16. Oktober 2019  
Stuttgart, GER  
Gerätturnen

Turnvater Jahn zur Stuttgarter Turn-WM

Ob er ihn gemocht hätte, der Turnvater Friedrich Ludwig Jahn, ...diesen WM-Rummel um die Spitzenvertreter seiner Sportart in den Tagen der Turn-WM in der Schleyerhalle in Stuttgart? So wie es müßig ist, zu fragen, wie oder ob alle Ansichten Martin Luthers von damals 1:1 in die heutige Zeit passen würden, so war und ist auch der "Alte im Barte" seit Generationen eine umstrittene "Persönlichkeit der Geschichte"! Und eben das ist das Stichwort: Wie geht man mit Personen der Zeitgeschichte um, deren Akteure sie einst waren, in ihrer Zeit, die nun zu unserer Geschichte geworden ist, jene, die Wahres und Vergängliches, Kritisches und Bleibendes geschaffen haben ...?
Bemerkenswert, dass der Deutsche Turner-Bund in das Rahmenprogramm der 49.Turn-Weltmeisterschaften 2019 in Stuttgart ein "JAHN-Kolloquium" mit dieser Fragestellung aufnahm:

(C) gymmedia / L.Buck


JAHN-SYMPOSIUM, STUTTGART
Zum zeitgenössischen Umgang mit Friedrich Ludwig JAHN
   in der deutschen Turn- und Sportbewegung

  (- von Hansgeorg KLING, langjähriger Präsident der Jahn-Gesellschaft)

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♦ Rundum gelungene Tagung in Stuttgart

Zu einem großen Erfolg gestaltete sich die Tagung, die der Deutsche Turner-Bund (DTB) zusammen mit der Jahn-Gesellschaft Mitte Oktober in Stuttgart durchführte. Rund 40 Interessierte waren dabei. Die Tagungsbedingungen in den Räumen von SpOrt Stuttgart nahe dem Stadion im Neckarpark waren ideal.
<< Die Leitung lag in den Händen von Prof. Dr. Annette Hofmann (Vizepräsidentin des DTB) und Dr. Josef Ulfkotte (Präsident der Jahn-Gesellschaft).
Auch Alfons Hölzl, der Präsident des DTB, gab den Versammelten die Ehre: Er verknüpfte die Diskussion über das „richtige“ Jahn-Bild mit den gleichzeitig in der benachbarten Martin-Schleyer-Halle stattfindenden Weltmeisterschaften im Kunstturnen.
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♦ Jede Zeit umreißt ihr Bild von Jahn
In den elf Vorträgen und der „Podiums“-Diskussion ging es darum, Orientierung zu schaffen angesichts der Tatsache, dass der „Turnvater“ immer wieder Anlass zur Auseinandersetzung gibt und dass jede Zeit ihr Bild von Jahn umriss und umreißt.
Immerhin bekennt sich der DTB in § 1 seiner Satzung klar zu Jahn („pflegt das von Friedrich Ludwig Jahn begründete deutsche Turnen“).
Und immerhin ist die Jahn-Gesellschaft nach § 2 ihrer Satzung auf ein hohes Ziel ausgerichtet: „Die Gesellschaft widmet sich dem Ziel, das Leben und Wirken des Gründers der Turnbewegung in Deutschland, Friedrich Ludwig Jahns, und seines Umfeldes zu erforschen, seine Bedeutung in Geschichte und Gegenwart zu interpretieren, sein Erbe zu bewahren und zu verbreiten.“

Turnen und Sport in der Erinnerungskultur
So war es folgerichtig, dass Prof. Dr. Michael Krüger (Münster) in seinem einleitenden Vortrag „Die Bedeutung von Turnen und Sport in der Erinnerungskultur in Deutschland“ die Richtung vorgab: Angesichts eines „neuen Kontextes“ (gemeint: Populismus und Extremismus in der Bundesrepublik) sei es notwendig, gründlich zu prüfen, mit welchem Leben wir Begriffe wie Vaterland, Muttersprache, Heimat, volkstümlich heute noch mit Leben füllen. Die mit Jahns Wirken engverknüpften Farben Schwarz-Rot-Gold müssten auch jetzt noch als kennzeichnend und richtungweisend gelten, weil sie die „Wahrzeichen“ von Freiheit und Demokratie sind. Das dürfe auch von der „neoliberalen Kritik“ seitens der akademischen Eliten, die für die Abschaffung des Faches Sportgeschichte in der universitären Ausbildung sorgten, nicht weggewischt werden. Schon hier wurde also deutlich, dass sich die Turn- und Sportbewegung reinen Gewissens zu Jahn  bekennen kann. Sein Eintreten für Einheit, Freiheit und Demokratie macht Mut.

♦ Impulse, die bis heute wirken
Mit Rainer Brechtken (Schorndorf), dem langjährigen, verdienstvollen DTB-Präsidenten, ergriff sozusagen ein Pragmatiker das Wort: „Traditionen und kulturelles Erbe im DTB“ bedeuten für ihn ganz konkret das Bekenntnis zu Jahn, weil er das Turnen erfand und weil von der Hasenheide Impulse ausgingen, die bis heute wirken. Da sei naive Heldenverehrung fehl am Platz.

Rainer BRECHTKEN (2016) als DTB-Präsident bei einer Rede vor dem Jahn-Museum in der Jahnstadt Freyburg / Unstrut
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Ein Fehler, ja sogar Arroganz sei es allerdings - so Brechtken -  wenn sich heutige Skeptiker allein aus heutiger Sicht und ohne das Einbeziehen des historischen Kontextes ihr Urteil über Jahn oder über die Verbandspolitik der Deutschen Turnerschaft (DT) bilden. Unumstößlich sei für die Turnbewegung die Aufgabe, das Verstricktsein der DT in den Nationalsozialismus aufzuarbeiten.