Ralf Büchner (SC Potsdam), |
KUNSTTURNMASTERS München 1990 ...
Vor 22 Jahren, drei Tage vor dem Vollzug der Deutschen Einheit, trat zum ersten Mal in der Geschichte ein wiedervereintes deutsches Sportteam an: Das waren vier Turner Ost und drei Turner West in einer gemeinsamen Länderkampfriege in der Münchener Olympiahalle, beim sogenannten "KUNSTTURNMASTERS 1990", einem Länderkampf gegen Olympiasieger und Weltmeister UdSSR und die USA.
... ein historischer Wettkampf!
Unter der Schirmherrschaft des damaligen BRD-Innenministers Wolfgang Schäuble standen zum ersten Mal nach zuletzt 26 Jahren - als 1964 in Tokio unter den Klängen von Beethovens "Freude schöner Götterfunke" deutsche Turner in einer Riege in die olympische Arena zogen - nun deutsche Athleten wieder in einer gemeinsamen Mannschaft.
In Eintracht standen da erstmals "neben"einander die Trainer Dieter Hofmann (DDR) und Franz Heinlein (BRD), sowie die Turner-Ost Oliver Walther, Andreas Wecker, Ralf Büchner und Jens Milbradt sowie Mike Beckmann, Rainer Lindner und Ralph-Ingo Kern ...
Die erste wiedervereinte Sportmannschaft der Deutschen Einheit 1990
Olympiahalle München
'Kunstturnmasters 1990: Dreiländerkampf gegen UdSSR und USA
Der damalige Innenminister der BRD, Wolfgang Schäuble, eröffnete als Schirmherr den Wettkampf |
Die Deutsche Einheit und das Turnen
Waren die deutschen Turner sonst in der Vergangenheit ein eher konservativer und schwer zu bewegender Haufen - im Zusammenhang mit dem Vollzug der Deutschen Einheit waren sie fixer als alle anderen:
Am 8. / 9. September 1990 schon vollzogen sie auf dem DTB-Verbandstag in Hannover als erster deutscher Sportverband die Aufnahme der in aller Eile auf Grundlage der neuen Bundesländerordnung des heißen und bewegten Sommers 1990 gebildeten neuen 5 Landesturnverbände.
Fixer noch als Kohl und de Maiziere am 3. Oktober, vereinigten sich die Spitzenturner sogar schon 3 Tage v o r der Deutschen Einheit zu einer ersten, gesamtdeutschen Mannschaft wieder und zogen, so wie zuletzt in Tokio 1964, unter den Klängen der Beethoven'schen Ode "Freude schöner Götterfunke" in die Müncher Olympiahalle ein, und doch war diesmal alles ganz anders:
Einträchtig standen sie nun da nun in einer Linie, wie selbstverständlich und waren doch eben noch so weit voneinander entfernt gewesen, wie Sri Lanka vom Eiffelturm ... !
Sportlern, denen systembedingt der Umgang mit dem einstigen Klassengegner von Klein an aberzogen war, private Kontakte untersagt blieben, bei Strafe von Konsequenzen, war nun normaler, menschlicher Umgang möglich...
Längst noch nicht hatten damals alle jungen Männer die historische Tragweite dieses Wettkampfes begriffen.
Ralf BÜCHNER (damals noch Potsdam), der im Folgejahr 1991 dann erster gesamtdeutscher Turn-Weltmeister (Reck, Indianapolis) werden sollte:
": .. Mann, wir waren gerade mal knapp über Zwanzig, so richtig haben wir das Historische erst später geschnallt! Was aber den Umgang unter uns Sportlern anging, da gab's von Anfang an keine Probleme!"
Ralph-Ingo KERN, mehrfacher Deutscher Meister, heute Dr. med., niedergelassener Orthopäde in Limburg |
Ralph-Ingo KERN (SV Leingarten), einer der drei "Wessi"-Turner in der Münchener Riege:
"Im Verhältnis zu den professionell trainierten DDR-Turnern waren wir ja höchstenfalls engagierte 'Hobby-Turner', da war schon klar, was mit uns passiert. Die DDR war in Seoul schließlich Zweiter hinter den Sowjets - wir waren Zwölfte (!) - das sagt schon alles.
Menschlich hatte ich keine Probleme, mit dem Zusammenwachsen Ost-West. Das waren Turner, Jungs wie wir, und außerdem kannten wir uns schon länger, haben bei Turnieren auch schon mal länger zusammengehockt, auch wenn denen das nicht gestattet war und wir die Jungs nicht gefährden wollten."
* Rückblenden aus sportlicher Sicht:
Andreas GÖTZE - heutiger LEON*-Chefredakteur - schrieb damals in einer der letzten Ausgaben der DTV-Zeitschrift "Turnen":
> "... denn was ist ein doppelter Tsukahara gegen die deutsche Vereinigung?!"
* Jürgen UHR, damaliger OTA-Chef: >> Junioren-Europameister überzeugte
Sergei Charkow (URS), 1988 mit 18 Jahren jüngster Boden-Olympiasieger der Geschichte, hier, 1990 in München mit 20 Jahren hinter Alexander Koliwanow damals Zweitbester in der UdSSR-Riege, bevor er in den neunziger Jahren nach Deutschland wechselte und noch heute mit 40 Jahren einer der bemerkenswerten Leistungsträger in der ersten Bundesliga ist... |
Auf Trainerebene, da sah's aber mit Einheit und Einigkeit zur Wendezeit um Einiges komplizierte aus:
Bundestrainer des DTB 1990 war auf der Westseite der Schwabe Franz HEINLEIN:
"Ja, das war für uns alle schon ein außergewöhnlicher Termin! Da haben wir ja alle hingewollt. Aber als ich da so an dieser Stelle stand, war mir nicht mehr so klar, ob ich persönlich hier hingehörte...!"
Der als sehr versöhnlich, fair und ausgleichend bekannte und beliebte Heinlein sah sich nun mit der "sportlichen Übermacht" des DDR-Spitzenturnens konfrontiert.
Das hatte als Mannschaft mit den Sowjets schließlich in Seoul 1988 um Gold geturnt und zur WM 1989 in Stuttgart in gleicher Folge vor China und Japan erneut den Vize-Titel geholt.
Die DDR war im Männerbereich eine Welt-Spitzennation.
Dieter Hofmann (Mitte), Sven Tippelt, Sylvio Kroll: Olympiasilber in Seoul |
Klar, da sollte schon ein Mann aus diesem sportlichen Erfolgssystem die Chef-Trainerposition übernehmen. Zur Disposition standen der Ex-DDR-Auswahlcoach Dieter Hofmann, der Berliner Wecker-Trainer Lutz Landgraf, der Cottbuser Cheftrainer Bernd Heide und die beiden Hallenser Uwe Ronneburg und Klaus Milbradt.
An ersterem schieden sich die Geister: Einerseits waren den DTB-Vertretern die strategischen und fachlichen Qualitäten eines weltweit anerkannten Trainers Dieter Hofmann bekannt, zu dem auch seine DDR-Athleten ein gutes, sauberes Verhältnis hatten.
Andererseits fürchteten sie die Angriffe der bundesdeutschen Presse gegen diesen Mann, dessen artikulierten politischen Bekenntnisse zu seinem nun im Untergang begriffenen Staat im Fokus der Medien standen; und auch die bundesdeutschen Athleten sehnten sich absolut nicht nach einer "Führungsfigur", wie sie Dieter Hofmann aus ihrer Sicht verkörperte....!
Von den drei anderen Kandidaten lehnten die ersten drei den Posten ab. Einzig Klaus Milbradt sagte zu. Da er zugleich zu Hause noch Cheftrainer des sich im Umbau befindenden SC Chemie zum SV Halle war, hatte er sich jedoch mit der Gesamtbelastung wohl übernommen und scheiterte im Frühjahr 1992 an dieser Aufgabe und wurde ersetzt durch Franz Heinlein, der das deutsche Männerturnen dann über Barcelona '92 bis 1996 nach Atlanta führte.
Natürlich war man scharf darauf, möglichst viel vom Top-Leistungsstand des DDR-Männerturnens in die neue Zeit zu retten. Was hie und da im Einzelnen und mit individuellen Erfolgen der übernommenen DDR-Turner und ihrer Trainer gelang:
Gesamtstrukturell aber hatte es der DTB sträflichst unterlassen, das DDR-Fördersystem, insbesondere das Netz der Trainingszentren und seiner Personalstruktur, das besonders im Gerätturnen das bestentwickeltste (!) der Welt war, auf seine Eignung hin zu überprüfen, im "neuen", alten (DTB-) System der Bundesrepublik installiert werden zu können.
Konstruktive Konzepte, konkrete Vorschläge, die im letzten Halbjahr der DDR in den Reihen des DTV der DDR aufwändig entwickelt wurden, wurden entweder ignoriert bzw. regelrecht untersagt. Nicht ohne Grund reagierte ein nicht geringer Teil engagierter DTV-Mitglieder enttäuscht und sprach anlässlich des Vereinigungs-Turntags in Hannover nicht von gleichberechtigter Vereinigung, sondern von Anschluss und Übernahme.
All jene, die dieses deutsche Turnen im Osten Deutschlands mit Leben erfüllt haben - egal ob im Breiten-, im Nachwuchs oder im Spitzensport sollten und dürfen stolz auf das damals Geleistete sein.
Eine Vielzahl von Trainern mit hoher theoretischer, methodischer, fachlicher Ausbildung und Erfahrung entließ man jedoch aus dem System ohne Alternativvorschläge zu prüfen .... - in anderen Ländern rieb man sich ob des zufließenden Knowhows dagegen freudig die Hände:
Im ersten Einheits-Jahrzehnt dominierte neben Umbau und Angleich an bestehende alt-bundesdeutsche und DTB-Strukturen zunächst der kontinuierliche, z. T. rapide Rückgang des Leistungsniveaus internationalen Anspruches.
Trotzdem nie aufgehört hat man allerdings in den wenigen verbliebenen Zentren, wie Cottbus, Chemnitz, Berlin, Halle, die gewohnte Nachwuchsarbeit irgendwie engagiert weiter zu führen.
Der dann, zumindest im deutschen Männerturnen, wieder erfolgende Aufschwung und Anschluss an internationales Spitzenniveau im neuen Jahrtausend, ist auch Ausdruck der Unermüdlichkeit langfristig orientierter Arbeit der Praxisleute vor Ort und in letzten Jahren, aber auch gestärkter Position des Spitzensports in den Führungsstrukturen des DTB.
Allerdings: Was man einst in den Neunzigern versäumte, muss man nun mit einem System von Turntalentschulen erst wieder mühsam errichten, reicht aber mit nur halbherziger Konsequenz und mangelhafter (personeller) Ausstattung der Talentfördererung bei weitem nicht an frühere TZ-Modelle heran.
Negativ-Beispiel: Der Zustand des Frauenturnens in der einstigen Welt-Turnhhochburg Berlin! Auch ohne Dynamo/Stasi oder politischen Primboriums hätte man dort mit substanzerhaltenden Maßnahmen überlebensfähige Formen von Talenteförderungen etablieren und in einheitsdeutsche Zeiten überführen können - dazu hätte man aber den Willen und eigene Konzepte haben müssen - beides war zu Wendezeiten im DTB und im deutschen Sport nicht vorhanden!
Die einst in der Welt erfolgreichsten Berliner Turn-Zentren sind heute nicht mal mehr historische Schatten ihrer selbst ...!
Langfristigkeit, Beharrlichkeit u n d Qualität der Bildungsvermittlung sind aber nunmal die Mütter des Erfolges in der komplexen, anspruchsvollen Disziplin des Gerätturnens, egal in welchem politischen System!
( * Lesen Sie auch > Kommentar des DTB-Präsidenten zur Deutschen Einheit; 2010)
Eckhard Herholz: ehemaliger Kunstturntrainer in der DDR, dann DFF-TV-Reporter - hier, mit Eberhard Gienger am ZDF-Mikrofon beim Kunstturnmasters, seinem ersten Arbeitstag im Westen ... |
... und aus persönlicher Sicht des Autors dieses Beitrages:
Dieser 30. September 1990 war auch mein erster Arbeitstag als TV-Reporter beim ZDF. Tags zuvor noch und 40 Lebensjahre lang, war ich Teil einer anderen Wertewelt, eines anderen Systems von Normen, Denk- und Verhaltensweisen.
Als Absolvent einer der weltweit führenden Sporthochschulen der Welt, der Deutschen Hochschule für Körperkultur Leipzig (DHfK), deren rigorose Abwicklung ich bis heute nicht nachvollziehen kann, gehörte ich später, als Journalist des "Deutschen Fernsehfunks" (DFF), zum Bestand des "ersten Mediums der Partei", wie das im DDR-Jargon hieß. Und so hatte man schließlich auch die Schere im Kopf, wusste genau, was verbal oder bildlich ging oder nicht ging...
... doch nun plötzlich, im Überschwange "grenzenloser Freiheit" ,sprang doch der eben "befreite" Ost-Reporter in einer ZDF-Übertragungspause mit Fechterflanke über die Barriere in der Münchener Olympiahalle und holte einfach so den Schirmherrn Schäuble ans ZDF-Interview-Mikrofon ...
Denkste... das wurde dann auch gleich mein erster großer Ansch... in der Redaktion: Also, Herr Herholz, so geht das bei uns nicht! Sie können nicht einfach ohne Rücksprache mit der Leitung irgend jemanden interviewen.... (???)
Mein erster Kontakt mit der "neuen Freiheit", war das...!
Aber, im Ernst: Nichts ist uns inzwischen wertvoller geworden, als diese deutsche Einheit, nichts natürlicher als sie, aber sie bedarf noch immer der ständigen Pflege. Dazu gehören Erinnerungen und Geschichten, die großen, wie die kleinen und die Menschen, die sie nicht vergessen und wiedererzählen.
Aber dazu gehört auch das Selbstbewusstsein a l l e r Deutschen, die erinnernswerte Lebensleistungen vollbracht haben, in West wie in Ost!!
* AUTOR: Eckhard Herholz (30.09. 2010)
* Damals: Ex-Turntrainer und Ex-TV-Reporter Ost,
* Später: TV-Reporter (ZDF, DSF, Eurosport)
* Heute: Chefredakteur GYMmedia INTERNATIONAL.
** Die sportlichen Gegner am 30. 09. 1990 in München:
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Das UdSSR-Weltmeisterteam von Stuttgart 1989, in München mit: |
Die USA-Mannschaft 1990 (- zur WM 1989 in Stutttgart Rang 8): mit |