Richarda Schmeißer |
Viele Besucher und Gäste des 100. Jahnturnfestes am Wochenende fragten auch nach einer der früheren Exponentin des Halle'schen Spitzen-Turnclubs, doch die ehemalige Weltklasseturnerin Richarda Schmeisser war wohl mit der Vorbereitung ihres heutigen runden Geburtstages befasst. In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts gehörte sie zu den herausragenden Persönlichkeiten des deutschen und internationalen Kunstturnens, die mit der Olympiariege der DDR 1972 Silber in München gewann und 1970 (Ljubljana) und 1974 (Warna) jeweils Vize-Weltmeisterin im Team wurde. Der ganz große internationale Einzelsieg blieb der aus dem Städchen Zeitz, nahe Freyburg, stammenden All-rounderin zwar verwehrt, aber ein ganz großes Jahr hatte sie nochmals 1975, als sie hinter Nadia Comaneci, Nelli Kim und ihrer DDR-Kollegin Annelore Zinke auf dem Bronzeplatz, gemeinsam mit Ludmilla Turischtschewa Mehrkampfvierte der X. Europameisterschaften wurde ...
X. Turn-EM 1975 in Skien (NOR): Richarda SCHMEISSER(2. von re.) inmitten der Stufenbarrenfinalistinnen. Das Finale gewann damals Nadja Comaneci (ROU; 2.v.l.) vor Nelli Kim (URS; 3. v.re.) und Annelore Zinke(links außen). Richarda Schmeißer (2.v.rechts.) wurde Vierte, vor Kralova (TCH) und Egervary (HUN; rechts außen).
Richarda (1976) als 22-jährige Spitzenturnerin |
Somit war die Deutsche Mehrkampfmeisterin der DDR (Cottbus, 1975) mit damals 21 Jahren mittendrin zwischen den ganz Großen des internationalen Kunstturnens, das damals wesentlich von den Frauen der UdSSR, der DDR - und beginnend auch durch eine junge rumänische Turngeneration - bestimmt wurde. Und noch einmal erlebte sie mit ihren zweiten Olympischen Spielen einen großen emotionalen Höhepunkt zum Abschluss ihrer fast 10-jährigen Karriere, wenn auch "nur" in der Rolle der Ersatzturnerin 1976 in Montreal ...
Zu besagter EM im norwegischen Skien (1975) stand Richarda neben ihrem Mehrkampferfolg an allen vier Geräten im Finale und krönte diese EM mit dem Gewinn des Vize-Europameistertitels am Sprunggerät, hinter dem späteren rumänischen Weltstar Nadja Comaneci, mit der sie auch im EM-Barrenfinale stand (- siehe Foto, oben).
Klein-Richarda war dabei eines der Talente, das sich aus der im Aufbau befindlichen DDR-Förderstruktur und dem Spartakiadesystem heraus entwickelt wurde.
Sehr aufwändig wurde das Talent aus einem kleinen Ort Hainsburg ins Nachwuchszentrum der Stadt Zeitz eingefügt, täglich gefahren, aufopferungsvoll vom Ehepaar Erika und Walther Gäbel betreut und für's Turnen vorbereitet und dann 1966 ins 40 km entfernte Leistungszentrum der damaligen Bezirkshauptstadt Halle/Sa. delegiert.
Bereits zwei Jahre später feierte man die damals 14-Jährige als vierfache DDR-Spartakiadesiegerin, welche dann nur zwei Jahre später, mit 16 Jahren, in der WM-Silberriege von Ljubljana stand.
Einer der damaligen DDR-Spitzentrainer, des halleschen Leistungszentrums, des damaligen "SC Chemie Halle" (heute "SV Halle"), Götz Glitzscher, der später nach der politischen Wende in die USA ging, später als Auswahl-Coach in der Schweiz agierte, formte Klein-Richarda zu einer Weltklasse-Athletin:
Ehemaligentreffen in Halle (1998): Trainer Götz Glitscher mit seinen Turnerinnen
(von li:) Kerstin Wiesner, Richarda Schmeißer, Jana Wiersbicki, Gitta Sommer-Escher, Margret Gerlach
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Götz-Michael Glitscher erinnert sich: "Ich hatte das Glück als junger Frauentrainer, Richarda ab 1966 bis zu ihrem Karriereende 1976 trainieren zu dürfen. Das war eine Zeitspanne vom 12. bis 22. Lebensjahr mit all den Problemen eines Kindes, Teenagers und einer jungen Frau! Diese wesentlichsten Eigenschaften zeichneten sie aus: Bewegungstalent, Beweglichkeit, eine natürliche und tänzerische Eleganz, zierlicher Körperbau und daraus resultierende, begrenzte Robustheit und Belastbarkeit (Gelenke, Körperbau – Problem in Akrobatik u. Sprung ), aber vor allem auch Risikobereitschaft und Vertrauen zu den Methoden des Trainers und den Zielen, die er vorgab. Was mich an Richarda besonders erinnern lässt, waren ihre schöpferische und äußerst kreative Mitarbeit, was sich speziell speziell in den Choreografien an Boden und Balken bemerkbar machte! Dazu gesellten sich noch höchste Kämpferqualitäten, besonders in Wettkämpfen."
Richarda SCHMEISSER (5. von links) in einer der vielen DDR-Auswahlriegen,
der 70'er Jahre, hier in Berlin mit Trainer Helmut Gerschau (re.);
... und Glitscher weiter: "Ja, Richarda war ein 'Wettkampftyp', obwohl gleichzeitig ein sehr sensibler, oft auch introvertierter junger Mensch und dadurch auch psychisch weniger belastbarer als andere Turinerinnen. So war es keineswegs immer einfach, mit ihr zu trainieren. Doch ich hatte das große Glück, daß sie zu mir volles Vertrauen hatte, auch über die Trainingsprobleme hinaus. Unbedingt erwähnenswert: die Erfolge Richardas waren nur durch das gute hallesche Team mit den Trainerinnen Gisela Heller (Boden-Gymnastik ) und Gisela Zimmermann (Balken, Kampfrichterin) möglich !!! Im Team der Trainingsgruppe war sie als Vorbild und zuverlässige Größe wichtig, auch wenn sie dort nie eine Führungsrolle einnahm."
Mitte der siebziger Jahre avancierte die Frauenabteilung des damaligen SC CHEMIE Halle an der Saale (heute SV Halle) - neben Dynamo Berlin und dem SC Leipzig zu einem der DDR-Spitzenclubs des Kunstturnens. Dies waren die damaligen Leistungsträgerinnen:
SC-CHEMIE-Frauenturnriege von 1974:
* von links: Ute Preuß, Margret Gerlach, Heike Kischkies, Richarda Schmeißer, Gitta Escher,
Birgit Pullwitt, Cornelia Jabin, Regina Richling
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... als engagierte Turn-Pädagogin |
Richarda Schmeisser studierte nach ihrer aktiven Laufbahn Sport, wurde Trainerin und arbeitete erfolgreich bis zur politischen Wende hauptberuflich im Nachwuchsbereich ihres Clubs. Anschließend gehörte sie zu jenen, die trotz akademischer Top-Ausbildung durch die gesellschaftlichen Umbrüchen ihren Job verlor, in der Versicherungsbranche arbeitete ...
Doch ihre Liebe zu ihrer Sportart ist bis heute geblieben! Viele Jahre lang stellte sie sich ehrenamtlich beim SV Halle Generationen von begeisterten kleinen Mädchen als Übungsleiterin und Trainerin zur Verfügung, einer Tätigkeit, die in diesem Alter für erfolgreiche spätere Turnkarrieren so unendlich wichtig ist und kurioser Weise noch immer so wenig Anerkennung findet und bis heute bewegt sie noch regelmäßig Seniorinnen der "goldenen Jahrgänge"!
Geburtstags-Gartenparty in Halle / Sa.:
* v.li.: Gisela Zimmermann, Gitta Wagenknecht-Escher, Geburtstagskind Richarda Schmeisser- Hartmann, Ex-Trainer Götz-Michael Glirscher, Renate Lübeck, Jana Wiersbicki.
Ihre Ex-Trainingspartnerin Jana Wiersbicki als Freyburg-Besucherin und viele andere ihrer damaligen Leistungsportgeneration vermissten sie auf dem grünen Turnplatz und lassen zum runden Geburtstag herzlich grüßen!.
(c) gymmedia / -ehe-