05. November 2020  
Berlin, GER  
Gerätturnen

Motivationskiller (?) Corona ... und die "Verordnungen"!

Ach, was sind die Turner doch für ein verständnisvolles und einsichtiges Völkchen!
Da drückt Deutschlands zweitgrößter Sportverband, der Deutsche Turner-Bund, auf den Knopf und schaltet eine halbe Woche vor Wettkampfbeginn seine Landesmeisterschaften ab, und die betroffenen Athleten zeigen (öffenlich) Verständnis. Bleibt ihnen schließlich nun nichts weiter übrig, als weiter zu trainieren und sich eben neue Motivationen als Ersatz für die zielorientierenden Wettkämpfe zu schaffen ...
" ... in Absprache mit den zuständigen Behörden in Nordrhein-Westfalen (Düsseldorf) und auf  der  „Basis der aktuellen Verordnungslage“, so hieß es in der DTB-Mitteilung lapidar, sei die Ausrichtung der Deutschen Meisterschaften als Multisport-Event (Gerätturnen, Gymnastik, Trampolin) nicht möglich!

  R E A K T I O N E N

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"Die Meisterschaftsabsage ist traurig, aber vernünftig"
- so zumindest eine erste Reaktion aus dem deutschen Frauenturnlager.
Chemnitz' Trainerin Gabi FREHSE: "Ich habe nichts anderes erwartet! Wenn man auf die heutigen Neuinfizierungen blickt - knapp 20.000 (!) - kann man doch mit seinen Mädchen kein Risiko eingehen, und unbekümmert auf Tour gehen! Da geht's doch nicht nur um noch so gut abgesicherte Wettkampfabläufe. Da geht's auch um An- und Abreise, um Hotelsituationen, um Verpflegungs- und Betreuungsbedingungen ...!
Natürlich waren meine Kaderturnerinnen vor dieser Meisterschaft auch hoch belastet und sind traurig über die Absage, aber viel wichtiger ist es, dass das Training bis jetzt weiterlaufen kann - wenn nicht - das wäre dann ein echter Rückschlag. Vom Training freigestellt haben wir bisher nur die jüngeren Mädchen der 1. bis 3. Klasse. Aber hier haben wir uns auch 'was einfallen lassen: Da gehen unsere Trainerinnen z. B. mit in den Sportunterricht und unterstützen dort das Athletiktraining oder unternehmen mit den Mädchen Waldläufe in freier Natur!"
... also: Schlimmer wä's , wenn nix mehr ginge!"


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Elisabeth SEITZ (MTV Stuttgart) ernüchtert, aber realistisch:
"In diesem Jahr schockiert mich nichts mehr. Das krasseste war die Olympiaverlegung. Danach war klar, dass es nur darum geht, die Pandemie in den Griff zu bekommen."
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Andreas TOBA (TK Hannover), mit Verständnis:
„Ich hätte sehr gerne meinen Meistertitel im Mehrkampf verteidigt. Aber es soll einfach 2020 nicht sein.
Es ist für uns alle eine harte Zeit!"
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Elisabeth SEITZ und Kim Bui zur Situation in Stuttgart
   - ARD-MITTAGSMAGAZIN vom 06.11. 2020 -
 

.... vielen Dank für den Tacheles zum Thema „Motivationskiller“!
Die Absage der DM war zu befürchten, ändern können wir es nun nicht mehr. Dennoch würde man sich von „denen da oben“ zumindest etwas mehr Bedauern und Unverständnis wünschen, noch mehr zur erneuten Schließung sämtlicher Sportangebote (dem „Fußvolk“ geht es leider nicht so gut wie der Bundestrainerin und den zitierten Kaderathlet*innen) – trotz erheblicher Investitionen an Geld und ehrenamtlicher Zeit in adäquate Hygienekonzepte, die in der Regel hervorragend gegriffen haben.
Die Ansteckungsgefahr in Sportvereinen kann mit Fug und Recht als geringer angesehen werden als die im Alltag, bei gleichzeitig jederzeit gegebener Nachvollziehbarkeit von Infektionsketten (was z.B. bei Fahrten im ÖPNV nicht der Fall ist).
In unserem Verein ist es im vergangenen halben Jahr zu KEINEM Ansteckungsfall in unserem verantwortungsvoll kontrollierten Sportbetrieb gekommen, und dies ist auch in den mir bekannten (nicht eben wenigen) anderen Vereinen der Regelfall. Die auf politischer Ebene beschlossenen Maßnahmen treffen definitiv die Falschen, die zum Wiederaufflammen bzw. zur Verbreitung nichts beigetragen haben – vgl. dazu u.a. auch den Artikel Im Sport gab es keine Hotspots, der dieser Tage in der FAZ erschienen ist.
Dass auch wir Turner (alle 5 Millionen) unseren Teil zur Eindämmung beitragen müssen, steht außer Frage. Aber im Hinblick auf die weitere Entwicklung und drohende längerfristige Maßnahmen sollte zumindest zwischen den Zeilen erkennbar sein, dass wir mit den Schließungen und Absagen kein "Schuldeingeständnis" verbinden. Dies sichert außerdem das Vertrauen insbesondere der älteren Vereinsmitglieder in unsere außerordentlich erfolgreiche Arbeit zur Sicherung der Gesundheit aller Aktiven wie auch der Gesellschaft allgemein.
Nebenbei bemerkt:
Als Hauptursache für vorzeitiges Ableben nach Rauchen und Alkohol gilt hierzulande übrigens der (nun quasi gesetzlich verordnete) Bewegungsmangel – siehe dazu den Bericht des Statistischen Landesamtes von 2019 vorzeitige Sterblichkeit und verlorene Lebensjahre in BaWü. Laut WHO verursacht Bewegungsmangel in Deutschland rund 65.000 Tote pro Jahr; das wird COVID-19 nicht annähernd schaffen. Details mit Zahlen und Quellenangaben für Deutschland ab S. 36 im Report des Centre for Economics and Business Research The economic cost of physical inactivity in Europe – Zitat:
"Inactivity is estimated as being responsible for 7.5% of all deaths in Germany […] These are lives which could have been saved if these individuals had adopted lifestyles involving the requisite levels of physical activity."
Auch hierzu würde ich mir als Turner wie auch als Wissenschaftler eine Stellungnahme des DTB-Präsidenten wünschen.
Viele Grüße aus Karlsruhe!
Jens Rudat,
turnender Mikrobiologe und „Hygienebeauftragter“ beim TSV Grötzingen
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... noch ein NACHTRAG von mir  (11.11.2020)
" ... mittlerweile scheint man es beim DTB auch begriffen zu haben, die Forderungen sind einleuchtend richtig und lesenswert, dort heißt es u. a.: :

 

D T B-info ---:  Der Vereinssport wird im aktuellen Beschluss pauschal mit allen anderen Freizeiteinrichtungen gleichgestellt und entsprechend untersagt, dabei ist der Vereinssport mehr als pures Freizeitvergnügen. Wie der Sportentwicklungsbericht regelmäßig deutlich macht, sind die Sportvereine in Deutschland eine herausragende gesellschaftspolitische Kraft. Sie sind Träger bürgerschaftlichen Engagements1, Gesundheitsförderer2, Integrationsleister3, Arbeitgeber und ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor4. Sport ist zudem ein elementarer Bestandteil der Bildung und er ist Bestandteil des Kulturgutes in unserem Land, deshalb sind jegliche Einschränkungen zu begründen.  

Unsere Forderung an die Politik lautet deshalb:

  • Zuvorderst die Angebote in den verschiedenen Settings Kindergärten, Schulen und Gemeinden nicht weiter herunterzufahren und zu verbieten, sondern diese stattdessen mit Hilfe der seit dem 1. Lockdown in den Vereinen aufgebauten Expertise zu stärken und auszubauen. Den Menschen soll mit differenzierten Lösungen und schlüssigen Konzepten organisiertes Sporttreiben (in bestehenden Gruppen) ermöglicht werden. Der DTB steht hier gerne für die Mitarbeit in einer übergeordneten Taskforce mit Expertise zur Verfügung.
  • Darüber hinaus gilt es für Kinder- und Jugendliche, weiterhin Vereinsangebote und Schulsport als Teil der Bildung auf Basis von Hygienekonzepten gleich zu setzen und offen zu halten.
  • Für Erwachsene, insbesondere Ältere, gilt es darauf aufbauend auf Basis von Hygienekonzepten gezielt in kommunalen Settings Sportangebote offen zu halten, um größere Folgewirkungen für das Gesundheitssystem und Vereinsamung abzuwenden.
  • Nach Öffnung der Vereinssportangebote vor Ort ist eine regionale Wettkampfdurchführung und darauf aufbauende bundesweite Zulassung von Meisterschaften jenseits des Profisports unter Einhaltung sorgfältig ausgearbeiteter Hygienekonzepte zuzulassen.  )++ Ausführlich unter: ► DTB-online

Hoffen wir mal, dass die o. g. Forderungen auch „oben“ ankommen – z.B. via Eberhard Gienger; der hätte ja als langjähriges MdB sowie als Vorsitzender der Arbeitsgruppe Sport und Ehrenamt und sportpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion die politischen Möglichkeiten  [Quelle: siehe hier].
Viele Grüße!

Dr. Jens Rudat (Dipl.-Biol.)
Akademischer Rat/Gruppenleiter "Biokatalyse"

Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
BLT_II: Technische Biologie