Birgit Michailoff-Radochla |
In ihrem jährlichen Feriendomizil auf der kanarischen Insel Teneriffa begeht heute Birgit MICHAILOFF- RADOCHLA - die olympische Silbermedaillengewinnerin von 1964 (Tokio, Pferdsprung) - ihren 70. Geburtstag. Vor gut einem halben Jahrhundert stand sie in der japanischen Metropole in der DDR-Bronzeriege, war Vierte im Mehrkampf sowie am Boden und gewann hinter der legendären Vera Caslavska (CSR) und gemeinsam mit der sowjetischen Star Larissa Latynina Silber am Sprunggerät. Damit war Birgit Radochla die erste deutsche Turnerin, die eine olympische Einzelmedaille gewann.
Schon mit 16 Jahren wurde Birgit Radochla 1961 in Eisenach jüngste DDR-Mehrkampfmeisterin der Geschichte und gewann insgesamt sieben Landesmeistertitel ...
Birgit Michailoff-RADOCHLA mit Ex-Sportjournalist und Buchautor Hans-Jürgen 'Zappel' ZEUME unlängst bei einem Ehemaligentreffen im Sportmuseum Berlin
Ihr erster Trainer in Döbern (Lausitz) war ihr Vater Helmut R a d o c h l a, der vor 1936 selbst Ersatzturner der deutschen Männerriege war, die in Berlin olympisches Mannschaftsgold errang. Bei den 16. Deutschen Meisterschaften 1949, die 1949 in Leipzig zugleich die 1. DDR-Meisterschaften waren, wurde Vater Helmut erster Meister am Pauschenpferd. Seine Tochter Birgit schickte er später an die Kinder- und Jugendsportschule Forst, zum kriegsgeschädigten, einarmigen Trainer Klaus Hellbeck, der wiederum Birgit dann zum SC Dynamo nach Berlin delegieren konnte. Als die KJS Forst 2014 ihr 70-jähriges Jubiläum feierte, war auch Birgit in Cottbus (- wohin die KJS in Folge umgezogen war) - zur Festveranstaltung nahm man allerdings nur Bezug auf die berühmten und heute noch sehr erfolgreichen Radsportler - von Birgit Radochla's außergewöhnlichen Leistungen war, kurioser Weise, dort keine Rede ...?!
... bei Training ihrer 'Radochlarolle'. |
Erfinderin "wider Willen"
Mit ihrer Erfindung, der "Radochla-Rolle", legte sie erste innovative Grundlagen für spätere Entwicklungen von Flugelementen. Auch wenn alle Welt spätestens seit den Olympischen Spielen von Tokio von der "Radochla-Rolle" am Stufenbarren spricht ...:
"... eigentlich bin ich doch gar nicht die Erfinderin," so erinnert sie sich heute: "Vor den Olympischen Spielen, im Frühjahr 1964, sah ich bei einem Länderkampf gegen die Tschechinnen von Sparta Prag, von Hana Růžičková diese neue Kombination am Barren. Zu Hause habe ich sie dann mit meinem Trainer Herbert Hoffmann trainiert und es gelang mir, sie zunächst schon bei den DDR-Meisterschaften in Halle und dann auch gleich in der Übung 1964 bei den Olympischen Spielen in Tokio zu zeigen. Dort stellte sich heraus, dass Hana inzwischen ihren Salto rückwärts gegrätscht mit Griffwechsel vom unteren zum oberen Holm nicht mehr in ihrem Vortrag hatte... und so wurde er dann schließlich nach mir benannt."
Ihren größten sportlichen Erfolg erzielte sie 1964 bei den Olympischen Spielen in Tokio, als die Neunzehnjährige gemeinsam mit der 10 Jahre älteren sowjetischen Turnlegende Larisa Latynina und hinter Mehrkampfolympiasiegerin Vera Caslavska (CSR) als erste Deutsche überhaupt eine silberne Einzelmedaille im Kunstturnen gewann:
* GYM v i d e o ---: Pferdsprung-Finale - Tokio 1964
... mit Birgit RADOCHLA (GDR; - dritte Turnerin)
* Youtube (299)
Einst jüngste deutsche Turnmeisterin
Ziemlich locker und unbeschwert holte sich Birgit mit erst 16 Jahren in Eisenach den DDR-Mehrkampfmeistertitel, verletzte sich doch die große Favoritin Ingrid F ö s t zuvor und Mitkonkurrentin Ute S t a r k e fiel vom Balken. Ziemlich verwundert war sie damals, als ihre Wirtin - die Unterbringung erfolgte in Privatquartieren - plötzlich ein Autogramm von dem Teenager wollte, und in Erinnerung ist ihr auch noch das erste Fernsehinterview mit Reporterlegende Harri Schulz geblieben.
1962 gewann sie hinter der erneut siegenden Ingrid Föst die Bronzemedaille im Achtkampf von Görlitz. Ein Jahr später folgte in Magdeburg ihr zweiter Mehrkampfmeistertitel und ihre ersten beiden Goldmedaillen an Sprung und Boden.
Weltmeisterschaften, Olympia und EM
"Obwohl ich schon ziemlich ergeizig war, bin ich zur Turn-WM 1962 ziemlich unbelastet nach Prag gefahren. Ich hatte kaum Hoffnungen auf den Gewinn einer Medaille, so dass ich über den 4. Platz im Pferdsprungfinale sehr glücklich war."
Und 2 Jahre später sollte sie - die als Turnerin immer durch sicher zelebrierte Stände auffiel - als Gewinnerin der olympischen Silbermedaille und damit als erste deutsche Turnerin mit solch einem Einzelerfolg, in die Geschichte eingehen und unterstrich auch als Mehrkampfvierte ihre besonderen Qualitäten als Allrounderin.
Schon 1963 war sie auch für die IV. Europameisterschaften in Paris nominiert, allerdings wurde damals den Turnerinnen der DDR die Einreise verweigert (Hallstein-Doktrin; Alleinvertretungsanspruch BRD) - aus "brüderlicher Solidarität" blieben dann auch die UdSSR und die anderen sozialistischen Länder der EM fern....
Birgit begrüßte 1992 in Kienbaum mit einer Rose die slowenische Turnlegende Leon STUKELJ |
Verspätetes EM-Debüt...
So vollzog Birgit Radochla ihr EM-Debüt erst zwei Jahre später in Sofia und wurde dort erfolgreichste Deutsche: Wie 4 Jahre zuvor in Leipzig Ingrid Föst, so gewann auch sie Bronze im Mehrkampf und stand in allen Finals, holte dort Bronze am Balken und Silber am Boden.
Natürlich stand Birgit Radochla auch auf der Startliste zur Turn-Weltmeisterschaft 1966 in Dortmund, doch zwei Tage davor lief sie beim Training derart unglücklich gegen das Pferd, dass sie verletzt ausscheiden musste.
Auch noch im olympischen Jahr 1968 war sie im Auswahlkader der DDR.
Der Trend hieß: Verjüngung
Allerdings begann sich da schon stark der Trend zur rigorosen Verjüngung abzuzeichnen, der besonders und zuerts in der DDR forciert wurde; da hieß es "die Alten raus" und spätestens seit 1967 machten dann solche jungen Turnerinnen wie Karin Janz, Angelika Striegler, Marianne Noack von sich reden...
Als sich Birgit Radochla zwischen DDR-Meisterschaften und Olympischen Spielen 1968 nach stundenlangen Gesprächen mit dem damaligen DTV-Generalsekretär weigerte, in die SED einzutreten, entstand um sie herum eine eigenartige Stille, ... keine Nominierung mehr ins Olympiateam der DDR,... sie wurde einfach nicht mehr berücksichtigt, kaum noch erwähnt ... so nahm ihre außergewöhnlich erfolgreiche Karriere ein eigenartig "ruhiges" und wenig euphorisches Ende.
Birgit Radochla-Michailoff mit ihrem Gatten Dr. Michail Michailoff |
Vielseitige Ausbildung
So beendete sie 1971 ihre Ausbildung als Kindergärtnerin am Fröbel-Institut Berlin-Köpenik und arbeitete danach als Sachbearbeiterin in ihrem Heimatclub SC Dynamo Berlin.
Nebenbei schloss sie noch per Abendstudium eine Ausbildung als Kosmetikerin bei Berlin-Chemie ab und erwarb zudem zwischen 1974 und 1979 an der Deutschen Hochschule für Körperkultur Leipzig im Fernstudium (Außenstelle Magdeburg) das Trainerdiplom, während sie gleichzeitig als Kosmetikerin im Sporthotel Berlin arbeitet.
Verheiratet ist sie mit dem bulgarischen Forscher und Entwicklungsingenieur (Elektronik) und späteren Journalisten Dr. Michail Michailoff, und man trifft sie zu allen Zeiten bei sportlichen Großveranstaltungen, besonders natürlich bei ihrem geliebten Turnen, dem sie sich dann ab 1978 auch beruflich gewidmet hatte:
Birgit Radochla, Klaus Köste 1999: Olympioniken von 1964 |
Birgit Radochla, mit den 68'er-Olympiaturnerinnen Maritta Grießig-Bauerschmitt und Magdalena Schmidt. |
*Fotos: GYMmedia-Archiv: J. Leisling; P. Frenkel; GYMmedia; K.-H. Friedrich
Red. Zuarbeit: H.-J- Zeume