Helmut GERSCHAU |
Einer der profiliertesten großen Trainerlegenden Deutschlands, aus der berühmten Leipziger Turnschule, Helmut GERSCHAU, ist am Samstag nach kurzem, schweren Leiden im Alter von 84 Jahren überraschend verstorben. Seit Beginn der fünfziger Jahre bis zur politischen Wende hat er zahlreiche Turnerinnen der Messemetropole zu international herausragenden Leistungen und als verantwortlicher Trainer viele DDR-Mannschaften in internationalen Vergleichen geführt. Schon mit seiner ersten Leistungsgeneration setzte er Akzente und hatte großen Anteil daran, dass bereits zu Beginn der 60'er Jahre des vergangenen Jahrhunderts DDR-Turnerinnen eindrucksvolle Siege - wie 1961 EM-Gold am Sprunggerät durch Ute Kahlenberg-Starke - feiern konnten. Insbesondere mit seiner außergewöhnlichen Persönlichkeit, die es trotz konsequent-harten Forderungen nie an nahezu väterlicher Zuwendung zu seinen Schützlingen fehlen ließ, hat er tiefe Spuren in den Herzen all' seiner ihm anvertrauten Turnerinnen hinterlassen. Ein beeindruckender Berufsweg und ein engagiertes Leben haben sich nun vollendet, und bleiben in bester Erinnerung bei allen, die ihn als Experten, Kollegen und Freund schätzen und lieben gelernt hatten ...:
Vater Gerschau beim Training der Tochter Kerstin: Korbut-Flickflack Anfang der Siebziger |
... schwer war es zu Beginn!
Am 19. Oktober 1933 bei Königsberg geboren, der Vater blieb im Krieg, seine Mutter starb recht früh, Flucht vor den Russen im Viehwaggon ... bekam Helmut Gerschau als Kind die ganze Unmenschlichkeit des II. Weltkrieges mit, kam mit 11 Jahren zu einer ihm fremden Frau auf Sylt, später für 11/2 Jahre zu einer ebenfalls völlig fremden Familie auf ein Dorf bei Wismar. Als Kind aber kam ihm dies alles eher wie ein "großes Abenteuer" vor. Trotzdem spürte auch er, wie schwer es Flüchtlingen fiel, sich zu integrieren. Noch bis ins hohe Alter hatte sich der nordische, angenehme Slang seiner Stimme auch im Leipziger Raum erhalten.
Anfang der Fünfziger war zunächst die damalige "Kasernierte Volkspolizei" seine erste Station in der DDR, wo er als 17-Jähriger auch erstmals mit den "Turnergesellen" in Kontakt kam. Deren weiße "Schäferhosen" und ihre Exaktheit imponierten dem Jugendlichen mächtig, ihre Aktionen empfand er als sehr ästhetisch und das animierte ihn selbst aktiv zu werden. Und das führte ihn dann zum damaligen Leistungszentrum der späteren Nationalen Volksarmee, zum Armeesportklub (ASK) Potsdam, zu Cheftrainer Rolf Bauch.
Helmut Gerschaus erste Stelle als Übungsleiter bzw. Trainer für Frauenturnen war aber dann schon in Leipzig, erst an der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK), später dann in Paunsdorf (bei Leipzig), dort, wo er bis zuletzt lebte. Auch wenn der Beginn und das Training in einer Baracke alles andere als luxuriös waren, er bezeichnete dies stets als "seine schönste Zeit"! Hier hatte er z. B. Kontakt mit der sowjetischen Turnlegende Natalja Kutschinskaja, die als Gasttrainerin ihre Erfahrungen weitergab.
Helmut Gerschau führte als verantwortlicher Trainer viele DDR-Nationalmannschaften in den Wettkampf |
Schon mit seinen ersten Leistungsgeneration setzte Helmu Gerschau turnhistorische Akzente, gehörten doch z. B. die spätere erste deutsche Europameisterin Ute Kahlenberg-Starke (EM 1961, 1. Sprung) zu seinen Schützlingen, sowie die Nationalmannschaftsturnerinnen Eva Brehme, Maritta Bauerschmidt, Ursula Trensinger, Gerda Adloff und Balken-Weltmeisterin Erika Zuchold. Nach damaligem Reglement durften sich allerdings Männertrainer im Frauenturnen nicht öffentlich präsentieren - zumindest waren sie nicht als Betreuer auf dem Podium bei Wettkämpfen zugelassen - so dass sie auch immer ein wenig "unter Wert" vor der Öffentlichkeit blieben.
Nichtsdestotrotz leisteten sie die Hauptarbeit im Trainingsalltag und bei so mancher Erfindung des Frauenturnens. So war es z. B. Helmut Gerschau, der die Olympiapflichtübung für Montreal 1976 schrieb, und auch der sog. "Leipziger Handstand" am Stufenbarren stammt aus seinem Kopf, bzw. auch aus seiner Feder, denn seine künstlerischen Begabungen äußerten sich z. B. auch in ästhetischen Figuren trainingsmethodischer Schriften und Programme und waren berühmt!
Vater Gerschau, Tochter Kerstin (1972); " .... ich spüre heute noch sein Streicheln auf der Wange!" |
Auch die Folgegenerationen verdanken ihrem Trainer Gerschau viel, wenn sich auch der "Pillenknick" in den siebziger Jahren auf besondere Weise auch im modernen Kunstturnen bemerkbar machte: Denn auch die Teenies der DDR wurden selbstbewusster, ihre Führung wurde für die Trainer bei der Durchsetzung der Leistungsziele nicht einfacher. Oft musste dann eben auch "der Freund" zugelassen werden, wenn auch manchmal nur "zähneknirschend". Aber die Mädchen dieser Jahrgänge, wie Steffi Kräker oder Marion Kische, wussten sich auch durchzusetzen und so entstand insgesamt zwischen dem "Psychologen" Gerschau und ihnen ein nahezu ideales Vertrauensverhältnis, wie das seine Tochter Kerstin Kurrat-Gerschau - die Vize-Europameisterin am Boden (London 1973) noch heute beschreibt:"Ja, er war schon der Psychologe, der vor allem mit Worten, seiner Sprache und viel Witz regierte... ich sehe ihn noch heute bildlich vor mir ...vorwiegend im Sessel beim Training sitzend, den er nur selten verließ, trotzdem aber absolut alles im Griff hatte ...!"
Ein Mann großer Ideale!
Helmut Gerschau hat in erster Linie für seine Sportart gearbeite, für deren Ideale, nie fürs Geld! Reich ist er deshalb in der DDR nie geworden. Abgesichert, ja das war man aber in diesem Teil Deutschlands. Olympia jedoch, hat dieser Mann selbst nie erleben dürfen. Da fuhren damals andere hin. Währenddessen machte er z.B. Urlaub. Was seine Turnerinnen dann in München oder Montreal machten, dass versuchte er am Strand per Radioreportage zu erfahren, hing doch von deren Erfolgen auch in der DDR die Einstufung des Trainergehaltes und des Status ab .... Mitfahren zu den großen Wettbewerben, das passierte eher selten. Als einmal die Frankfurterin Franka Voigt einen Wettkampf in Spanien hatte, verzichte Helmut Gerschau zugunsten seines Trainerkollegen Helmut Schwarzbach, damit der einmal seinen Schützling betreuen konnte -
Auch die Mädchen seiner letzte Trainingsjahrgänge, wie Bettina Schiefferdecker, Jana Vogel, Birgitt Senff oder Tanja Köste waren allesamt von internationalem Spitzenniveau, kamen aus seinen Händen und repräsentierten mit dieser "Leipziger Turnschule" absolute Weltklasse im globalen Frauenturnen!
Im 57. Lebensjahr kam die politische Wende, für ihn als ein plötzlicher, messerscharfer beruflicher Einschnitt: Vorruhestand! Man wurde nicht mehr gebraucht, einfach für "nicht weiter verwendbar" erklärt! Für einen Mann der Ideale, wie Helmut Gerschau, etwas Unfassbares!
Nur schwer war dieser Absturz zu verkraften, war er doch beruflich noch längst noch nicht am Ende.
Helmut Gerschau in Japan: Auch hier ließ er sich nicht verbiegen ...! |
Noch einmal kam Hoffnung auf, als Helmut Gerschau ein Job-Angebot Anfang der 90'er Jahre aus Japan erhielt. Für 5 Jahre sollte er dort gemeinsam mit seiner Ehefrau Regina die japanischen Mädchen für die Weltmeisterschaften 1995 in Sabae vorbereiten. Was folgte, waren zwei sehr erfolgreiche Jahre, auch weil er dort erstmals auch als Spitzentrainer ordentlich bezahlt wurde. Und weil er dort versuchte, die schwierigen Umstände, unter denen damals die japanischen Mädchen sich befanden, menschlich abzufedern: Oft waren die Turnerinnen weit von ihren Eltern entfernt, oft tausend Kilometer und mehr, waren in ihrer Freizeit zumeist ohne jegliche Betreuung, im Winter oft mit unpassender Kleidung, so dass Familie Gerschau auch außerhalb des Trainervertrages Großes leistete...
Als aber Helmut Gerschau sich nach zwei Jahren weigerte, "härtere Methoden" bei der Leistungsentwicklung anzuwenden, wurde sein Vertrag vorzeitig gelöst. Ein chinesischer Coach übernahm dann das Amt ...!
Als Helmut Gerschau die WM 2011 in Tokio als Gast besuchte, traf er auf Eltern dieser Kinder von damals, die ihren Dank trotz langer Anreise persönlich bei ihm abstatteten!
... schmerzlicher Verlust! |
Viel zu langer, unfreiwilliger Ruhestand!
Damals, 1992, mit seinen erst 59 Jahren, hatte man bei Rückkehr für den Experten und Spitzenturntrainer in Deutschland keine Verwendung. Um existenziell zu bestehen, musste ein solcher Mann jahrelang seine Rente aufbessern, irgendwie ....! Auch dies sind - und gar nicht so selten - ostdeutsche Einheitsgeschichten, die man bei der Bewertung von Geschichte keineswegs vergessen sollte...!
So lebte er die letzten Jahre als Privatier in Leipzig, viel spielte sich in seinem Garten ab, doch die eigene Turnkarriere bestand für ihn nicht nur aus bloßen Erinnerungen, sondern lebte in vielen, herzlichen Beziehungen, die seine ehemaligen Kollegen und Schützlinge zu ihm weiterhin hatten und pflegten.
Nicht nur seine Gattin, seine Töchter und sein Sohn und seine Enkel überraschte nun der Tod mit seiner Unerbittlichkeit, auch allen Feunden und Mitstreitern, die ihn kennenlernen durften, wird er sehr fehlen.
Nicht nur ein Großer der Trainerzunft - eine große menschliche Persönlichkeit hat uns verlassen - das schmerzt unendlich!
(c) gymmedia / -ehe -
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► Früherer Nationaltrainer Helmut Gerschau ist gestorben (LVZ)