|
Bruno Grandi FIG-Präsident
|
Während den kürzlichen Tagungen der führenden Gremien des internationalen Turnverbandes FIG in Zürich gab der italienische Präsident des Turn-Weltverbandes F.I.G., Bruno Grandi in einem offenen Interview mit dem Pressechef des Schweizer Turnverbandes STV, Erwin Hänggi, Auskunft über die Probleme und die Zukunft der FIG sowie seine persönlichen Ansichten zu vielseitigen Entwicklungsproblemen des Weltturnsports....
|
Bruno Grandi - immer dicht an der Praxis, hier im Gespräch mit Geräteproduzent Jac Janssen
|
Der italienische FIG-Präsident Bruno Grandi, der 'Weltturner Nummer 1', gehört zu jenen Sportführern, die ihre Tätigkeit vollamtlich ausüben. Obwohl schon im 70. Altersjahr stehend, möchte er immer noch Ideen verwirklichen, die er für richtig hält, um den Turnsportes auf allen Ebenen weiter zu entwickeln.
Als ehemaliger Kunstturner und Trainer, aber auch als Pädagoge, später als Professor und Funktionär auf allen Stufen mit einer philosophischen Ader, erkennt er die Probleme des modernen Leistungs- und Breitensportes. Der Präsident der FIG, eines der einflussreichsten Verbände der olympischen Familie, sitzt an den Schalthebeln, um politische Entscheide zu fällen oder sie zu beeinflussen.
Er ist aber immer noch der Praktiker, wie das folgende Interview beweist, der, in Geist und Körper
jung geblieben, über den eigenen Tellerrand hinaussieht und im technischen Bereich die Tendenzen analysiert, um entsprechende Änderungen einzuleiten, Impulse zu geben.
Solche Eigenschaften zeichnen einen Sportführer aus, der zwar Realist, zugleich auch Visionär sein muss. Die FIG kann sich glücklich schätzen, einen Präsidenten an der Spitze des Verbandes zu haben, der die Fairness, die Chancengleichheit aller Sportler in den Vordergrund rückt und sich selbst als Diener am Turnsport sieht.
FIG-Präsident Bruno Grandi im Interview
.. mit Erwin Hänggi, Medienchef des STV
Hänggi:--Was kann die FIG, die Fédération Internationale de Gymnastique, wie der Weltverband offiziell heisst, bei seinen 122 Mitgliederverbänden bewegen, welches sind die wichtigsten Impulse, die verbreitet werden?
Bruno Grandi: Unser Ziel ist es, eine sportliche Philosophie in jenen Ländern einzubringen, die zurückliegen, eine Turnkultur weltweit zu verbreiten. Wir wollen an die Schwächeren denken und versuchen, für alle die gleichen Voraussetzungen zu schaffen. Die Realisation, beispielsweise in Entwicklungsländern, ist schwierig. Es nützt nichts, wenn man einen Trainer hinschickt, der kurzfristig arbeitet und eine Gruppe formt, die dann erfolgreich ist, und wenn die Person weg ist, nichts mehr läuft. Kontinuität ist gefragt, aber die ist nur möglich, wenn die Kultur eingebracht wird, wenn man Schritt für Schritt eine Art Mosaik schafft. Wir denken auch an die Schaffung von sogenannten Altersgruppen, vor allem im Frauen-Kunstturnen. Und schliesslich engagieren wir uns im Kampf gegen die Korruption und das Doping.
Mehr Gewicht der Kunst anstatt der Akrobatik
Thema Kunstturnen Männer. Sie waren selbst Kunstturner, Trainer, sind also nicht nur Verbandsführer, sondern auch Praktiker. Führt der Weg hin zu noch grösserer Akrobatik oder wird der Kunst, der sauberen Ausführung, mehr Gewicht gegeben?
Bruno Grandi: Zuerst möchte ich sagen, dass die Technischen Komitees die Entwicklung steuern. Wir können nur Impulse geben. Die Tendenz geht aber eindeutig in Richtung gute technische Ausführung. Die gute Kontrolle des Körpers, die Harmonie, die Kombination der Elemente sollen mehr Gewicht erhalten. Die Kunst, die der Sportart auch einen Teil des Namens gab, soll bei der Taxation mehr Gewicht haben. Ich erinnere mich an die Weltmeisterschaften in Anaheim: Zwei Übungen am Reck, eine gespickt mit Höchstschwierigkeiten, zum Teil liederlich ausgeführt, eine andere, ebenfalls mit dem Ausgangswert 10, aber nicht so spektakulär, aber besser benotet, was die Zuschauer, die das Spektakel wollen, nicht goutierten. Die Entscheidung war richtig. Mit andern Worten: Weniger ist manchmal besser. Daran müssen wir uns orientieren.
Beim Frauen-Kunstturnen wird an Olympischen Spielen ein Minimalalter von 16 Jahren gefordert, viele möchten diese Limite erhöhen. Das widerspricht jedoch der Tendenz, dass junge Mädchen Höchstschwierigkeiten schneller lernen und bereits mit 12, 13 Jahren Topübungen bieten können. Wie stellt sich die FIG zu diesem Problem?
Bruno Grandi: Ich persönlich finde es schade, dass an internationalen Wettkämpfen, die vom Fernsehen weltweit übertragen werden, wenig ältere, reife Turnerinnen zu sehen sind. Bei den Weltmeisterschaften 2003 in Anaheim lag der Altersdurchschnitt aller Turnerinnen bei 16,5 Jahren, ganze sieben Turnerinnen waren 20-jährig oder älter. Bei den Europameisterschaften 2002 in Patras lag der Altersdurchschnitt bei der Elite noch tiefer. Wir haben bereits vor drei Jahren den Kontinentalverbänden vorgeschlagen, Wettkämpfe mit Altersgruppen durchzuführen, also Jahrgangwettkämpfe für 11, 12, 13 Jahre usw. Dabei sollen Pflichtelemente dem Alter entsprechend gefordert sein. Wir versprachen auch finanzielle Unterstützung. Geschehen ist nichts, kein Vorschlag ist gekommen, nichts ist passiert. Es ist doch schade, dass beim heutigen System das Kunstturnen von 14-jährigen Mädchen bereits aufgegeben, aus welchen Gründen auch immer. Da müssen wir Gegensteuer geben.
Kampf gegen Korruption und Doping
Von der Rhythmischen Gymnastik liest man - ausserhalb der grossen Wettkämpfe - in der Presse nur etwas, wenn wieder ein Skandal passiert ist: Korruption bei den Kampfrichterinnen, Doping. Dass die FIG es in Sachen Doping ernst meint, ist erwiesen, wurden doch in den letzten zwei Jahren vier der fünf weltbesten Gymnastinnen nach einer positiven Probe gesperrt. Aber für das Image der Sportart ist dies schlecht. Wie sieht die Zukunft aus?
Bruno Grandi: Im Doping bleiben wir hart, unser Weg ist richtig. Was die Kampfrichterinnen betrifft, haben wir ebenfalls bereits durchgegriffen. Nach den Weltmeisterschaft 2000 in Saragossa wurden 32 Judges gesperrt. Sie durften drei Monate später an den Olympischen Spielen 2000 in Sydney nicht dabei sein. Wir haben ein spezielles Brevet geschaffen. An Weltmeisterschaften können nur noch Judges eingesetzt werden, die im Besitz dieses Ausweises sind, und wir haben auch schon vierjährige Sperren ausgesprochen. Wir werden noch weiter gehen: Wenn eine Kampfrichterin gesperrt wird, hat ihr Land an der nächsten WM im Kampfgericht keinen Anspruch auf einen Platz. Das ist eine harte Sanktion. Wir wollen aber auch den andern Weg gehen und besonders gute, korrekt wertende Kampfrichterinnen auszeichnen, und zwar offiziell, vor dem Publikum, um zu zeigen, wer unserem Sport ehrlich dient und nicht ein Land sieht. Damit wollen wir einen Anreiz schaffen, auf Machenschaften zu verzichten.
Die FIG hat in den letzten Jahren neue Sportarten integriert: Trampolin, Sportaerobic, Sportakrobatik. Sind sie zufrieden mit den bisher erreichten Zielen?
Bruno Grandi: Das Trampolin hat durch die olympische Anerkennung den erwartet starken Aufschwung erhalten. An der WM 2003 in Hannover erlebten wir eine wahre Explosion mit - inklusive Minitramp und Tumbling - rund 1.500 Turnerinnen und Turnern. Bei der Aerobic und der Akrobatik ist dies etwas anders, da fehlt im Gegensatz zum Trampolin die Tradition des Wettkampfes. Die Show stand früher im Vordergrund. Die Integrierung dieser Sparten geht langsam vor sich. Alle, Trainer, Aktive, müssen zuerst an die Gepflogenheiten gewöhnen, die in einem Sportverband vorherrschen.
Gymnaestrada: Ein Fest für alle - von 3 bis 80 Jahren
Die Gymnaestrada 2003 in Lissabon war sportlich ein grosser Erfolg. Man hatte allerdings das Gefühl, dass die FIG bei den Organisatoren zu wenig Einfluss genommen hat, dass das 'Controlling' fehlte. Wie sieht die Zukunft des Allgemeinen Turnens aus, wie das für den Breitensport verantwortliche Technische Komitee offiziell heisst?
Bruno Grandi: Es ist ein Anliegen von uns, das Allgemeine Turnen weiter zu fördern. Wir denken beispielsweise daran, dass man jeweils in den ungeraden Jahren Gymnaestraden durchführt, einmal, beispielsweise 2005, kontinental, danach 2007 weltweit. Was Lissabon betrifft, ist uns klar geworden, dass man die Eröffnungs- und Schlussfeier nicht einfach dem Organisator überlassen kann. Das wird sich ändern. Ich denke, dass man auch versuchen sollte, mehr Jugendliche zwischen 5 und 8 Jahren zu integrieren. Die Gymnaestrada soll ein Fest für alle Turnerinnen und Turner von 3 bis 80 Jahren sein. Ich persönlich finde, dass weniger Show mit teuren Kostümen und einer Superchoreographie geboten werden sollte. Natürlich dürfen das Spektakel und die zeitgemässe Musik nicht fehlen. Sie sollten aber als Mittel zum Zweck eingesetzt werden. Die Gymnastik sollte im Vordergrund stehen.
Wird es in nächster Zeit neue Wettkampfformen geben? Im Kunstturnen wurde dank Ihnen eine Straffung erreicht, so dass die Finalwettkämpfe heute in einem zeitlich erträglichen Rahmen ausgetragen werden. Welche Neuerungen streben Sie an?
Bruno Grandi: Im Moment wollen wir die jetzigen Wettkämpfe stabilisieren, keine neuen kreieren. Was wir anstreben, ist eine Vereinheitlichung der Wettkampfvorschriften für alle Bereiche. Für den Nicht-Fachmann ist alles viel zu kompliziert, immer wieder anders. Beispielsweise soll im Kunstturnen zwischen dem Code der Männer und der Frauen eine gewisse Vereinheitlichung erfolgen. Die Gemeinsamkeiten sind gross: das Reckturnen entspricht dem Stufenbarren, der Pferdsprung ist gleich, usw. Zudem sollen in Zukunft die Wettkampfvorschriften acht und nicht wie bisher vier Jahre lang gültig sein.
Eine weitere Amtsperiode...?
Die Projekte der FIG, die Solidarität mit den schwachen Ländern, die Trainer- und Kampfrichterschulung, die ganze technische und administrative Führung des Verbandes kosten viel Geld. Ist die Finanzierung gesichert?
Bruno Grandi: Wir haben gute Verträge, wir partizipieren dank den Einschaltquoten sehr stark an den TV-Einnahmen der Olympischen Spiele. Das sichert Kontinuität und Stabilität. Um alle Aufgaben zu bewältigen, arbeiten wir mit einem Jahresbudget von 5 bis 6 Millionen Schweizerfranken. Beim Fernsehen sind wir - abgesehen von Olympia - auf die Leistungen und Erfolge der einzelnen Nationen angewiesen. Ein Beispiel: Nach dem WM-Sieg der Brasilianerin Dos Santos im Bodenturnen konnten wir mit einer brasilianischen Fernsehanstalt einen Vertrag abschliessen.
Letzte Frage: Wird Bruno Grandi beim FIG-Kongress im Oktober 2004 in Antalya in der Türkei für eine dritte vierjährige Amtsperiode kandidieren?
Bruno Grandi: Ich weiss, dass es mehrere Kandidaten gibt, und möchte mich noch nicht festlegen. Wir haben noch einiges zu tun, es sind noch nicht alle Ideen, die ich auf den Weg gebracht habe, verwirklicht. Mein Ziel war immer, dass wir Fortschritte erzielen, offen sein müssen für Neuerungen, aber auch die Traditionen, die Turnkultur bewahren müssen. Alle Athletinnen und Athleten sollen die gleichen Voraussetzungen haben. Dadurch geniessen wir ihr Vertrauen.
Das Gespräch führte der STV-Medienchef Erwin Hänggi;
GYMmedia-Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des STV.