04. August 2008
Cottbus
Gerätturnen
ZIESMER-Interview: ... kurz vor der Abreise
GYMmedia-INTERVIEW mit Ronny Ziesmer
- in Kooperation mit "BUNTE-Online":
__________________________________________ ?? - Was erwarten Sie sich von China/Peking? Auf was freuen Sie sich, auf was sind Sie neugierig?
* Ronny ZIESMER: -- Dass ich nach meinem Unfall kurz vor den Olympischen Spielen 2004 in Athen nun doch noch das ‚Erlebnis Olympia' haben werde, ist das eine Erfreuliche.
Noch wesentlicher aber ist die Tatsache, dass ich nicht nur als passiver Betrachter vor Ort sein werde, sondern als Co-Kommentator des ZDF.
Das gibt mir das gute Gefühl, gebraucht zu werden und dafür bin ich der ZDF-Crew unendlich dankbar!
?? - Welche Wettbewerbe liegen Ihnen besonders am Herzen bei Olympia?
Ronny ZIESMER: -- Erstrangig konzentriere ich mich auf die Kunstturnwettbewerbe. Das verlangt mein Job. Natürlich habe ich darüber hinaus an allem Interesse, was in China passiert, was die Deutschen insgesamt machen und dann genieße ich einfach „Olympisches Flair!“
?? - Wie nah werden Sie am deutschen Team dran sein? Mit wem sind Sie befreundet? Wie werden Ihre Tage dort aussehen?
Ronny ZIESMER: -- So nah es die Akkreditierungsbestimmungen zulassen. Der Turn-Weltverband F.I.G. will aber auch dafür sorgen, dass ich mal „Shake hands“ mit mienen früheren Kameraden vom Turn-Team Deutschland machen kann. Ich denke, das ergibt sich…!
?? - Wie bereiten Sie sich auf Ihre Aufgabe als Kommentator vor? Was wollen Sie anders machen als die „Laien“-Moderatoren?
Ronny ZIESMER: -- Mein Medien-Berater Eckhard Herholz begleitet mich. Der war ja selbst TV-Olympia-Kommentator früher beim „DFF“ der DDR, z.B. in Seoul 1988 und 1992 in Barcelona für’s ZDF. Mit seinem Fachwissen arbeitet er mir zu und seine Erfahrungen von 6 Olympischen Spielen sollten mich schon pünktlich zur rechten Zeit am rechten Reporter-Mikrofon sein lassen. Wenn man selbst geturnt hat, kann man Zuschauern viel besser die versteckten Schwierigkeiten erklären oder die Abweichungen von der Ideallinei, was für die Bewertung nicht unbedeutend ist. Da will ich mit ZDF-Reporter Christoph Hamm einfach gut harmonieren.
|
Hambüchen & Ziesmer: - zwei der '100 Köpfe von morgen' der Aktion 'DEUTSCHLAND - Land der Ideen' im Fußball-WM-jahr 2006
|
?? - Wie wertvoll/problematisch ist eine Gallionsfigur wie Fabian Hambüchen für das Turner-Team in Peking? Einer der Leistung bringt, aber auch alle Aufmerksamkeit auf sich zieht?
Ronny ZIESMER: -- Fabian Hambüchens Leistungen, sein Charakter, seine Gesamtpersönlichkeit sind ein Glücksfall, nicht nur für das Turnen, sondern für den gesamten Sport. Durch ihn begreifen immer mehr Menschen, dass das Turnen an Geräten nicht nur eine Spitzensportvariante ist, sondern tausenden Kindern die Möglichkeit bietet, etwas Sinnvolles gegen Bewegungsarmut und den Rückgang motorischer Fähigkeiten und Fertigkeiten zu tun. Alle schauen immer auf die gestylten Bodies in der Werbung: Schauen Sie sich doch `mal den Körper eines Turners an – etwas Ausgewogeneres und Ästhetischeres bietet doch kaum eine andere Disziplin, eben, weil das Turnen an den Geräten so vielfältig und komplex ist.
Somit hat Hambüchen im Lande eine wahrhaftige Kinderturnbewegung in Gang gesetzt. Eltern tun gut daran, ihre Sprösslinge wieder an die Geräte zu schicken! Das Verteufeln des Turnens als Schinderei oder Quälerei ist doch von gestern. Es gibt entweder nur gute oder schlechte Turnpädagogen, und das, was man da unlängst aus China bezüglich des Umganges mit Kindern sah, hat mit Turntraining hierzulande absolut nicht zu tun! Auch und erst recht für Kinder müssen die Menschenrechte gelten!
?? - - Sie sind bei der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Athen schwer verunglückt – wie schaffen Sie es, jetzt als Kommentator dabei zu sein, wo sie sich Ihren Traum, aktiv bei Olympia teilzunehmen, nie verwirklichen konnten?
Ronny ZIESMER: -- Ich verdanke meinen 18 Jahren im Nachwuchs- und Hochleistungssport unendlich viel. Durch diese Zeit habe ich das Kämpfen gelernt, das akribische Arbeiten auch an kleinsten, täglichen und längerfristigen Zielen. Ohne diesen phantastischen, komplexen Sport würde ich meinen jetzigen Alltag als Gehandicapter kaum bewältigen können. Somit fühle ich eine große Dankbarkeit und Nähe zum Kunstturnen und begleite die Entwicklung dieser ältesten olympischen Disziplin gern auch am Reportermikrofon weiter.
?? - Wie ist es ihnen gelungen, nach Ihrem tragischen Unfall so positiv zu bleiben, nicht zu verbittern, Ihre früheren Kollegen anzufeuern… Wie kommt man an der Frage „warum gerade ich“ vorbei?
Ronny ZIESMER: -- Kurz und knapp: Ich bin so, wie ich bin. Ihre letzte Frage bringt ohnehin nicht weiter, die blockiert nur. Was anliegt, muss getan werden. Wichtig sind gestaltbare Gegenwart, veränderbare Zukunft – Geschichte ist „gegessen“!
|
Handbiketraining zur Schaffung eines körperlichen Überpotenzials, und nach Olympia ist in Kienbaum wieder ein aktives Trainingslager geplant...!
|
?? - Sie arbeiten immer noch jeden Tag in einem harten Reha-Programm an sich und ihren Fähigkeiten, wie man liest, wie sieht ein typischer Trainingstag aus? Was sind heute Erfolge für Sie?
Ronny ZIESMER: -- Durch den früheren Berlin-Marathonsieger Errol Marklein und den erfahrenen Paralympics-Sieger Heinrich Köberle ist mir das Handbike-Fahren nahe gebracht worden. Gleich nach Olympia werde ich Ende August wieder in Kienbaum – dort, wo mein Unfall passierte – ein Trainingslager mit Heinrich Köberle mitmachen. Das nutze ich erstrangig, um ein körperliches Überpotenzial für den Alltag zu schaffen. Ob daraus später mal eine Wettkampfform für mich wird, eine Marathon-Teilnahme, mal sehen, das ergibt sich!
?? - Wie selbstständig können Sie leben? Wo brauchen Sie Hilfe?
Ronny ZIESMER: -- Die letzten vier Jahre musste ich ähnlich wie ein Kleinkind vieles neu erlernen, Handlungen des Alltags wieder so hinzubekommen, dass man möglichst ohne Hilfe auskommt. Ganz aber geht das nicht. Ich habe z.B. keine Fingerfunktionen mehr. Stellen Sie sich einfach mal einen Tag in Boxhandschuhen vor, da ahnen Sie, was alles nicht geht!
|
Dr. Andreas Niedeggen operierte und betreute Ronny nach seinem Unfall im Unfallkrankenhaus Berlin
|
?? - - Welche Menschen waren seit dem Unfall am wichtigsten für Sie, wer hat sie wie unterstützt?
Ronny ZIESMER: -- In erster Linie war das das Kompetenzteam des Unfallkrankenhauses Berlin um Dr. Andreas Niedeggen. Unglaublich, was mir da die 10 Monate nach meinem Unfall an Zuwendung und professioneller medizinischer, therapeutischer und mentaler Hilfe zukam. Die haben mich echt wieder lebensfähig gemacht. Dort begriff ich, dass es auch ein erfülltes und glückliches Leben im Rollstuhl geben kann. Und in dem bin ich nun mittendrin! Viel verdanke ich auch dem deutschen Turn-Bundestrainer Andreas Hirsch, seiner Menschlichkeit und aufmerksamen Zuwendung, wie ich überhaupt keine Freunde aus meinen aktiven Leistungssportzeiten verloren habe!
Das ist eben das positive Moment des Sports und macht ihn in den Lebensläufen einzelner und für die Gesellschaft so unendlich wertvoll! Sehr viel verdanke ich meinem Turnclub, dem SC Cottbus. Die sind nicht nur Deutscher Mannschaftsmeister, sondern dort arbeiten und trainieren Menschen, die wie eine Familie zusammenhalten und sich kümmern! Sehr viel hat auch der Sportjournalist Eckhard Herholz als erfahrener Macher getan, der mir als mein Medienberater viel Arbeit abnimmt, mich in Mediendingen und Fragen des Aufbaus meiner Stiftung DSQ-A – „Allianz der Hoffnung“ berät und unterstützt. Seine Agentur GYMmedia INTERNATIONAL (www.gymmedia.de ) ist faktisch in Partnerschaft mein Büro. Dies alles geht erstrangig nur auf der Basis persönlichen Vertrauens.
?? - - Was vermissen Sie am meisten an ihrem früheren Leben? Gibt es womöglich sogar Dinge, die Sie heute mehr genießen/schätzen können als früher, als ihr Tag nur vom Leistungssport bestimmt wurde?
Ronny ZIESMER: -- Für andere da zu sein ist eine Eigenschaft, die wir in unserer Gesellschaft viel mehr hervorheben und pflegen sollten. Das gilt aber nicht nur für Behinderte!
|
... neben dem Job: Zeit für Sightseeing wird schon sein!'
|
?? - - Verbinden Sie den Arbeits-Einsatz auch mit einer Reise durch China?
Ronny ZIESMER: -- Wer ins Reich der Mitte fährt, der will natürlich auch das „volle Programm“ machen. Ich hoffe, es bleibt Zeit für die Chinesische Mauer oder die Verbotene Stadt oder die Ming-Gräber … da ist mein persönliches Pekingteam natürlich voll gefordert: Eckhard Herholz und meine Freundin begleiten mich.
Wichtig ist aber auch, dass ich in in der Olympiastadt eine große Unterstützung von der bekannten „Automarke mit dem Stern“ bekomme: Deren Abteilung Sonderfahrzeuge stellt mir für meine Tätigkeiten in Peking ein behindertengerechtes Fahrzeug zur Verfügung….!
Ich bin überhaupt voll erstaunt, was die alles für Behinderte machen!
?? - -
Thema Tibet: Sollte man als Athlet politisch Stellung nehmen? Was halten Sie von den Eröffnungsfeierboykotten? Ronny ZIESMER: -- Die Menschheit sollte doch auch lernfähig sein: Mit Boykotten im Sport politische Ziele durchzusetzen bringt nix. Das Versagen der Politik kann und darf nicht dem Sport angelastet werden. Wenn es auch keinen unpolitischen Sport gibt – Boykotte im Sport oder bei Olympia sind und bleiben untaugliche Mittel. Ich hoffe und glaube im Umkehrschluss, dass dieses riesige Gebilde China durch die Durchführung dieses Weltereignisses vor allem die Chance nutzt, seine enorme Entwicklung weiter zu beschleunigen, auch wenn längst noch nicht alles so stimmig ist.
*
Das Interview führte Anja DAESCHLER; >> www.bunte.de
* ... wer mehr lesen wiil:
<< Ronny's Pekinger Olympiatagebuch