer Friedrich Ludwig Jahn – später als „Turnvater“ gehuldigt – errichtete. Von dort wurden Wanderungen und Fahrten in die Natur unternommen, nicht zuletzt um das große Ganze der deutschen Lande den Bewohnern der zahlreichen Kleinstaaten bewusst zu machen. Auch um Politik ging es, denn 1814 fand auf dem hessischen Feldberg (er gehörte drei Staaten) mit einer Rede von Ernst Moritz Arndt und Begeisterung des Dichters Freiligrath eine Feier zum Gedenken an den Sieg der Völkerschlacht statt, von dem ein Freudenfeuer weit ins Land kündete. Und Sehnsucht nach einer demokratischen Nation.
♦ Turnerische Fest in besonders schöner Landschaft
Erst nach Ende der Turnsperre durch Metternichs Restauration konnte 1844 ein Bergturnfest auf dem Feldberg stattfinden, das umliegende Vereine auf dem Hochplateau „open-air“ organisierten. Unter ihnen als Vorsitzende der Radikaldemokrat Ravenstein und der Revolutionär Schärttner. Doch es war mehr Lebensgefühl als Politik: „Abseits des hastenden Alltags und fern der oft aufputschenden Massenveranstaltungen und des Schaubetriebes sind sie wettkampfbetonte Feste volkstümlicher Art der turnerischen Gemeinschaft an landschaftlich besonders schönen oder geschichtlich bedeutsamen Stätten der Heimat“, so charakterisierte sie der Turnorganisator Beck 1968. Sie bieten traditionelle Wurf- und Laufwettbewerbe wie neuerdings Orientierungslaufen und Geo-caching, Neues wie Bewährtes findet einen originellen Rahmen. Noch heute sind es rund hundert ihrer Zahl, die in Deutschland, Österreich und der Schweiz stattfinden.
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Bereits jetzt wird in Freyburg / Unstrut, Jahns Verbannungsort bis zu seinem Lebensende 1852, am Fuß der Neuenburg das hundertste Turnfest mit Gerätübungen, Spielen und Läufen im Freien vorbereitet – im August diesen Jahres waren es 1.200 Aktive. Dann soll auch das neue Jahn-Museum im Bau sein.
* Jahnturnfest Freyburg 2019: Turnen & Laufen -
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Der DAV entsteht 1859 zunächst mit ehrgeizigen jungen Alpinisten, die Mut und Muskeln an Berggipfeln erproben wollen. Es entstehen Seilschaften, die ein Leben lang halten. Bald werden sie ergänzt durch die aus grauer Städte Mauern und mehr Freizeit erwachsene Wanderslust – der Tourismus in die Natur begann und gewann rasch Menschen und Mentalität.
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Auf Berggipfeln über den Dingen zu stehen, ein Gefühl von Freiheit zu erfahren, das Große und Mächtige der Natur zu empfinden, die weithin sichtbare Landschaft als Einheit zu betrachten, verlieh dem Wandern in einem uneinheitlichen Land auch politische Symbolik. Einheit geht am besten in Vereinen. Volkstümlichkeit und Naturerlebnis bergen politische Gefahren. Bleiben sie romantische Empfindung, ist ihre unbewusste oder gewollte Vereinnahmung durch Militär oder Politik nicht fern. Turner wie Alpinisten haben das insbesondere in der NS-Zeit erfahren, teils auch mitgestaltet. Der sich ausbreitende Antisemitismus, aber auch „arischer“ Körperkult sind dunkle Kapitel ihrer Geschichte.
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Vereinsleben erschöpft sich nicht in Empfindungen.
Es drängt zu Taten und Selbsthilfe. Turner wie Alpinisten bauten auf Bergen Hütten und Häuser, die Schutz und Schlaf boten, zum Teil auch Speisen – der DAV verweist auf über 320 solcher Unterkünfte. Und er schützt früh die Natur und sieht darin gerade heute eine seiner wichtigsten Aufgaben – den winterlichen Skitourismus begleitet er mit großer Skepsis. Auch dort trifft er auf die Turner, die nicht nur den Gesundheitssport im letzten Jahrzehnt erfolgreich forciert haben, sondern den „Verein als gesunden Lebensort“ sehen wollen.
In wachsenden Metropolen und wechselnden Arbeitszeiten ist es nicht leicht, Berge und Bewegung zu besuchen. Insbesondere Turnvereine haben folgerichtig Tausende von vereinseigenen Fitnessstudios – im Kern gut bedachte Turnplätze nach dem Vorbild von Jahn – gebaut.
Der DAV betreibt mittlerweile über 200 gut besuchte Kletterhallen, die wesentlich zum Überschreiten der Million Mitglieder beigetragen haben. Beides sind Beispiele für Ideenreichtum und Anpassungsfähigkeit der Sportvereine an neue Bedürfnisse der Menschen in veränderten Umwelten.
Der Deutsche Turnerbund (DTB) hat sich darauf besonnen und mit Parcour eine läuferische Ergänzung zum Bouldern in den Kletterhallen aufgenommen. Die wird mittlerweile mit „Ninja Warrior“ als Fernsehshow vor großem Publikum gesendet. Wenn im Sommer kommenden Jahres Kletterer und Kunstturner um Medaillen kämpfen, werden sie darauf gut vorbereitet sein. Lange genug haben sie geübt.
* Quelle: DOSB 34/2019;
* Autor: Professor Hans-Jürgen Schulke
♦ Klettern ist zum urbanen Sport geworden
Auf Leistungssportebene ist für viele Sportler Olympia das große Ziel. Auch Deutschlands Kletterer haben bei der Weltmeisterschaften in Japan neben Medaillen auch erfolgreich um die Qualifikation für Tokio 2020 gekämpft.
<< Alexander Megos löste das Ticket für den Olympic Combined Wettbewerb gleich beim ersten Versuch im Dreikampf aus Lead (klassisches Schwierigkeitsklettern mit Sicherung), Bouldern (dem ungesicherten Klettern in Absprunghöhe) und Speed (dabei wird eine Route in möglichst kurzer Zeit eine Route geklettert)
!! Am Mittwoch, dem 21.08.2019, greift der deutsche Kletterer Alexander Megos nun nach dem WM Titel im Wettbewerb Olympic Combined. (* .. >> mehr dazu)
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Klettern ist in!
Aber die leistungssportliche Variante hat auch ihre prominenten Kritiker. Klettern bei Olympia ist beispielsweise für den Bergsteiger-Guru Reinhold Messner eher lächerlich. „Das findet an einer Plastikwand statt, mit Plastikgriffen, und was, bitte schön, soll das? Jeder Affe ist schneller", lästerte der Südtiroler vor zwei Jahren in einem Zeitungsinterview. Später klang Messner gemässigter. Der traditionelle Alpinismus nehme ab, weil die Kletterer alle in die Halle gehen würden, sagte er. 90 Prozent der heutigen Kletterer würden nur in der Halle klettern. Und er unterstrich die Bedeutung des Indoor-Kletterns im WM- und Olympia-Gastgeberland Japan. Alleine in Tokio gebe es 800 Kletterhallen.
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Für die breite Masse, neudeutsch Community, ist Klettern mittlerweile zum urbanen Sport geworden, die Kletterhallen avancieren zu Fitnesscentern. Das Training für den Fels dagegen ist zum Relikt der Vergangenheit geworden. Unter diesen Voraussetzungen sieht Grégoire De Belmont vom Hallenbetreiber Arkose ein enormes Potenzial für diesen Sport. „Klettern kann das neue Surfen werden“, sagt er. Also sei es ist nicht nur ein Sport, sondern nach seiner Meinung eine Philosophie, die nicht zuletzt mit der Bekleidung zum Ausdruck gebracht werde.
Arkose hat innerhalb von sechs Jahren 14 Kletter- und Boulderhallen samt Bistrobetrieb, Bier und Bekleidung etabliert. „Wir können in der Stadt klettern, das ist einzigartig“, sagt er. Das 2013 gegründete Unternehmen habe die neue Generation von Kletterern verstanden. Wichtig seien freundliche Hallen, ein sicherer Sport, danach Geselligkeit beim Bier, dazu die passende Bekleidung und Rucksäcke, passend zum urbanen Lifestyle.
Andere Hallenbetreiber und Ausrüster-Marken hinken noch hinterher und lassen Märkte brach liegen. Für die neue Community in den Städten gibt es auch keine Idole in der Profiszene mehr. Früher setzten Kletterer wie Stefan Glowacz, Jerry Moffat oder Gerhard Hörhager Maßstäbe und promoteten die Klettermarken. Heutzutage interessiert kaum jemanden, was ein bekannter Sportkletterer wie Chris Sharna trägt. Stattdessen orientieren sich die Kletterer von heute an Influencern aus der Sport-, Yoga- oder der Wellnessszene.
* Quelle: DOSB-Presse 34/2019
* Autor: Max Adler