Holger Behrendt |
Nach Helmut Bantz (1956), Klaus Köste (1972) und Roland Brückner (1980) war der Ex-Potsdamer Holger BEHRENDT 1988 in Seoul der vierte deutsche Turn- Olympiasieger nach dem II. Weltkrieg und zugleich dritter und letzter olympischer Goldmedaillengewinner der DDR.
Heute feiert der Ex-Potsdamer Armeesportler, spätere Berliner Trainer seinen 60. Geburtstag, den er nach Rückkehr in seine Geburtsstadt wieder in Schönebeck / Sachsen-Anhalt begeht, wo er sich müht, neue Strukturen der Suche und Ausbildung von Turntalenten aufzubauen. Und einen bedeutenden Wettkampfhöhepunkt sieht er in diesem Jahr in seinem Heimatland auch: "Gleich nach Olympia in Paris bin ich beim 100. Jahnturnfest nach Freyburg/Unstrut geladen, zum 100. JAHNTURNFEST, wo die olympischen Geräte auf der Wiese stehen, und Jedermannsturnen für alle stattfindet. Das würde dem "Alten im Barte" sicher ganz gut gefallen...!"
Holger Behrendt, Mitte der achtziger Jahre |
Wie so manche ostdeutsche Biografie litt auch die des olympischen Ringe-Champions Holger Behrendt durch die zwei Jahre später erfolgenden politischen Veränderungen, zumal er davor die angestrebte WM-Teilnahme 1989 in Stuttgart leider nicht realisieren konnte: Bei den letzten Deutschen Meisterschaften der DDR in Karl-Marx-Stadt riss dem Mann vom damaligen Armeesportclub "Vorwärts" Potsdam (ASK) am Boden die Achillessehne. So nahm man dann in den Wende- und Nachwendejahren vorwiegend jene wahr, die weiterhin aktiv blieben und die ersten gemeinsamen deutschen Auswahlteams profilierten, wie z. B. Andreas Wecker, Sylvio Kroll, Sven Tippelt, Ralf Büchner, ....
Dabei war dieser Junge aus Sachsen-Anhalt später extrem erfolgreich, obwohl man ihn anfangs, Mitte der 70'er Jahre im Leistungszentrum Halle, zunächst gar nicht haben wollte: Dort hatte man den Jahrgang an der Kinder- und Jugensportschule bereits komplett, und so musste damals die für den Bezirk Magdeburg verantwortliche Trainerin Christel Sanne mit dem kleinen "turnverrückten" Holger und seinem Übungsleiter Hermann Kulka nach Potsdam fahren und erst dort fand man in Richard Karstedt, dem Extrainer von Wolfgang Thüne, einen Fürsprecher: Klein-Holger wurde tatsächlich ein halbes Jahr später doch noch im Leistungszentrum der Armee in Brandenburg aufgenommen. Und durch Ehrgeiz und Trainingshärte wurde aus ihm in den achtziger Jahren dann einer der verlässlichsten, vielseitigsten und erfolgreichsten Leistungsträger der damals international heftig aufstrebenden Männerabteilung der DDR.
Behrendt: zum Turnier der Meister in Cottbus im Olympiajahr 1988 |
Eine einmalige, beeindruckende internationale Bilanz!
Achtmal wurde Holger Behrendt Deutscher Meister der DDR: Viermal an den Ringen, aber insgesamt auch an weiteren drei Geräten, was den exzellenten Mehrkämpfer kennzeichnete obwol er den Mehrkampftitel zu Hause nie gewann, zweimal Vizemeister war - jedoch international:
♦ Holger Behrendt stand 13 x in Nationalriegen der DDR bei Länderkämpfen.
♦ Bei drei Europameisterschaften war er zweimal Sechster und gewann zuletzt 1989 in Stockholm, hinter den beiden Sowjets Igor Korobtschinski und Walentin Mogilny, die Mehrkampf-Bronzemedaille, stand 9x in EM-Finals, war Europameister 1989 an den Ringen, Vize-Europameister '87 am Barren und gewann zwei weitere Bronzemedaillen an Sprung und Boden.
♦ Bei zwei Weltmeisterschaften wurde Holger jeweils mit Mannschaftsbronze dekoriert, kam in Montreal (1985: 8.Platz) und Rotterdam (1987: 6. Platz) zweimal unter die Top-Ten der Mehrkämpfer und gewann in der Ahoy-Arena 1987 - gemeinsam mit dem Ungarn Zsolt Borkai - Bronze am Reck - hinter dem einstigen sowjetischen Wunderknaben Dmitri Bilosertschew und dem Kanadier Curtis Hibbert.
Trainer Bernd Jäger und Schützling Holger Behrendt beim 'Jägersalto'. |
Allein bis dahin schon eine eindrucksvolle Bilanz, die ihn bereits vor seinen einzigen Olympischen Spielen 1988 schon als einen herausragenden Athleten kennzeichnete.
Obwohl er eher der kleine, etwas gedrungene und keineswegs elegante Typ war, machte er Vieles wett durch seine hervorragende Technik. Hier hatten seine hochqualifizierten Trainer ihre pädagogischen und trainingsmethodischen Spuren ästhetisch eindrucksvoll hinterlassen, die von diesem Naturburschen durch seine Willensstärke, Charakter- und Persönlichkeitsmerkmale bestmöglichst umgesetzt wurden: Von seinen ersten Übungsleitern im heimischen Trainingszentrum Rainer Herbrich und Hermann Kulka entdeckt und für das Gerätturnen in Schönebeck (Elbe) begeistert, prägten dann beim Potsdamer Armeesportclub zunächst Wilfried Helmke und Paul ("der Lange") Müller, später dann Bernd Jäger (- der Erfinder des Jägersaltos) diesen Top-Athleten, der keineswegs die begnadete Ausnahmeerscheinung war, sondern sich eher mit Disziplin alles schwer erarbeiten musste!
Den Feinschliff hin zur Olympiaform 1988 verschaffte sich Holger Behrendt gemeinsam dann mit Trainer Reinhardt Rückriem, der drei Jahre später auch den Potsdamer Trainingskollegen Ralf Büchner zum ersten Turn-Weltmeistertitel (Reck) des wiedervereinten Deutschlands führen sollte.
... Momenteaufnahme des Jubels unmittelbar nach Ringegold in Seoul! |
Kompletter olympischer Medaillensatz
In Augenhöhe mit den damals klar die Weltspitze bestimmenden Sowjets fighteten die DDR-Jungs um Nationalcoach Dieter Hofmann im koreanischen Seoul um Gold, unterlagen damals nur knapp, gewannen aber nach Moskau (1980) zum zweiten Mal Silber - v o r Japan und vor China!
Holger Behrendt avancierte dabei zum einzigen deutschen Turner, der in Seoul einen kompletten olympischen Medaillensatz gewann!
Nach Mannschafts-Silber wagte er am Reck als erster Turner der Welt das direkte Kopplungsmanöver an der Eisenstange: nach Kovacs- sofort den Deltschew-Salto: Bronze für ihn, nur ein Zehntelchen hinter den zwei punktgleichen Olympiasiegern Valeri Ljukin und Wladimir Artjomow (beide URS).
... wer wird schon auf einer Briefmarke gewürdigt: |
... und dann in Seoul der Clou an den Ringen:
Mit souveränen Superkraft-Kombinationen, Nerven wie Stahlseilen und einem traumhaft gestandenen Tsukahara-Abgang katapultierte sich der Potsdamer auf das Goldpodest, punktgleich mit dem Ausnahmeturner der achtziger Jahre, mit Dmitri Bilosertschew!, hinter dem er vier Jahre zuvor bei den "Ersatz-Spielen der Freundschaft" 1984 im tschechischen Olomouc schon einmal Zweiter war!
Diese beachtlichen Bilanzen belegen: Dieser deutsche Ausnahmeathlet war nicht nur ein Spezialist an einem Gerät, der die Gunst der Stunde nutzte, sondern fast ein Jahrzehnt lang ein Allrounder der "alten Mehrkampfschule", der sich aber alles knallhart erarbeiten musste, eh' er den absoluten olympischen Gipfel erreichte:
♦ Olympiasieg an den Ringen 1988
im koreanischen Seoul mit der damaligen Idealnote 10,0 :
* Youtube (240)
Als ihm später nach besagtem Achillessehnenriss beim WM-Qualifikationswettkampf (DDR-M 1989) eine dritte WM-Teilnahme in Stuttgart versagt blieb, beendete er seine internationale Karriere - leider fast ein wenig unbeachtet von der Öffentlichkeit, weil in einem untergehenden Ländle, welches der Agonie nahe war, Anderes Priorität hatte ....
Addiert man aber in punktueller Abstufung und Wertigkeit all' seine Erfolge bei Olympia, WM, EM, kommt man zu der verblüffenden Tatsache, dass dieser bescheidene Athlet eigentlich "nominell" der erfolgreichste Athlet der deutschen Turngeschichte ist! Dieser Tatsache wird nun seine gesellschaftliche Anerkennung wahrlich nicht gerecht. In den historischen deutschen Zeitenläufen war eben der Fokus stets auf Andere gerichtet. Jetzt aber erinnert man sich seiner auch in seiner ursprünklichen Heimat wieder ...!
Holger absolvierte nach Karriereende eine Metallbauerlehre zum Kunstschmied, konnte aber von seiner Sportart nie so richtig lassen: In Potsdam stand er lange Zeit auf Honorarbasis als Trainer in der Turnhalle. Später dann machte er doch noch seine A-Trainerlizenz und arbeitet seither sehr erfolgreich nach Potsdam später in Cottbus und seit 2012 in Berlin vollberuflich als Coach, wobei er auch für verschiendenste Kaderbereiche bundesweite Verantwortung übernommen hatte.
Der Nachwuchsspezialist ...:
... dies war 2012 seine erste kleine Berliner Trainingsgruppe, für die der Nachwuchsspezialist Behrendt nun die Verantwortung übernahm:
Des Olympiasiegers erster Berliner Jahrgang 2012 ... |
Mit seinen derzeit jüngsten Turnern der Altersklassen 9/10 beim SC Berlin - mit Fabian Pflug, Erik Linke und Nils Matache gewann er im Herbst 2013 den Deutschlandpokal.
Seine etwas älteren Schützlinge (AK 11/12: Daniel Schwed, Karl Ole Gäbler und Finn Czach) wurden damals Zweite.
"Hier beim SC in der Hauptstadt herrscht ein prima Arbeitsklima. Mit meinen Trainerkollegen gehören wir im Nachwuchsbereich seit Jahren zur nationalen Spitze", stellt der heutige Berliner Landestrainer zufrieden fest.
An eine abendliche Geburtstagsrunde se besonders erinnert ...
Das war aus Anlass seines 50. Geburtstages 2014: Holger BEHRENDT (2.v.r.),
hier mit den Ex-Nationalmannschaftsturnern Frank Paschke (li), Jens Milbradt (re.) sowie ihrem inzwischen verstorbenen Chef-Trainer Dieter Hofmann.
Mit dabei waren damals Trainerkollegen seines jetzigen Klubs SC Berlin um Roland Ankert sowie ehemalige Mitglieder der letzten Nationalmannschaften der DDR, wie Frank Paschke, und Jens Milbradt, dem heutigen Juniorenauswahltrainer des Deutschen Turner-Bund. Letzterer konnte sich sogar noch an einen gemeinsamen Länderkampfstart mit Holger Behrendt gegen Frankreich in Rorbach erinnern ...!
Zehn Jahre danach sei auch noch ein weiterer, emotionaler Rückblick gestattet, an eine
* NACHFEIER in Schönebeck mit Überraschungsgästen
Als der Jubilar Holger BEHRENDT damals seine Mutter im heimatlichen Schönebeck besuchte, klingelte es an der Tür und Überraschungsgäste standen - wahrlich unübersehbar - vor der Tür: Der ehemalige Kugelstoßriese und Olympiasieger von 1976 (Montreal) Udo BEYER und dessen nicht minder athletische Bruder und Ex-Handballer - ebenfalls Olympiasieger, der im Moskauer Endspiel von 1980 den Siegtreffer gegen die Sowjets warf - Hans Georg BEYER sowie Turntrainingskollege Ralf QUAST, Deutscher Ex-Meister am Pferd (1983), dessen ganze Drehung über der Reckstange als "der Quast" in die internationale Turnterminologie einging - besuchten das Geburtstagskind zu dessen 50. Ehrentag.
Letzterer hatte die beiden Brandenburger Ex-Armeesportler zu dieser Überraschungs-Gratulationscour animiert, die sich aber überhaupt nicht lange bitten lassen mussten:
Foto: Holger Behrendt's (3.v.l) Geburtstagsrunde 2014:
Der erste Übungsleiter aus Schönebeck, Hermann Kulka (li.), neben Kugelstoß-Olympiasieger Udo Beyer. Ex-Turner Ralf Quast (rotes Hemd), neben Handball-Olympiasieger Hans Georg Beyer und Rainer Herbrich, Holgers erster Trainer nach Wechsel ins damalige ASK-Leistungszentrum.
Dass eine solche Runde ehemaliger Spitzenathleten faktisch eingerahmt wurde auch durch die ersten Trainer und Übungsleiter, die am Beginn künftiger Karrieren oft noch gar nicht wissen, wohin oder wie erfolgreich die Laufbahnen ihrer Schützlinge verlaufen, aber dass sie eben nicht vergessen werden, zeugt viel von dem Wert des engagierten Sports für die individuellen und ganz persönlichen Lebenslinien der Sportler. "Dieser Besuch hat mir so richtig deutlich gemacht, was der Sport auch fernab aller Medaillen und Erfolge fürs Leben bedeutet: Freundschaften, die lange, lange, halten! Ich bin sehr glücklich, nach diesem Besuch!"- sagte damals ein tiefberührter Holger Behrendt!
Heute nun, zehn Jahre später, mit 60 Jahren, lädt der Turnolympiasieger von 1988 alle Sport- und Turnbegeisterten ein, ihre Aufmerksamkeit auf einen, nach Olympia Paris nächsten und besonderen Höhepunkt zu richten:
→ Auf das 100. Jahnturnfest als d e n absoluten Höhepunkt des Olympischen Alltags in der Jahnstadt Freyburg / Unstrut am dritten Augustwochenende (15.-18. August).
Die Turnwelt freut sich mit ihm auf ein Wiedersehen auch mit vielen Exponenten des deutschen Kunstturnens und begeisterten Sportlern aller Leistungs- und Altersbereiche!
(c) gymmedia / E. Herholz;
* Fotos: GYMmedia-Archiv / privat