Vera Ewald feiert 90. Geburtstag |
Nach dem II. Weltkrieg und der Ära der fünffachen Seriensiegerin im Turn-Mehrkampf der Frauen, Charlotte "Charly" Scholz, löste 1954 die damals 22-jährige Vera EWALD die Erfolgslinie der Leipzigerin ab. Mit ihren zwei Nachfolgerinnen auf dem Thron der DDR-Königinnen des Turnmehrkampfes, Ingrid Michaelis (-Föst) und Roselore Stöbe (-Sonntag) gestalte dieses Trio gewissermaßen den Start in eine beispiellose Aufstiegsgeschichte des deutschen Frauenturnens der DDR, das keine zwei Jahrzehnte später die Weltspitze mitbestimmen sollte.
Vera Ewald - damals schon verheiratet mit dem langjährigen "ersten Mann des DDR-Sports", Manfred Ewald, stand zwar auch 1958 in der ersten DDR-WM-Riege in Moskau, die Olympiateilnahme dagegen hatte sie zwei Jahre zuvor verpasst: Sowohl sie, als auch die DDR-Meisterin von 1955 Ingrid Föst, waren schwanger ... und wegen der noch immer verweigerten Anerkennung des DDR Turnverbandes (DTV) durch den Weltverband FIG und ohne ihre beiden Spitzenturnerinnen fanden die DDR-Turnerinnen noch immer keine Berücksichtigung in der deutschen Olympiariege für Melbourne 1956 ...
Die DDR-Nationalmannschaft der Frauen 1954 im Leningrader Winterpalais bei einem Vierländerkampf UdSSR - Ungarn - CSR - DDR.
v. links: Trainer Herbert Hoffmann, Ruth Lange, Vera Ewald, Roselore Stöbe, Margot Leonhardt, Helga Speck, Hannelore Gohlke, Ingrid Michaelis, Gertraud Walther.
* (C) gymmediaarchiv
Vera Ewald, 1954 |
Schon 1952, zur 12. Deutschen Turnmeisterschaft der Frauen - der 4. DDR-Meisterschaft nach dem II. Weltkrieg - hatte die 20-jährige Wernigeroderin als Vera Matschulat, das Medaillenpodest nur um einen halben Zehntelpunkt verpasst, zu einer Zeit, als die Leipzigerin Charlotte Scholz vor der Berlinerin Gertraude Bauch bei ihrem dritten von insgesamt 5 Mehrkampferfolgen noch nicht zu schlagen war.
Nach ihrer Heirat mit Manfred Ewald, dem damaligen Vorsitzenden des Staatlichen DDR-"Kommitees für Körperkultur und Sport", holte Vera unter ihrem neuen Namen 1953 ihren ersten von insgesamt sieben Deutschen Meistertitel der DDR in der Disziplin "Gymnastik", was sie generell als elegante, ästhetische Athletin auswies.
Zur 6. DDR-Turnmeisterschaft 1956 in Plauen - inzwischen nach Berlin zur BSG Nordost gewechselt - wurde Vera Ewald vielumjubelte Turnkönigin im deutschen Osten, knapp +0,4 Zehntelpunkten Vorsprung im Mehrkampf vor einer Ingrid Michaelis, die später als Ingrid Föst (- Lehmann) danach mit 4 Mehrkampferfolgen und insgesamt 22 Meistertiteln jahrzehntelang die nationale Rekord-Meisterliste anführte, bis sie 2021 von Elisabeth Seitz mit deren 23. Meistertitel übertroffen wurde, und bei der ersten WM-Teilnahme einer DDR-Frauenturnriege 1958 in Moskau war Vera Ewald beste deutsche Turnerin auf Rang 18 im Mehrkampf.
Trainerin Vera Ewald mit Turnerin Gretel Schiener |
Gewissermaßen als die "First Lady" des DDR-Sports an der Seite ihres Mannes Manfred, sah man Vera Ewald allerdings selten.
Ihre beeindruckenden Auftritte gestaltete sie aber später eher als engagierte und hochqualifizierte Trainerin, als nationale und internationale Kampfrichterin und überzeugte vor allem mit ihrer Kompetenz alle, die sie kannten und schätzten, als wertvollen, empathischen Menschen!
Wer kann über diese Frau, die heute nun auf 90 Lebensjahre zurückblicken kann, besser Auskunft geben, als eine ebenso von ihrer Sportart Kunstturnen geprägte Person, Birgit Michailoff-Radochla, die nach der Leistungsgeneration des Trios Ewald, Föst und Sonntag die Weltspitze gar mit der ersten Olympiamedaille (Pferdsprung, 1964, Tokio) einer deutschen Turnerin eine erfolgreiche Weltkarriere erlebte.
Zwei anerkannte internationale Berliner Kampfrichterinnen: Sylvia Hlavacek und Vera Ewald
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Zu einer Olympiateilnahme kam es dann doch noch, bei den Spielen der XVIII. Olympiade 1964 in Tokio, eingestzt als internationale Kampfrichterin ..
... und eine ihrer Berliner Schützlinge, Birgit Radochla, holte dort als erste deutsche Turnerin am Sprungpferd mit Silber eine Olympia-Einzelmedaille, belegte im Mehrkampf hinter Olympiasiegerin Vera Caslavska (TCH) und den beiden sowjetischen Turnerinnen Larissa Latynina und Polina Astachowa einen herausragenden 4. Platz, und verpasste am Boden um 1 Tausendstelpunkt (!) ebenso Bronze am Boden, wo übrigens ihre persönliche Trainerin Ewald im Kampfgericht saß ...!
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Birgit Michailoff-Radochla - deren Erfindung als "Radochla-Rolle" weltweit ein Fachterminus geworden ist, blickt heute mit Anerkennung und großer Werschätzung auf ihr damaliges Vorbild, ihre Mitstreiterin und nachfolgend Trainerin und Freundin zurück:
"Neben meinem damaligen Trainer Herbert Hoffmann war Vera meine beste Trainerin. Besonders prägte sie mich in der gymnastischen und Ballett-Ausbildung, weil sie das Training sehr einfühlsam führte, stets Mut machend, positiv denkend, immer freundlich und stets mit einem Lächeln im Gesicht. Niemals ist in meiner Erinnerung je ein 'böses' Wort über ihre Lippen gekommen ...
Ich spürte stets, dass sie in allem, was sie als Trainerin tat, sehr aus ihrer eigenen aktiven und erfolgreichen Laufbahn schöpfte, sie ließ das kreativ stets in unser Training einfließen.
Aber Vera war mir nicht nur die Trainerin , sondern auch eine sehr gute Freundin, stand mir mit Rat und Tat zur Seite, eine Beraterin, eben, die auch mit mütterlichen Ratschlägen zu Fragen und Problemen in allen Belangen des Lebens, die man besonders auch als leistungssportorientierte junge Frau eben so hat ...!
Vera war für mich mit ihrem gesamten Auftreten, im Nehmen, wie im Geben, immer mein großes Vorbild und ist es bis heute auch geblieben.
Sie ist einfach ein großartiger Mensch, eine Kämpferin in allen Lebenslagen - einfach eine Lady, eine Dame ... durch und durch!
Danke, liebe Vera (!)
... und herzliche Glückwünsche zu Deinem stolzen Ehrentag,
Deine Birgit Michailoff-Radochla
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* Der runde Geburtstag in Berlin-Marzahn fand im kleinen aber herzlichen Kreise ihrer beiden Kinder, der freundlichen Hausgemeinschaft und natürlich mit besonderen Gästen aus der gemeinsamen turnerischen und sportlichen Vergangenheit statt: Zu denen gehörte auch das 1964'er Olympia-Trio Birgit Michailoff-Radochla als Medaillengewinnerin, Vera Ewald als internationale Kampfrichterin und Ex-Nationalturnerin Rosemarie Heritz, die in der reinen ostdeutschen Olympiariege Tokio als Ersatz-Turnerin vor Ort miterlebte, und sich zuvor - nach dem Verletzungsausfall von Erika Barth (- verh. Zuchold) mit den Meisterschafts-Mehrkampfplätzen 4 und 6 ins Team gekämpft hatte ...
Geschichte und Geschichten, die der Sport schreibt, Lebenswege bestimmt und Erinnerungen erzeugt, ohne die wohl kaum eine Geburtstagsrunde auskommt ...!
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