Kim BUI, Deutschlands erfahrendste Nationalturnerin |
"Na, endlich, sie spricht!" - möchte man ausrufen, nachdem die mit 32 Jahren erfahrendste deutsche Turnerin Kim BUI lange nicht zu hören war, und in der Sportausschusssitzung diese Woche zunächst mit der Aussage verwunderte, erst durch die SPEGEL-Veröffentlichungen über die "Vorkommnisse" in Chemnitz erfahren zu haben. Weil es nach ihrer Ansicht eh' nur "die Spitze des Eisberges" sei, bezog sie dennoch klar Stellung. Wer selbst fast drei Jahrzehnte lang alle Phasen dieses so außergewöhnlichen Weges einer ambitionierten Kunstturnerin mit Leidenschaft gegangen ist, der muss wohl den größten Einblick auch in die Schwächen und Problemfelder des Systems haben, der hat 'was zu sagen und dem sollte man auch intensiver zuhören, denn ihre Worte sind erstrangig an die Verantwortlichen des deutschen Sports, an die Verbandsfunktionäre gerichtet.
79. Deutsche Mehrkampfmeisterschaften, Berlin, 2019
1. Sarah VOSS (Köln; Mitte); 2. Kim BUI (Suttgart; links); 3. Sophie SCHEDER (Chemnitz).
Dem Sportausschuss hatte die Bio-Technologiestudentin einen Acht-Seiten-Bericht eingereicht, in welchem sie sich u. a. kritisch mit dem Innenverhältnis Trainer/Aktive, insbesondere mit dem unangepassten Wandel der pädagogischen Mittel und Methoden in Anpassung an die Reifeprozesse, die die Mächen vom Kind, über den Teenager bis zur erwachsenen Persönlichkeit durchlaufen.
Seit 12 Jahren ist Kim BUI im Amt der Athletensprecherin. Die aktuelle Deutsche Vizemeisterin stand seit 2006 (!) unglaubliche 8 Mal auf dem Siegerpodest Deutscher Mehrkampfmeisterschaften, wurde dabei 2x Meisterin (2009; 2014), startete bei Olympia, WM und EM als stets verlässliche und erfahrendste Athletin. Trotzdem wäre ihr zunächst nicht bewußt gewesen, was betroffene Turnerinnen dort in Chemnitz durchgemacht haben sollen, bezeugte jedoch gleichzeitig ihren Respekt davor, über solcherart Dinge öffentlich zu sprechen.
Insgesamt stellt diese Ausnahme-Athletin Kim BUI eine solch' starke Persönlichkeit dar, dass es im Nachhinein schon bedauerlich ist, warum die anklagenden Turnerinnen sich ihrer Erfahrung und Stellung als Athletensprecherin nicht erstrangig bedient haben, sondern den skandalträchtigeren Weg über Presseveröffentlichungen suchten.
Was wäre da dem Verband, der Sportart und auch den Betroffenen vor Ort für ein Schaden erspart geblieben, denn gerade dadurch hätten sich beste Optionen für dringlich nötige systemische Veränderungen unter deutschen Turnhallendächern ergeben können.
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* In einem heutigen SPIEGEL-Bericht* beschreibt Kim BUI dazu u. a. generelle Probleme, wie Kommunikationsschwächen im Innenverhältniss zwischen Trainer und Turnerinnen, insbesondere im Verlaufe eines doch sehr langen Entwicklungsweges in dieser hochanspruchsvollen Sportart:
► "Als Kind merkt man nicht, in welcher Abhängigkeit man sich befindet" (SPIEGEL, 27. 02. 2021)
* Man hätte sich gewünscht, dass sich die SPIEGEL-Autorin im Sinne einer ausgewogenen Berichterstattung zu dieser Problematik, auch einmal der Chemnitzer Weltklasse-Athletin Sophie SCHEDER ausführlich gewidmet hätte. Dafür tun wir es ...!
- die Redaktion
Der Turnverband ist gefordert!
Wer, wenn nicht der DTB, kann die auch von Kim BUI beschriebenen Missstände beseitigen?
Und wenn die Stuttgarterin da gar von "der Spitze des Eisberges" spricht, klammert sie doch sicher auch nicht ihr eigenes Zentrum oder auch nicht all' die anderen aus oder ...? Denn nur eine verbale Floskel kann das doch sicher nicht gewesen sein!
Um so bedenklicher erscheint da der Auftritt des DTB-Präsidenten Alfons Hölzel, der zwar im Sportausschuss auch davon sprach, dass dies kein ausschließliches sächsisches Problem sei und es demzufolge generell strukturellen Handlungsbedarf gäbe, mit seiner unverständlich unnachgiebigen Beharrung auf der Entlassungsforderung betreffs Frau Frehse doch aber nicht etwa glaubt, damit das Grundproblem lösen zu können?! "Ich gehe davon aus, dass der Olympiastützpunkt als Arbeitgeber die richtigen Entscheidungen treffen wird", so Hölzl vor dem Sportausschuss: "Da bin ich ganz optimistisch."
Eigentümlicher Weise ist derzeit gerade von den beiden Personen, die den Verbandsbereich Spitzensport hauptberuflich verantworten, und ihn am intensivsten kennen müssten, so gut wie nichts zu hören: Sportdirektor Wolfgang Willam und Bundestrainerin Ulla Koch, außer, dass sie gemeinsam und DTB-amtlich und nach bereits von neutraler Untersuchungsseite bestätigter Substanzlosigkeit Ende 2019 ihre Kollegin Frehse von den "Schäfer-Vorwürfen" entlastet hatten ...?!
* Auch das aktuelle Turn-Magazin "LEON* stellte dazu mal >> ein paar noch immer unbeantwortete Fragen!
Frehse, Scheder: 13 Jahre lang ein Team! |
Dringend nachdenklicher sollten Hölzl und alle DTB-Verantwortlichen sein, wieso eine ebenso profilierte Persönlichkeit wie Kim BUI, nämlich die Olympiadritte von Rio, Sophie SCHEDER, nach 13 Jahren intensiver Trainingsbetreuung von Frau Frehse in Chemnitz zur Weltspitze entwickelt wurde, ohne die vorgebrachten Anschuldigungen in ihrer Art, Wucht und Substanz nachvollziehen zu können - übrigens im Einklang mit allen Chemnitzer Kaderturnerinnen und deren Eltern!
"Wir fordern Sie auf – nein, wir bitten Sie eindringlichst – ermöglichen Sie uns wieder ein Stück Normalität und vor allem eine seriöse und faire Vorbereitung auf kommende sportliche Ereignisse. Lassen Sie unsere Trainerin Frau Gabriele Frehse umgehend wieder ihrer Leidenschaft nachgehen und beenden die vorübergehende Freistellung. Wir betonen erneut, dass wir zu allen handelnden Personen vor Ort größtmögliches Vertrauen haben und wünschen uns nichts sehnlicher, als gehört und respektiert zu werden." - schrieben Sophie SCHEDER und sieben ihrer Vereinskameradinnen in einem offenen Brief, inmitten der unmittelbaren Olympiavorbereitung, inmitten eines täglichen psychischen Dilemmas in der Chemnitzer Frauenturnhalle ...!
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Es wird Zeit, dass diese individualisierte und von den eigentlichen Strukturproblemen des deutschen Nachwuchs- und Spitzensports ablenkende Verleumdungskampagne deutlich umschlägt und sich der Deutsche Turner-Bund den dringlich nötigen und grundsätzlichen Veränderungen zuwendet, damit das Attribut "Spitzensport-Verband" nicht zur Farce wird!
(C) gymmedia / E. Herholz