Ach, was sind die Turner doch für ein verständnisvolles und einsichtiges Völkchen!
Da drückt Deutschlands zweitgrößter Sportverband, der Deutsche Turner-Bund, auf den Knopf und schaltet eine halbe Woche vor Wettkampfbeginn seine Landesmeisterschaften ab, und die betroffenen Athleten zeigen (öffenlich) Verständnis. Bleibt ihnen schließlich nun nichts weiter übrig, als weiter zu trainieren und sich eben neue Motivationen als Ersatz für die zielorientierenden Wettkämpfe zu schaffen ...
" ... in Absprache mit den zuständigen Behörden in Nordrhein-Westfalen (Düsseldorf) und auf der „Basis der aktuellen Verordnungslage“, so hieß es in der DTB-Mitteilung lapidar, sei die Ausrichtung der Deutschen Meisterschaften als Multisport-Event (Gerätturnen, Gymnastik, Trampolin) nicht möglich!
Nicht möglich ...?
Auch nicht, wenn in einer Individualsportart, wie dem Kunstturnen, alle nur möglichen Vorsichts- und Hygienemaßnahmen bedacht und mit Akribie durchgeführt werden, die ein Ansteckungsrisiko auf ein vertretbares Minimum reduzieren ...! Nicht möglich ...?
Hätte sich doch der Präsident des 5-Millionenverbandes der Turner letztes Wochenende mal in Schwäbisch Gmünd die vorbildliche (wenn auch extrem aufwändige!) Organisation der Deutschen Jugendmeisterschaften persönlich vor Ort angesehen! Das war - in der PROFI-SPORTART (!) Kunstturnen - auch eine beispielhafte und kreative Umsetzung von "Verordnungslage", wie man nämlich im abitionierten Spitzensport den Kindern und Jugendlichen ihre Chance auf Sportvergleiche und damit ihre Motivation fürs Weitermachen erhalten kann! Vorbildlich und wirkungsvoll "anti-coronal"!!
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Vielleicht hätte danach Herr Dr. Hölzl den Mut aufgebracht mit Selbstbewusstsein des nach Fußball zweitgrößten nationalen Mitgliederverbandes und im Sinne seiner PROFI-Athleten zu widersprechen: Dass nämlich eine solche Organisationsleistung, die die Schwaben zelebriert haben, auch den Meisterschafts-Organisatoren in Nordrhein-Westfalen eine Woche danach zuzutrauen wäre!!
Da sitzen nun in heimischen Turnhallen Deutschlands Gerätekünstler zusammen - denen eh' nicht eine solche öffentliche Aufmerksamkeit zuteil wird, wie jenen Akteuren der Spielsportarten - haben mit ihren Trainern knallharte Belastungswochen vor ihrer Meisterschaft hinter sich, ... und suchen nun wieder nach neuen, adäquaten Lösungen.
"Verständnis einerseits, ja, dafür ist diese Pandemie auch viel zu gefährlich", so Halles Trainer Hubert BRYLOK, "... aber die Verhältnismäßigkeit kann ich nicht nachvollziehen! Wie kann es sein, dass im Fußball der Spielbetrieb bis hinein in zweit- und unterklassige regionale Ligen weitergehen kann, aber so eine phantastische Deutsche Jugendmeisterschaft für uns nicht als Blaupause dafür dient, auch unsere nationalen Meisterschaften der Profis nach eben diesen Hygieneregeln durchzuziehen,... übrigens, meine Athleten Lukas Dauser und Nils Dunkel sehen das genauso?!"
Doch die Welt des Sports ist eben in Fußball und die "restlichen Sportarten" eingeteilt, egal ob Spitzen- oder Breitensport. Grundsätzlich aber sollte man generell stärker jenen vertrauen, die in der Praxis vor Ort die Kompetenzen besitzen statt "Verordnungen" pauschal durchzuziehen. Oft ist dabei der Schaden wesentlich größer, als jener, vor den man die Praxis eigentlich bewahren will! Das gilt in allen Sportarten, auch im Fußball!
(C) gymmedia / Eckhard Herholz
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♦ R E A K T I O N E N |
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"Die Meisterschaftsabsage ist traurig, aber vernünftig"
- so zumindest eine erste Reaktion aus dem deutschen Frauenturnlager.
Chemnitz' Trainerin Gabi FREHSE: "Ich habe nichts anderes erwartet! Wenn man auf die heutigen Neuinfizierungen blickt - knapp 20.000 (!) - kann man doch mit seinen Mädchen kein Risiko eingehen, und unbekümmert auf Tour gehen! Da geht's doch nicht nur um noch so gut abgesicherte Wettkampfabläufe. Da geht's auch um An- und Abreise, um Hotelsituationen, um Verpflegungs- und Betreuungsbedingungen ...!
Natürlich waren meine Kaderturnerinnen vor dieser Meisterschaft auch hoch belastet und sind traurig über die Absage, aber viel wichtiger ist es, dass das Training bis jetzt weiterlaufen kann - wenn nicht - das wäre dann ein echter Rückschlag. Vom Training freigestellt haben wir bisher nur die jüngeren Mädchen der 1. bis 3. Klasse. Aber hier haben wir uns auch 'was einfallen lassen: Da gehen unsere Trainerinnen z. B. mit in den Sportunterricht und unterstützen dort das Athletiktraining oder unternehmen mit den Mädchen Waldläufe in freier Natur!"
... also: Schlimmer wä's , wenn nix mehr ginge!"
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Elisabeth SEITZ (MTV Stuttgart) ernüchtert, aber realistisch:
"In diesem Jahr schockiert mich nichts mehr. Das krasseste war die Olympiaverlegung. Danach war klar, dass es nur darum geht, die Pandemie in den Griff zu bekommen."
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Andreas TOBA (TK Hannover), mit Verständnis:
„Ich hätte sehr gerne meinen Meistertitel im Mehrkampf verteidigt. Aber es soll einfach 2020 nicht sein.
Es ist für uns alle eine harte Zeit!"
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♦ Elisabeth SEITZ und Kim Bui zur Situation in Stuttgart
- ARD-MITTAGSMAGAZIN vom 06.11. 2020 -
... und wie trifft Corona den Breiten- und Vereinssport ...?
"Auch wir vom TV Blau-Gelb 90 Bad Düben können angesichts der Lage, ungerechter Absagen und vieler undurchsichtiger und unterschiedlich auszulegenden Hygieneverordnungen nicht mehr länger die Füße still halten", schrieb Vereinschef Steffen BROST und hatte sich gar mit einem Brief an Sachsens Ministerpräsident Michael KRETSCHMER sowie an Sachsens Bundestagsabgeordneten Marian WENDT gewandt. ►► Schreiben an Sachsens Staatskanzlei
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♦ Wie ernst jedoch Sachsens Politiker die Pandemiesituation mit Blick auf's Ganze nehmen, zeigt die prompte und schnelle Rückantwort der sächsischen Staatskanzlei innerhalb von nur drei Tagen! ►► Antwortschreiben, Staatskanzlei
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♦ Daruf die Stellungnahme des Vereinsvorsitzenden des TV Blau-Gelb 90:
"Erst einmal freue ich mich, das beide auf unser Schreiben überhaupt so schnell geantwortet haben. Das ist nicht so selbstverständlich! Die Antworten haben uns nicht überrascht. Uns war im Vorfeld sehr wohl bewusst, dass durch uns keine Verordnung ausgehebelt wird. Die Pandemie ist da und ist schlimm. Dennoch wollten uns Gehör verschaffen und auf unsere Situation nachdrücklich hinweisen. Denn nach wie vor finden wir es in Teilen ungerecht, wie mancherorts verfahren wird. Hier ist 'was möglich, anderen Orts wiederum nicht. In Mecklenburg Vorpommern z. B., dürfen Städte und Gemeinden selbst entscheiden, wie der Vereinssport weiter läuft. Schuld an den ganzen Dilemma und Durcheinander sind auch die immer wieder unterschiedlichen Formulierungen zu den Dingen, die erlaubt oder verboten sind.
Wir hoffen, dass bei dem Treffen der MP's in zwei Wochen der Sport wieder auf die Tagesordnung kommt und vielleicht neu entschieden wird, damit der Vereinssport nicht wie im Frühjahr schon wieder wochenlang brach liegt.
Steffen BROST
* Vorsitzender TV Blau-Gelb 90 Bad Düben
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* MEINUNGEN dazu ...:
Dr. Jens Rudat |
.... vielen Dank für den Tacheles zum Thema „Motivationskiller“!
Die Absage der DM war zu befürchten, ändern können wir es nun nicht mehr. Dennoch würde man sich von „denen da oben“ zumindest etwas mehr Bedauern und Unverständnis wünschen, noch mehr zur erneuten Schließung sämtlicher Sportangebote (dem „Fußvolk“ geht es leider nicht so gut wie der Bundestrainerin und den zitierten Kaderathlet*innen) – trotz erheblicher Investitionen an Geld und ehrenamtlicher Zeit in adäquate Hygienekonzepte, die in der Regel hervorragend gegriffen haben.
Die Ansteckungsgefahr in Sportvereinen kann mit Fug und Recht als geringer angesehen werden als die im Alltag, bei gleichzeitig jederzeit gegebener Nachvollziehbarkeit von Infektionsketten (was z.B. bei Fahrten im ÖPNV nicht der Fall ist).
In unserem Verein ist es im vergangenen halben Jahr zu KEINEM Ansteckungsfall in unserem verantwortungsvoll kontrollierten Sportbetrieb gekommen, und dies ist auch in den mir bekannten (nicht eben wenigen) anderen Vereinen der Regelfall. Die auf politischer Ebene beschlossenen Maßnahmen treffen definitiv die Falschen, die zum Wiederaufflammen bzw. zur Verbreitung nichts beigetragen haben – vgl. dazu u.a. auch den Artikel Im Sport gab es keine Hotspots, der dieser Tage in der FAZ erschienen ist.
Dass auch wir Turner (alle 5 Millionen) unseren Teil zur Eindämmung beitragen müssen, steht außer Frage. Aber im Hinblick auf die weitere Entwicklung und drohende längerfristige Maßnahmen sollte zumindest zwischen den Zeilen erkennbar sein, dass wir mit den Schließungen und Absagen kein "Schuldeingeständnis" verbinden. Dies sichert außerdem das Vertrauen insbesondere der älteren Vereinsmitglieder in unsere außerordentlich erfolgreiche Arbeit zur Sicherung der Gesundheit aller Aktiven wie auch der Gesellschaft allgemein.
Nebenbei bemerkt:
Als Hauptursache für vorzeitiges Ableben nach Rauchen und Alkohol gilt hierzulande übrigens der (nun quasi gesetzlich verordnete) Bewegungsmangel – siehe dazu den Bericht des Statistischen Landesamtes von 2019 vorzeitige Sterblichkeit und verlorene Lebensjahre in BaWü. Laut WHO verursacht Bewegungsmangel in Deutschland rund 65.000 Tote pro Jahr; das wird COVID-19 nicht annähernd schaffen. Details mit Zahlen und Quellenangaben für Deutschland ab S. 36 im Report des Centre for Economics and Business Research The economic cost of physical inactivity in Europe – Zitat:
"Inactivity is estimated as being responsible for 7.5% of all deaths in Germany […] These are lives which could have been saved if these individuals had adopted lifestyles involving the requisite levels of physical activity."
Auch hierzu würde ich mir als Turner wie auch als Wissenschaftler eine Stellungnahme des DTB-Präsidenten wünschen.
Viele Grüße aus Karlsruhe!
Jens Rudat,
turnender Mikrobiologe und „Hygienebeauftragter“ beim TSV Grötzingen
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⇒ ... noch ein NACHTRAG von mir (11.11.2020)
" ... mittlerweile scheint man es beim DTB auch begriffen zu haben, die Forderungen sind einleuchtend richtig und lesenswert, dort heißt es u. a.: :
♦ D T B-info ---: Der Vereinssport wird im aktuellen Beschluss pauschal mit allen anderen Freizeiteinrichtungen gleichgestellt und entsprechend untersagt, dabei ist der Vereinssport mehr als pures Freizeitvergnügen. Wie der Sportentwicklungsbericht regelmäßig deutlich macht, sind die Sportvereine in Deutschland eine herausragende gesellschaftspolitische Kraft. Sie sind Träger bürgerschaftlichen Engagements1, Gesundheitsförderer2, Integrationsleister3, Arbeitgeber und ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor4. Sport ist zudem ein elementarer Bestandteil der Bildung und er ist Bestandteil des Kulturgutes in unserem Land, deshalb sind jegliche Einschränkungen zu begründen.
Unsere Forderung an die Politik lautet deshalb:
Hoffen wir mal, dass die o. g. Forderungen auch „oben“ ankommen – z.B. via Eberhard Gienger; der hätte ja als langjähriges MdB sowie als Vorsitzender der Arbeitsgruppe Sport und Ehrenamt und sportpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion die politischen Möglichkeiten [Quelle: siehe hier].
Viele Grüße!
Dr. Jens Rudat (Dipl.-Biol.)
Akademischer Rat/Gruppenleiter "Biokatalyse"
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
BLT_II: Technische Biologie
** ... siehe dazu auch
►► Berichte/Beschlüsse der 44. Sportministerkonferenz (12.11.2020)