Friedrich Ludwig JANH 1778-1852 |
Ob er ihn gemocht hätte, der Turnvater Friedrich Ludwig Jahn, ...diesen WM-Rummel um die Spitzenvertreter seiner Sportart in den Tagen der Turn-WM in der Schleyerhalle in Stuttgart? So wie es müßig ist, zu fragen, wie oder ob alle Ansichten Martin Luthers von damals 1:1 in die heutige Zeit passen würden, so war und ist auch der "Alte im Barte" seit Generationen eine umstrittene "Persönlichkeit der Geschichte"! Und eben das ist das Stichwort: Wie geht man mit Personen der Zeitgeschichte um, deren Akteure sie einst waren, in ihrer Zeit, die nun zu unserer Geschichte geworden ist, jene, die Wahres und Vergängliches, Kritisches und Bleibendes geschaffen haben ...?
Bemerkenswert, dass der Deutsche Turner-Bund in das Rahmenprogramm der 49.Turn-Weltmeisterschaften 2019 in Stuttgart ein "JAHN-Kolloquium" mit dieser Fragestellung aufnahm:
(C) gymmedia / L.Buck
" ... wie geht man heutzutage mit dem Turnvater Jahn um?"
Eine Veranstaltung, die mehr war, als nur das, den Gesetzen der Medien- und Marktechanismen ausgesetzte sportliche Tun der Top-Athleten in den Arenen der Moderne, was kaum noch an die Akteure in Hasenheidekluft des einst als Turnvater bekannten, geliebten und verhassten Vertreter seiner Zeit, erinnert.
Aber welche andere Sportart, als dieses komplexe T U R N E N, im weitläufigen inhaltlichen und philosophischen Sinne, hat solch eine gesellschaftliche Relevanz über Jahrhunderte, eine solch` bemerkenswerte Geschichte, der man unbedingt ihren Platz in den heutigen Zeiten oft flüchtiger Betrachtungsweisen einräumen muss ...
(c) gymmedia / E. Herholz
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JAHN-SYMPOSIUM, STUTTGART
♦ Zum zeitgenössischen Umgang mit Friedrich Ludwig JAHN
in der deutschen Turn- und Sportbewegung
(- von Hansgeorg KLING, langjähriger Präsident der Jahn-Gesellschaft)
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♦ Rundum gelungene Tagung in Stuttgart
Zu einem großen Erfolg gestaltete sich die Tagung, die der Deutsche Turner-Bund (DTB) zusammen mit der Jahn-Gesellschaft Mitte Oktober in Stuttgart durchführte. Rund 40 Interessierte waren dabei. Die Tagungsbedingungen in den Räumen von SpOrt Stuttgart nahe dem Stadion im Neckarpark waren ideal.
<< Die Leitung lag in den Händen von Prof. Dr. Annette Hofmann (Vizepräsidentin des DTB) und Dr. Josef Ulfkotte (Präsident der Jahn-Gesellschaft).
Auch Alfons Hölzl, der Präsident des DTB, gab den Versammelten die Ehre: Er verknüpfte die Diskussion über das „richtige“ Jahn-Bild mit den gleichzeitig in der benachbarten Martin-Schleyer-Halle stattfindenden Weltmeisterschaften im Kunstturnen.
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♦ Jede Zeit umreißt ihr Bild von Jahn
In den elf Vorträgen und der „Podiums“-Diskussion ging es darum, Orientierung zu schaffen angesichts der Tatsache, dass der „Turnvater“ immer wieder Anlass zur Auseinandersetzung gibt und dass jede Zeit ihr Bild von Jahn umriss und umreißt.
Immerhin bekennt sich der DTB in § 1 seiner Satzung klar zu Jahn („pflegt das von Friedrich Ludwig Jahn begründete deutsche Turnen“).
Und immerhin ist die Jahn-Gesellschaft nach § 2 ihrer Satzung auf ein hohes Ziel ausgerichtet: „Die Gesellschaft widmet sich dem Ziel, das Leben und Wirken des Gründers der Turnbewegung in Deutschland, Friedrich Ludwig Jahns, und seines Umfeldes zu erforschen, seine Bedeutung in Geschichte und Gegenwart zu interpretieren, sein Erbe zu bewahren und zu verbreiten.“
♦ Turnen und Sport in der Erinnerungskultur
So war es folgerichtig, dass Prof. Dr. Michael Krüger (Münster) in seinem einleitenden Vortrag „Die Bedeutung von Turnen und Sport in der Erinnerungskultur in Deutschland“ die Richtung vorgab: Angesichts eines „neuen Kontextes“ (gemeint: Populismus und Extremismus in der Bundesrepublik) sei es notwendig, gründlich zu prüfen, mit welchem Leben wir Begriffe wie Vaterland, Muttersprache, Heimat, volkstümlich heute noch mit Leben füllen. Die mit Jahns Wirken engverknüpften Farben Schwarz-Rot-Gold müssten auch jetzt noch als kennzeichnend und richtungweisend gelten, weil sie die „Wahrzeichen“ von Freiheit und Demokratie sind. Das dürfe auch von der „neoliberalen Kritik“ seitens der akademischen Eliten, die für die Abschaffung des Faches Sportgeschichte in der universitären Ausbildung sorgten, nicht weggewischt werden. Schon hier wurde also deutlich, dass sich die Turn- und Sportbewegung reinen Gewissens zu Jahn bekennen kann. Sein Eintreten für Einheit, Freiheit und Demokratie macht Mut.
♦ Impulse, die bis heute wirken
Mit Rainer Brechtken (Schorndorf), dem langjährigen, verdienstvollen DTB-Präsidenten, ergriff sozusagen ein Pragmatiker das Wort: „Traditionen und kulturelles Erbe im DTB“ bedeuten für ihn ganz konkret das Bekenntnis zu Jahn, weil er das Turnen erfand und weil von der Hasenheide Impulse ausgingen, die bis heute wirken. Da sei naive Heldenverehrung fehl am Platz.
Rainer BRECHTKEN (2016) als DTB-Präsident bei einer Rede vor dem Jahn-Museum in der Jahnstadt Freyburg / Unstrut
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Ein Fehler, ja sogar Arroganz sei es allerdings - so Brechtken - wenn sich heutige Skeptiker allein aus heutiger Sicht und ohne das Einbeziehen des historischen Kontextes ihr Urteil über Jahn oder über die Verbandspolitik der Deutschen Turnerschaft (DT) bilden. Unumstößlich sei für die Turnbewegung die Aufgabe, das Verstricktsein der DT in den Nationalsozialismus aufzuarbeiten.
Ganz konkret wurde auch Prof. Dr. Hans-Jürgen Schulke (Hamburg) bei seinen Ausführungen über Jahn als „Gründer der modernen Vereinssportbewegung“: Es sei als eine Erfolgsgeschichte einzustufen, was 1811 auf der Hasenheide begann: etwas Ganzheitliches, eine soziale Bewegung, ergänzt und vertieft durch die Herausgabe der „Deutschen Turnkunst“ in 1816. Der Anstoß zur Verbreitung des Turnens war geprägt durch eine organisatorische Offenheit, die von der intensiven internen Kooperation bis zur Mobilisierung der Öffentlichkeit reichte. Jahns Aktivitäten (schon 1808 taucht bei ihm erstmals der Begriff „Verein“ auf) ließen den DOSB und seine Vereine auf die jetzige Größe anwachsen, auf die größte Personenorganisation in Deutschland. Zu Recht habe der DOSB 2013 Jahn als Ideengeber in die „Hall of Fame“ aufgenommen.
♦ Gefühle und Emotionen, Gemeinschaft und Identität
Einen Aspekt, den wir normalerweise beim Blick auf die frühe Turnbewegung nicht für wichtig halten, eröffnete die Emotionsforscherin Angela Luise Heinemann (M. A., Essen): Welche Rolle spielten Nation, Gesang und Gefühl in dem „Gemeinschaftskonzept“? Klare Aussage: Das Geschehen auf der Hasenheide, also in einem öffentlichen Raum, ließ in Zeiten ungewisser Zukunft mit klaren Abläufen und festen Strukturen ein Wir-Gefühl entstehen, das für die jungen Menschen, die sich da versammelten, völlig neue Erlebnisse ermöglichte. Singen (Lieder als „Ausdruck einer neuen Identität“), Wandern, Fest und Feier ließen eine „turnerische Gesinnung“ wachsen, die selbst heute noch vielfach im Vereinsalltag zu beobachten ist.
♦ Neue Einsichten in politische Prozesse des 20. Jahrhunderts ermöglichte Dr. Berno Bahro (Potsdam). Sein Vortrag beschäftigte sich mit der Jahn-Rezeption in der DDR. In den Anfangsjahren der DDR war Jahn als Reaktionär und als Verräter der Revolution von 1848 eingestuft. Mit dem Bestreben, die „sozialistische Heimat lieben“ zu lernen, „das Vaterland gegen den Faschismus“ zu verteidigen und „die junge Republik zu schützen“, erfolgte um 1952 ein Sinneswandel: Jahn war jetzt richtungweisend als Patriot, als Freiheitskämpfer und als Vorkämpfer für die deutsche Einheit. Mit der Aufrüstung in den 50er Jahren und der Militarisierung der Jugend waren Verhaltensformen gefragt, die die jungen Männer der Hasenheide auszeichneten und die jetzt als „sozialistische Körperkultur“ fungierten, eingeschlossen der Wehrkundeunterricht.
♦ Welchen Jahn wollen wir?
Dieser Leitgedanke prägte die Diskussion, die sich anschloss. Und es wurde deutlich, dass wir noch lange nicht zu einem Ende kommen in der permanenten Auseinandersetzung mit dem „Turnvater“; der ja eher ein „Turnbruder“ war: Seine wirkungsmächtigste Zeit begann er mit 33 Jahren.
Ganz anders gelagert war das Thema von Manuela Dietz, Chefin des Freyburger Jahnmuseums und Präsidentin des Landesturnverbandes Sachsen-Anhalt).
Sie verstand es, das Plenum in leichtes Staunen zu versetzen, denn es ging um nichts Geringeres als die Zukunft des Jahn-Museums in Freyburg/Unstrut („ein Werkstattbericht“). Wie sich die Verantwortlichen der Jahn-Gesellschaft für die Restaurierung des Museums (Sanierung und Neubau) ihrer Partner versichern und sie in die Mitverantwortung ziehen (Ministerien, Burgenlandkreis, Stadt), das imponiert!
Und wie sie sich für die Planung der neuen Dauerausstellung eines wissenschaftlichen Beirats bedienen, und mit neuem Selbstverständnis die Fragen der Zukunft des kollektiven Erinnerns angehen, das stieß auf großen Respekt!
Sieger-Projekt von "Henchion + Reuter": der geplante ► Erweiterungsbaues Jahnmuseum
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Die zur Zeit abgeschlossene Planung jedenfalls überzeugt: drei Hauptaspekte, fünf Fragen zu den ästhetischen Vorstellungen, fünf Komplexe bei der Realisierung; ausgerichtet auf: interaktiv und partizipativ.
♦ Fünf weitere Themen
Die fünf weiteren Themen seien hier genannt. Sie fanden ihren Niederschlag bereits in den letzten Jahren im „Jahn-Report“ (insbesondere das deutsche Turnen in Nord- und Südamerika) oder werden ihn demnächst beschäftigen:
* Dr. Marit Bergner:
→ „Die Breslauer Turnfehde und ihre Folgen für Jahn und die Turnbewegung“
* Dr. Josef Ulfkotte: (siehe auch Jahn-Report 37 vom Dezember 2013);
→ „Jahns Einzug in die Ruhmeshallen. Von Walhalla bis Hall of Fames“
* Gerd Steins: (siehe auch Jahn-Report 40 vom Mai 2015);
→ „Der gefälschte Jahn: Aktuelle Umbenennungsdebatten“,
*Prof. Dr. Annette Hofmann:
→ „Zwischenrufe aus aller Welt – Jahn aus der Sicht der Emigrierten“ ) und
*Dr. Lothar Wieser: (siehe zuletzt Jahn-Report 45 vom Dezember 2017).
→ „Vom Verschwinden einer Ikone – Jahn und die deutsch-brasilianischen Turner“
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♦ F a z i t --. Es kann als sehr erfreulich eingestuft werden, dass DTB und Jahn-Gesellschaft zu diesem Miteinander in Stuttgart fanden und dass die Resonanz auf ihre Einladung dorthin so stark war. Das tut dem gesellschaftspolitischen Wirken des DTB und insbesondere dem, was wir das Kulturelle im Turnen nennen (ein wichtiger Teil davon ist die „Vereinskultur“), gut. Eine Veranstaltung mit solch hohem Niveau lenkt den Blick auf eine Komponente des Turnens, die man im turnerischen Alltag in der Halle und auf dem Platz nicht sieht. Und die Jahn-Gesellschaft kann sich mit Stuttgart sehen lassen als eine Gruppierung im DTB, die offensiv und zukunftsorientiert ihre Aufgaben angeht. Der DTB kann sich auf sie verlassen.
* Autor: Hansgeorg Kling
* Kommentiert und bearbeitet von E. Herholz/gymmedia
* Fotos: Archiv GYMmedia / Lena Buck
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* ... lesen Sie dazu auch:
►► Jahn heute: 97. Jahnturnfest 2019